STALINALLEE

Dia-Serie Stalinallee

St. war (vom 21.12.1949 bis 13.11.1961) der Name eines 2,3 km langen Teilstücks der Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee auf dem Abschnitt zwischen Strausberger Platz und Einmündung Proskauer bzw. Niederbarnimstraße im Bezirk Friedrichshain. Die "Magistrale des Berliner Ostens", einst Teil der historisch bedeutsamen mittelalterlichen Handelsstraße nach Frankfurt/Oder, Teil der wichtigsten Ausfallmagistrale vom östlichen Stadtzentrum in Richtung Lichtenberg/Berliner Ring und 1945 Einmarschstraße der Roten Armee, hieß bis Anfang 1950 auf dem Abschnitt bis zum Frankfurter Tor Große Frankfurter Straße und ihre Fortsetzung hinter dem alten Frankfurter Tor seit etwa 1824 Frankfurter Chaussee, 1872-1949 Frankfurter Allee. Der Abschnitt zwischen Alexanderplatz und heutigem "Frankfurter Tor" heißt seit November 1961 Karl-Marx-Allee. 1945 war der gesamte Straßenzug infolge erbitterter Kriegshandlungen weitgehend zerstört.

Der Wiederaufbau Wiederaufbau dieser Allee wurde zu einem der bedeutendsten stadtentwicklungspolitischen Projekte im Osten Berlins nach dem II. Weltkrieg. Von der SED-Führung als "erste sozialistische Straße in Deutschland" apostrophiert und als Ausdruck neuen Städtebaus, neuer Architektur und auch neuer Innenarchitektur gefeiert, stieß das Projekt im Westteil der Stadt überwiegend auf Kritik und Ablehnung ("Zuckerbäckerstil", "gigantischer Kaninchenstall", "architektonischer Irrtum in Ost-Berlin", "Prunkmonument des östlichen Staatskapitalismus", "Via Triumphalis der Russen"). Als "Antwort" auf die St. entstand in West-Berlin das HansaviertelHansaviertel.
Nachdem bereits 1949/50 an der Südseite zwei Laubenganghäuser (Entwürfe von Hans Scharoun [1893-1972] und Ludmilla Herzenstein [* 1906]) und 1951 anläßlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten in nur 119 Tagen eine Sporthalle (5 100 Plätze) erbaut worden waren, entstanden die ersten Neubauten an der Weberwiese mit einem Hochhaus (33 Drei-Zimmer-Wohnungen mit je 65 m²), dem ersten Wohnhochhaus Hochhaus Ost-Berlins (Übergabe am 1.5.1952 an Familien von 30 Arbeitern, einem Architekten, einem Lehrer und einem Volkspolizisten). Die eigentliche St. zwischen Strausberger Platz und Proskauer Straße wurde als eine auf 90 Meter verbreiterte Allee mit zwei durch einen breiten Grünstreifen getrennte dreispurige Verkehrsbänder mit seitlichen Radstreifen gestaltet, bei der an die Stelle der alten Korridorstraßen mit ihren starren Baufluchten ein aufgelockerter Boulevard trat, der mehrfach durch vor- und zurückspringende Bauabschnitte gegliedert ist. Die gegenüberliegenden 7- bis 9geschossigen Wohnblocks mit einer durchgängigen Ladenzone galten in den 50er Jahren nicht nur als qualitativ neuartiges städtebauliches Ensemble, sondern wegen der großzügigen modernen Ausstattung der Wohnungen (Bad, mechanische Müllbeseitigung, Telefon, Sprechanlage zur Haustür usw.) und der Gestaltung ihres Umfeldes (Fahrstuhl, Dachgärten, Restaurants, Postämter, Apotheken, Kindereinrichtungen, Schulen usw.) auch als qualitativ hochwertige Architektur. Am 21.12.1952 (dem 73. Geburtstag J.W. Stalins Stalin[1879-1953]) wurden die ersten [gestr. 3. Aufl.: 1 148] bezugsfertigen Wohnungen in der damaligen St. übergeben. Die beiden 15geschossigen Turmhochhäuser mit aufgesetzten Kuppeltürmen am Strausberger Platz, das "Haus des Kindes Haus des Kindes" (Nr. 19) und das "Haus Berlin" Verweis (Nr. 1) wurden 1954 bzw. 1956 fertiggestellt.

Künftige Verkehrsentwicklung wie ruhender Verkehr sind bei der Anlage der St. ungenügend berücksichtigt worden. Die geplante Funktion der Straße als Zentrum eines "sozialistischen Wohnbezirks" mit einem gesellschaftlichen Mittelpunkt wurde ebenfalls verfehlt: 97 Spezialgeschäfte (später 109 und ein Kaufhaus) verliehen ihr mehr den Charakter einer exklusiven Kaufstraße, ohne zum Beispiel eine einzige typische Berliner Eckkneipe. Von den 2.115 Wohnungen der St. waren 56,9 Prozent 2-Zimmer-Wohnungen (durchschnittlich 67 m²), 28,6 Prozent 3-Zimmer-Wohnungen (durchschnittlich 75 m²), 8,4 Prozent 4-Zimmer-Wohnungen (durchschnittlich 105 m²) und 5,6 Prozent 1-Zimmer-Wohnungen (durchschnittlich 42 m²). Von den ersten, am 21.12.1952 bezogenen [gestr. 3. Aufl.: 1 148] Wohnungen wurden rund 60 Prozent durch Arbeiterfamilien belegt Bauinschriften.

Die St. war das Prestigeprojekt des 1951 ausgerufenen Nationalen Aufbauprogramms Berlin (ab 1953 Nationales Aufbauwerk der DDR), zu dem DDR-Ministerpräsident O. Grotewohl (1894-1964) am 3.2.1952 in der St. den Grundstein legte. Projektierung und Baugeschehen waren straff den damaligen politischen, von der SED-Führung vorgegebenen Ambitionen (Darstellung der gesellschaftlichen Überlegenheit des DDR-Systems gegenüber dem "Westen") unterworfen, wobei Walter Ulbricht Ulbricht(1893-1973) persönlich mehrfach unmittelbar in die Abläufe eingriff. So wurden die ersten architektonischen Entwürfe von Hermann Henselmann Henselmann(1905-1995), Hans Hopp (1890-1971), Richard Paulick (1903-1979) und Kurt W. Leucht (geb. 1913) wegen "formalistischer Tendenzen" kritisiert, nach sowjetischen Vorbildern ("Zuckerbäckerstil") überarbeitet und schließlich mit hohem Tempo realisiert. Erschwerend war, daß das große Bauprojekt in keinen Bebauungsplan für die gesamte Hauptstadt eingeordnet werden konnte. So standen während des Aufbaus der St. meist die materiellen Belange gegenüber architektonisch-ästhetischen Aspekten im Vordergrund.

Nach der Wiedervereinigung der Stadt wurde der historische Straßenzug der ehemaligen St. unter Denkmalschutz gestellt und gilt als größtes Baudenkmal Europas. Sie wurde bis Ende 1999 weitgehend saniert, ohne daß die Attraktivität der Prachtstraße zunahm. Dies und relativ hohe Mieten führten zu einem Umsatzrückgang von 40 Prozent und einem Leerstand der Läden von 60 Prozent. Ein Förderverein Karl-Marx-Allee wirkt dahin, die Allee zu einem Hauptstadt-Boulevard auszubauen.

Quellen und weiterführende Literatur: Literaturquellen
Berlin und seine Bauten 1964/75-77; Schulz/Gräbner 1976/54-59; Trost 1984-I/455-460; Stimmann 1985/21-23; Borngräber 1985/56-67; Demps 1987/100-101; Schulz/Gräbner 1987/60-61, 104-105; Köhler 1993/5 f; Burg/Crippa 1991/61-63; Baedeker 1992/449-451; Berliner Wohnquartiere 1994/173-178; Berlin Handbuch 1993/638-639); Kühne 1993/222-223; Dehio 1994/220-221; Hain 1995/16; Peters 1995/196-200; Nikolaus/Obeth 1997/17f; Bauen in Berlin 2000/222-225; Stadt der Architektur 2000/259-270

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Stadtentwicklung