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Wolfgang W. Timmler
Das Heizkraftwerk Mitte

Eine Kraft-Wärme- Kopplungsanlage im Herzen von Berlin

Der Bau eines Kraftwerks ist in erster Linie eine technische Aufgabe. Der Umweltschutz macht besondere feuerungstechnische Maßnahmen notwendig, um einen verminderten Schadstoffausstoß zu gewährleisten. Die technischen Anlagen und Ausrüstungen bestimmen die Gebäudegröße. Der Schallschutz erzwingt eine fensterlose Bauweise. Unter diesen Bedingungen scheint nur wenig Spielraum für die architektonische Gestaltung zu bleiben, aber man findet auf der ganzen Welt kaum Kraftwerke, die sich bis aufs Profilblech gleichen. Offensichtlich übt die Technik doch weniger Zwang aus, als man glaubt.
     Daß moderne Kraftwerke nicht aussehen müssen wie überdimensionierte Schuhkartons, zeigt das Heizkraftwerk Mitte der Bewag. Nach den Plänen des Kasseler Architekten Jochem Jourdan entstand es in zweijähriger Bauzeit (vom September 1994 bis Dezember 1996) auf dem Gelände einer vorherigen Anlage zwischen Köpenicker Straße und Spree. Die Altanlage versorgte Berlin- Mitte rund dreiunddreißig Jahre lang mit Strom und Fernwärme.

Nach ihrer Stillegung im Jahre 1997 riß man den Schornstein und mehrere Gebäudeteile ab und verschrottete die technischen Anlagen und Ausrüstungen. Ein Teil der Versorgungstechnik blieb aber erhalten und wurde in die neue Kraftwerksanlage integriert.
     Das neue Heizkraftwerk Mitte ist ein kombiniertes Gas und Dampfturbinenkraftwerk (Kombianlage) mit dreihundertachtzig Megawatt elektrischer Leistung und dreihundertachtzig Megawatt Wärmeleistung. Im Verbund mit zwei erdgasgefeuerten Heißwassererzeugern von insgesamt zweihundertvierzig Megawatt Spitzenheizleistung versorgt es Wohnungen und Geschäftsräume sowie öffentliche Einrichtungen im Bereich Alexanderplatz, Unter den Linden, Ostbahnhof, Frankfurter Tor sowie Leipziger und Potsdamer Platz mit Heizwärme. Über die Energiezentrale Stresemannstraße 120-121, die aus einem Umspannwerk für die Stromversorgung und den Anlagen zur Kälteerzeugung besteht, liefert das Heizkraftwerk Mitte außerdem Kälte zur Klimatisierung der Gebäude am Leipziger und Potsdamer Platz. Die kombinierte Gas und Dampfturbinenanlage im Heizkraftwerk Mitte verfügt über zwei Gasturbinen mit Ringbrennkammern, in denen hauptsächlich Erdgas schadstoffarm verbrannt wird.
     Gasturbinen sind kontinuierlich arbeitende Wärmekraftmaschinen, die im Prinzip aus einem Verdichter,
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einer Brennkammer und einer Turbine bestehen. Der Verdichter bringt die aus der Atmosphäre angesaugte Luft auf einen höheren Druck und fördert sie in die Brennkammer, wo das LuftBrennstoff Gemisch gezündet wird. Die heißen Verbrennungsgase durchströmen die Turbine und geben ihre Energie in den Turbinenschaufeln ab. Die Druck und Wärmeenergie verwandelt sich in Bewegungsenergie und steht als Rotationsenergie an der Turbinenwelle zur Verfügung. Ein Teil der Bewegungsenergie dient zum Antrieb des Verdichters, der Rest wird zum Antrieb des Gasturbinen Generators genutzt, der Strom erzeugt und auf derselben Antriebswelle sitzt wie der Verdichter. Durch die Kombination von Gas und Dampfturbinentechnik geht im Heizkraftwerk Mitte kaum Energie verloren. Die Brennstoff- Energieausnutzung ist doppelt so hoch wie in einer Anlage, die nur Strom erzeugt. Konventionelle Kraftwerke nutzen die im Brennstoff enthaltene Primärenergie nur zu etwa fünfunddreißig bis vierzig Prozent.
Durch die Kraft-Wärme- Kopplung läßt sich dagegen ein Wirkungsgrad von fünfundsiebzig bis neunzig Prozent erreichen.
     Das Heizkraftwerk Mitte hat keinen Kühlturm. Die Anlage ist wärmegeführt, das heißt, die Stromerzeugung ist vom jeweiligen Wärmebedarf abhängig. Der Prozeß im Kraftwerk, insbesondere die Gasturbinen und Dampfturbinen, werden von der Fernwärmeheizung gekühlt, während die Abwärme der Generatoren

 
Blick von der Michaelbrücke auf das Berliner Heizkraftwerk Mitte

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Schematische Darstellung der Strom- und Heizwärmegewinnung im Berliner Heizkraftwerk Mitte
und Transformatoren der Spree zugeführt wird. Bevor die Rauchgase aus den Turbinen über die einhundert Meter hohen Schornsteine in die Atmosphäre freigesetzt werden, nutzt man ihre Wärmeenergie, um hochreines Wasser in den Abhitzekesseln zu verdampfen. Der fünfhundert Grad Celsius heiße Dampf treibt die Gegendruckdampfturbine an und erzeugt Strom im Dampfturbinengenerator. Der Abdampf der Dampfturbine dient wiederum zur Erwärmung von Wasser im Heizkondensator. Mit einer Temperatur von über hundert Grad Celsius strömt das Heiznetzwasser zu den Kundenanlagen des Fernwärmenetzes. Mit wenig mehr als fünfzig Grad Celsius gelangt es ins Kraftwerk zurück und fließt erneut in den Heizkondensator. Durch die KraftWärme Kopplung erzeugt man aus der im Brennstoff enthaltenen Primärenergie drei Nutzenergien, zweimal Strom und einmal Heizwärme. Die Brennstoffenergieausnutzung in der Kombianlage beträgt fast neunzig Prozent. Mehr läßt die Physik nicht zu.
     Die Kombianlage kann sowohl mit Erdgas als auch mit leichtem Heizöl gefahren werden. Die Gasversorgung erfolgt über eine im Flußbett der Spree verlaufende Pipeline. Der flüssige Brennstoff wird von Tankschiffen geliefert und in einem neuntausend Kubikmeter fassenden Tank am Spreeufer gelagert.
     Das »Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts« vom 24. April 1998 weist der Nutzung von KraftWärmeKopplung beim sparsamen Umgang mit Energie zwar eine besondere Bedeutung zu, aber durch die Liberalisierung des Energiebinnenmarktes droht gerade diese Form der rationellen Energienutzung ins Hintertreffen zu geraten.
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Der Wettbewerb scheint vor allem den Unternehmen zu nutzen, die schon in der Vergangenheit vom Strommonopol profitiert haben. Die Stadtwerke mit ihren teuren Heizkraftwerken bleiben dabei auf der Strecke. Mit dem billigen Markenstrom von RWE Energie (»Avanza«), VEW Energie AG (»Evivo«) und Energie BadenWürttemberg (»Yello«) können sie nicht konkurrieren. Der Preis für die Heizwärme wurde nämlich von den Stromkunden subventioniert, doch dieses Spiel der Stadtwerke funktioniert nun nicht mehr. In Duisburg ist bereits die erste Kraft-Wärme- Kopplungsanlage dem ruinösen Preiswettbewerb zum Opfer gefallen.
     Durch die Neuordnung des Strommarkts verliert auch die Bewag zunehmend Kunden an die Billiganbieter. So hat das Abgeordnetenhaus den Vertrag mit dem Berliner Energieversorgungs- Unternehmen nicht verlängert. Darum rechnete die Bewag im ersten Jahr der Freigabe mit einem Umsatzrückgang von zehn Prozent und erheblichen Kosten für den Personalabbau. Innerhalb von drei Jahren soll die Zahl der Beschäftigten halbiert werden, wobei es die Mitarbeiter im Kraftwerksbereich besonders hart trifft. Von zweitausendsechshundert Stellen sollen weniger als tausend übrigbleiben. Man muß kein Prophet sein, um zu erkennen, daß die vielen Entlassungen früher oder später die Wartung und damit den Sicherheitsstandard der Berliner Strom und Heizwärmeversorgung beeinträchtigen werden.
Literatur:
Berliner Kraft- und Licht(Bewag)- Aktiengesellschaft (Hrsg.): Heizkraftwerk Mitte. Umweltschonende Energieerzeugung im Herzen von Berlin. Berlin o. J. (1998).
Berliner Kraft- und Licht(Bewag)- Aktiengesellschaft (Hrsg.): Energie - made in Berlin. Berlin 1998.
Berliner Kraft- und Licht(Bewag)- Aktiengesellschaft (Hrsg.): HKW Mitte: Kunst, Werk, Kraft. Vier internationale Künstler, ein Thema: Das Kunstprojekt am Heizkraftwerk Mitte. Berlin 1997.
Brost, Marcus, und Fritz Vorholz: »Fallstrick für die Grünen«. In: Die Zeit, Nr. 39, 23.09.1999, Seite 21.
Brost, Marcus und Fritz Vorholz: Im Netz der Monopole. In: Die Zeit, Nr. 37, 09.09.1999, Seite 21-22.
Brychcy, Ulf: Bewag spürt den Wettbewerb beim Strom. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 233, 08.10.1999, Seite 29.
Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr. 23, 28. April 1998, Seite 730-736.
Fischermann, Thomas: Billig ist nicht gut. In: Die Zeit, Nr. 41, 07.10.1999, Seite 23.
Henn, Walter und Fritz Hierl: Zur Architektur des Kraftwerkes. In: Energiewirtschaft und Technik Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg.): Musteranlagen der Energiewirtschaft: Heizkraftwerk Reuter West. Hergestellt im Auftrag der Berliner Kraft und Licht (Bewag)Aktiengesellschaft. Düsseldorf 1989. Seite 29-45.
Tourbier, Peter und Christian Ullrich (Hrsg.): Umwelttechnik von A bis Z. Düsseldorf 1991.
wor.: Kraft-Wärme- Kopplung. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 224, 28.09.1999, Seite 2.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
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