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verbreiterten Kupfergraben entlang. Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts ruhten dann diesbezügliche Aktivitäten.
     Mitte des 19. Jahrhunderts zählte Berlin etwa 500 000 Einwohner. Die expandierende Stadt benötigte massenhaft Brenn- und Baustoffe, Getreide, Kohle und Lebensmittel. Inzwischen verfügte sie zwar über neue Wasserstraßen wie den Spandauer Schiffahrts-, den Landwehr- und den Luisenstädtischen Kanal als Nebenarm des Landwehrkanals mit zwei Umschlagplätzen sowie den Schöneberger und den Nordhafen, die aber dem preußischen Staat gehörten. Noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden erheblich mehr Güter von und nach Berlin über das Wasser als durch den sich entwickelnden Eisenbahnverkehr befördert. Seit Berlin 1871 Reichshauptstadt geworden war, setzte die verstärkte industrielle Entwicklung, verbunden mit reger Bau- und Handelstätigkeit, ein. Passierten in jenem Jahr etwa 20 600 Kähne den Oberbaum in Richtung Berlin, so waren es 1872 schon fast 30 000. »Indessen liess die Überschätzung der Eisenbahnen als ausschließliches Güter- und Personen- Beförderungsmittel die Bedeutung der Wasserstraßen und ihre Daseinsberechtigung neben den Eisenbahnen leider für längere Zeit verkennen. Etwa seit dem Jahre 1874, brach sich nach und nach die Erkenntnis Bahn, dass bei Beförderung von Massengütern der billige Wasserweg neben den Eisenbahnen eben-
Maria Curter
Für das weitere Gedeihen des Handels

Der Osthafen im Wandel der Zeiten

Schon seit dem Mittelalter wurde ein Großteil des Handels von Berlin über den Wasserweg abgewickelt. Das Stapel- oder Niederlagsrecht ab 1298 verhalf der Stadt zwar – wie anderen Hansestädten auch – zu Aufschwung, behinderte aber die Handelsschiffahrt über weite Strecken. Denn es bedeutete, daß alle Händler, die die Stadt durchquerten, ihre Waren hier ausladen, einige Tage feilbieten mußten und mit dem Rest weiterziehen durften. Das zeitraubende Verfahren konnte nur umgangen werden, wenn hohe Durchgangszölle bezahlt wurden. Auch der Zustand der Wasserstraßen war hinderlich. Die Spree inmitten Berlins war nicht schiffbar. Die Durchfahrt der kleinen Lastkähne erfolgte jahrhundertelang über den südlichen Spreearm, den heutigen Spreekanal. Als der Kanalbau im 17. Jahrhundert einsetzte, rückte Berlin in den Mittelpunkt des Wasserstraßennetzes zwischen Oder und Elbe, wurde der erste Packhof eingerichtet – die älteste Anlage eines Berliner Hafenbetriebes. Ein neuer Packhof entstand 1743 und zog sich den gesamten

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   21   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
falls seine Bedeutung habe und daher der Neu- und Ausbau der Wasserstraßen zur Durchführung einer gesunden Wirthschaftspolitik unabweislich sei«, schätzte später Friedrich Krause als Stadtbaurat ein.1)

Die Kaufmannschaft klagte

Bis Ende des Jahres 1875 gehörten der Stadt Berlin weder Straßen und Brücken noch irgendwelche Hafenanlagen oder Lösch- und Ladeeinrichtungen. Dies war Sache des Fiskus. Da der preußische Landtag hierfür die Mittel bewilligen mußte, das aber ungerne tat, wurden die Bedürfnisse der expandierenden Stadt ungenügend berücksichtigt. Zum 1. Januar 1876 trat der Staat per Vertrag die Brücken und Straßen an die Stadt Berlin ab. Unberührt davon blieben die öffentlichen Wasserstraßen, Häfen und Ufereinfassungen, woraus nun die Stadt ableitete, daß sich der preußische Staat um die »Schiffsgüterverladung« kümmern werde. Denn im selben Jahr – 1876 – wurde im Auftrag des Ministers für Handel und Gewerbe eine Kommission gebildet, die die Situation prüfen sollte.
     Als die Lage der Hafenwirtschaft nun prekärer wurde, wandten sich die Ältesten der Berliner Kaufmannschaft im September 1885 mit einer Denkschrift direkt an den Minister für Handel und Gewerbe. Um den »Mangel an günstig gelegenen, dem Eisenbahnverkehr direkt zugänglichen Lagerhäusern am

Wasser« zu beheben, empfahlen sie entsprechende »Bauausführungen«. Es sei nicht Sache der Königlichen Staatsregierung, sondern vielmehr der Stadtverwaltung von Berlin, jene Einrichtungen zu schaffen, lautete die Antwort – nach fast einem halben Jahr am 1. März 1886.2)
     Daraufhin beschlossen die Stadtverordneten, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Von nun an kümmerte sich Berlin um Wasserstraßen und Häfen auf seinem Gebiet, was aber nicht ohne Reibereien mit dem Fiskus ging. In bescheidenem Maße ließ der Magistrat zunächst (1887/88) die Ladestraßen am Halleschen Ufer, und von 1891 bis 1896 den Urbanhafen bauen. Den Kaufleuten genügte das aber nicht, da sich der Warenverkehr per Schiff im Vergleich zu 1871 fast verdoppelt hatte. Obwohl mittlerweile elf Eisenbahnlinien nach Berlin führten, hielt sich der Gütertransport zwischen Bahn und Schiff etwa die Waage. Außerdem war abzusehen, daß der einzige städtische Umschlagplatz, der Urbanhafen, nicht ausreichen würde, nachdem die Unterspree kanalisiert wurde (1883–1894), sich der Bau der Mühlendammschleuse seinem Ende näherte (1894) und damit auch große Schiffe die Stadt auf der Spree passieren konnten. Für den 3. Juli 1893 erwirkten die Ältesten der Kaufmannschaft eine Konferenz mit Vertretern der Minister für Handel und Gewerbe, der öffentlichen Arbeiten, des Polizeipräsidenten, der Ministerial- Baukommission
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   22   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
und des Magistrats von Berlin, die die »Bedürfnisfrage« erörterte. Im Ergebnis jener Zusammenkunft wurden ihre Initiatoren von Stadtbaurat James Hobrecht aufgefordert, zum Nachweis des wirtschaftlichen Bedürfnisses Berechnungen anzustellen, ein Programm nebst Plänen und Bauskizzen zu erarbeiten und einen Kostenvoranschlag vorzubereiten. Die am 18. November 1895 vorgelegte Denkschrift enthielt nun den Vorschlag, zwei große Umschlagplätze mit Speichern – einen im Osten und einen im Westen – zu errichten, wobei im Osten begonnen werden sollte. Friedrich Krause, seit 1897 Amtsnachfolger von James Hobrecht, legte dann im Februar 1899 der Verkehrsdeputation seinen Entwurf für den Osthafen vor.

Das Projekt

Als Standort für den ersten künftigen Großhafen Berlins wurde der noch unbebaute Stralauer Anger gewählt. Am rechten Spreeufer zwischen Treptower Eisenbahnbrücke (der 1871 errichteten Ringbahn) und der steinernen Oberbaumbrücke, die zwischen 1894 und 1896 entstand, sowie der Stralauer Allee besaß die Stadt mehr als die Hälfte der für das Hafengelände benötigten Fläche (fünf von neun Hektar). Das Gebiet lag damals noch vor Berlin und gehört heute zum Bezirk Friedrichshain. Hier befanden sich Holzstapelplätze, ein Lagerplatz der

städtischen Wasserwerke, eine Badeanstalt, einer der drei städtischen Müllabladeplätze, von wo seit 1894 der Abfall per Schiff nach Spreenhagen gebracht wurde, sowie das Domizil des Berliner Ruderklubs. Die Spree war hier mit etwa 170 Metern am breitesten – der Hafenbetrieb würde also den Durchgangsverkehr nicht behindern. Durch die Nähe der Ringbahn war der Eisenbahnanschluß gegeben. Für den Fuhrwerksverkehr in die Stadt boten sich die Mühlenstraße für das Zentrum, die Warschauer Straße für den Osten und die Oberbaumbrücke für den Südosten an; die östlichen Vororte waren durch den Markgrafendamm, die Straße Alt-Stralau und den ehemaligen Parallelweg, heute Kynaststraße, erreichbar.
     Das Projekt sah vor, das Spreeufer zu begradigen, eine 1,4 Kilometer lange Kaimauer zu errichten, etwa 8 Kilometer Gleise zu verlegen sowie eine Betriebsstraße anzulegen. In der Mitte des Hafens sollten zwei dreigeschossige Bauten (Verwaltung und Arbeiterspeisehaus) zwischen zwei langgestreckten zweigeschossigen Lagerhallen entstehen; westlich davon ein unterirdisches Benzintanklager – ein Betonkasten mit 36 Kesseln, die jeweils 20 000 bis 60 000 Liter aufnehmen können. Das zur Kraft- und Lichtversorgung des Hafens bestimmte Kraftwerk mit den Akkumulatorenräumen und den Werkstätten, der Lokomotivschuppen sowie daran anschließend Ziegel und Kohlelagerplätze sollten sich am östlichen
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   23   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
Ende (Ringbahn) befinden. An der Oberbaumbrücke war ein zunächst dreiteiliger Getreidespeicher, der später noch um je zwei Flügel ergänzt werden sollte, geplant. Für die Ein- und Ausfahrt an der Stralauer Allee waren drei Tore vorgesehen: Tor I an der Oberbaumbrücke, Tor II gegenüber der Caprivistraße (heute Danneckerstraße), Tor III gegenüber dem Markgrafendamm.
     Die Gebäude sollten in Grau gehalten werden. Zum einen, weil der durch den Hafenbetrieb bedingte Staub und Schmutz nicht so auffiele, zum anderen, weil die in der Umgebung befindlichen Bauten wie die Oberbaumbrücke und die Gebäude der Auer-Gesellschaft aus roten Ziegeln bestanden.

Die Stadt stritt mit dem Fiskus

Es sollten aber noch acht Jahre vergehen, ehe die »Vossische Zeitung« den am 6. September 1907 erfolgten ersten Spatenstich tags darauf vermelden konnte. Die Stadtverordneten faßten zwar am 22. Juni 1905 den maßgeblichen Beschluß, den Osthafen zu bauen, bewilligten aber noch keine Mittel, da Unklarheit über die Höhe der Kosten herrschte. Einerseits wurden zur Begradigung des Ufers Spreeflächen benötigt, die dem preußischen Staat gehörten. Andererseits sollte städtisches Gelände, das über das künftige Ufer hinausragte, an den Fiskus abgegeben werden. Dieser war aber nicht bereit, sie so einfach abzugeben. Es ging um

den Preis. Zunächst wollte der Fiskus 40 Mark je Quadratmeter Wasserfläche. Nach langwierigen Verhandlungen konnte der Magistrat am 24. Mai 1907 der Stadtverordnetenversammlung berichten, daß die Flächen für 20 Mark je Quadratmeter erworben werden können, und bat um die dafür notwendigen zusätzlichen 946 000 Mark. Einen Monat später (27. Juni) bewilligten die Stadtverordneten die für die erste Phase veranschlagten Kosten in Höhe von 2 456 000 Mark. Nachdem am 3. September 1907 die strittigen Flächen die Besitzer gewechselt hatten, konnte endlich begonnen werden.
     Im Oktober 1908 war die Kaimauer auf Berliner Gebiet errichtet. Dann ruhten die Arbeiten zwei Jahre. Die Gemeinde Stralau sowie zwei private Grundstücksbesitzer wollten einen Teil ihres Geländes, auf dem Kai und Hafenanlagen bis zur Ringbahn weitergeführt werden sollten, nicht verkaufen. Ein anderes Problem war der Gleisanschluß zwischen dem Hafengelände und der Ringbahn. Für die ursprünglich vorgesehene oberirdische Trasse wurde keine Baugenehmigung erteilt. Ein neues Projekt mußte erstellt werden. Nun sollte die Verbindung unterirdisch durch einen Tunnel erfolgen. Dabei wurden aber Interessen der Gemeinden Stralau und Rummelsburg- Boxhagen berührt. Auch mußten für den Bahnanschluß die Privatgrundstücke Alt-Stralau 68 und 69 angekauft werden. Wieder ging es
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Der Getreidespeicher im Jahre 1913
um den Preis der Flächen. Außerdem mußten, um das Gütertransportgleis parallel zur Ringbahn führen zu können, die beiden Brücken, vor und hinter dem heutigen Bahnhof Ostkreuz, über die Haupt- und die Marktstraße verbreitert werden. Die Folge waren weitere Mehrkosten von einer Million Mark. Es bedurfte insgesamt dreier Vorlagen (12. Mai 1905, 24. Mai 1907 und 22. April 1910) in der Stadtverordnetenversammlung und einiger Änderungen des ursprünglichen Projektes, um den Osthafen ab Mitte 1910 weiter ausführen zu können. Mittlerweile wurden auch die technischen Einrichtungen des Kraftwerkes neu projektiert. Denn inzwischen hatte sich der Dieselmotor als effektiver erwiesen als der Dampfbetrieb.

Der Hafen ist eröffnet

Als am 28. September 1913 Stadtbaurat Friedrich Krause den damals größten Hafen Berlins mit den Worten einweihte: »Möge diese große, kostspielige Hafenanlage die Hoffnungen, die in sie gesetzt sind, erfüllen, und möge sie ein brauchbares Werkzeug sein für das weitere Gedeihen und Emporblühen der Schiffahrt und des Handels in Berlin« 3),

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   25   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
waren mehr als 17 Millionen Mark verbaut worden. Am 1. Oktober 1913 gingen der Getreide- und Warenspeicher, dessen rund 3 000 Quadratmeter Grundfläche die Lagermöglichkeit für 15 400 Tonnen Getreide und 10 200 Tonnen anderer Güter bot, zwei Lagerhallen mit je 2 500 Quadratmeter Grundfläche sowie drei Freilager für Kohle, Handelsgüter und Ziegel in Betrieb. Am Kai konnten nun bis zu 40 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 600 Tonnen oder 76 sogenannte Finowkähne (Tragfähigkeit 200 Tonnen) festmachen. Für die Be- und Entladung standen zwei Getreideheber, mehrere fahrbare Halbportalkräne und -hochkräne, Elevatoren, diverse Förderbänder, Fahrstühle und Lukenwinden zur Verfügung.
     Da der Hafen in einem erst kurz zuvor (ab 1900) entstandenen Wohngebiet liegt, wurde dem architektonisch mit der folgenden Begründung Rechnung getragen: »Für den Stil der Fassaden wurden antikisierende Berliner Anklänge an eine Zeit gewählt, in der Berlin, im Gegensatz zur Jetztzeit, noch städtebaulich einen harmonischen, nahezu einheitlichen Stadtcharakter zeigte.«4) Die Industriebauten, in klassizistischem Stil errichtet, sind wuchtig. Ihre Sockel sind in Haustein gehalten und die großen Fassadenflächen mit grauen Verblendziegeln gebaut. Die Walm- und Satteldächer,
durch zahlreiche Luken aufgelockert, waren ursprünglich mit grauen Dachpfannen und Biberschwänzen versehen. Mitte der 80er Jahre erhielten die Gebäude, außer dem Getreidespeicher, rote Dächer. Die Wuchtigkeit der Bauten wurde durch die sogenannte Pfeilerarchitektur gemildert. Ein besonderes Kleinod dieser Industriearchitektur ist der achtgeschossige Getreidespeicher (ein Keller-, sechs Ober- und ein Dachgeschoß). Vor- und zurückspringende Elemente gestalten die Fassaden des Speichers lebhaft (vgl. Abb. S. 24). Die vertikalen Pfeiler ziehen den langgestreckten Bau optisch in die Höhe. Die Gesamtlänge der Anlage beträgt etwa 107 Meter, der Mittelbau ist 47 Meter lang, die Seitengebäude je 30 Meter. Der Anbau von je zwei weiteren Flügeln, der den Speicher auf 230 Meter verlängert hätte, ist aber nicht erfolgt. Damit die Fassade des

Sackträger

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   26   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
Getreidespeichers nicht so monoton wirkt, wurden den flach vorspringenden Pfeilern kapitellartig dekorative Reliefplatten aufgesetzt (vgl. Abb. S. 25/26). Sie stellen die typischen Hafenarbeiter wie Sackträger, Getreideschaufler, Transport- oder Kranarbeiter dar und stammen von dem Berliner Steinbildhauer Hans Köstner. Er schuf auch die Reliefs und Skulpturen an den anderen Gebäuden. 1928/29 errichtete die Kühlhaustransit-AG Leipzig- Hamburg nach Entwürfen von Bruno Paul ein neungeschossiges Kühlhaus. In dem vom Volksmund auch »Eierkühlhaus« genannten Gebäude konnten bis zu 70 Millionen Eier gelagert werden.
     Bis zur Einweihung des Westhafens am 3. September 1923, der etwa die dreifache Größe und mehr als die doppelte Umschlagkapazität hat, war der Osthafen konkurrenzlos größter Umschlagplatz Berlins. Beide Häfen unterstehen der am 26. Februar 1923 gegründeten »Berliner Hafen- und Lagerhaus- Aktiengesellschaft« (BEHALA), der später sämtliche städtische Häfen und Ladestraßen von der Stadt Berlin überlassen wurden.
     Mitte der 30er Jahre betrug der jährliche Warenumschlag im Osthafen – vorwiegend Getreide und Baustoffe – 2,3 Millionen Tonnen. In dieser Zeit erhielt der Getreidespeicher neue maschinelle Ausrüstungen, wurden die Pumpen der Benzintankanlage erneuert, erfolgten zur besseren Nutzung der Freilager Kranumsetzungen.
Getreideschaufler
Während des Zweiten Weltkrieges betrieb die Wehrmacht einen Teil des Güterumschlags, die auch Lagerhallen als Ersatzverpflegungsmagazine gemietet hatte. Mehr als 150 Kriegsgefangene und Fremdarbeiter arbeiteten im Hafen. Die 1940 begonnene Erweiterung des Kühlhauses in Richtung Osten wurde abgeschlossen. 1940 gingen 79 Prozent der Güter per Schiff, 18 Prozent per Bahn und 3 Prozent mit dem LKW ein. Bei Kriegsende war der Osthafen zu 80 Prozent zerstört – Kaimauern, Gleisanlagen, Kräne und Gebäude waren gleichermaßen durch Bomben getroffen. Der Schiffsverkehr war vollständig lahmgelegt. Die Berliner Wasserstraßen waren durch Brückenteile, zerfallene Ufermauern und 258 gesunkene Frachtschiffe blockiert.
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   27   Probleme/Projekte/Prozesse Osthafen  Vorige SeiteNächste Seite
Am 24. April 1945 besetzten Einheiten der Roten Armee den Osthafen. Die vorhandenen Vorräte wurden zu Beutegut erklärt und ab 1. Juni in Kähne verladen. Mit Befehl Nr. 19 vom 12. September 1945 beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsmacht große Flächen des Getreidespeichers, der Lagerhäuser I und II sowie des Verwaltungs- und des Wirtschaftsgebäudes bis Ende 1946 bzw. 1947. Die fahrbare Verladebrücke wurde demontiert. Anstelle von Massengütern wie Baustoffe, Kohle und Koks wurden hauptsächlich dringend benötigte Lebensmittel sowie Reparations- und Demontagegüter umgeschlagen. Im Zuge der Spaltung Berlins wurde der Osthafen Anfang Dezember 1948 aus der gemeinsamen Verwaltung herausgelöst. Der Osthafen und ein Teil des Humboldthafens wurden nun vom Ostberliner Magistrat verwaltet. Ab Juli 1950 leitete eine Frau, Else Lademann, bis zu ihrem Ausscheiden im November 1974 den Berliner Osthafen. Nach wie vor wurde der Betrieb von Lagerei, Speicherei, Umschlag, Hafenbahn und Spedition bestimmt. Waren 1950 424 Personen beschäftigt, davon 249 als Produktionsarbeiter, so sind es 1960 nur noch 238 Beschäftigte, davon 135 in der Produktion.

Hafenwirtschaft im Grenzbereich

Ab 1. April 1961 unterstand der Osthafen der Bezirksdirektion für Kraftverkehr Berlin.

Der 13. August 1961, die Schließung der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin, brachte enorme Belastungen für den regulären Hafenbetrieb: der Osthafen liegt im Grenzgebiet. Grenzsicherung, personelle Einschränkungen, Kontrollen, zusätzliche Baumaßnahmen (Flutlichtanlage für das Gewässer), fehlende Gabelstapler erschwerten den Güterumschlag. Trotz chronischem Arbeitskräftemangel, veralteter Technik (neun Kräne stammen noch aus dem Jahre 1913), Kosten für die Grenzsicherung, trotz des Baus der Elsenbrücke (1968/69), der Flächenverluste für Freilager nach sich zog, trotz Grundmittelausfällen, die zu Zwangspausen und einem eingeschränkten Umschlag führten, trotz der Rekonstruktion von Kaimauer und Freilagern stieg der Güterumschlag stetig. Im Zeitraum 1960 bis 1989 passierten jährlich zwischen 2,2 und 2,8 Millionen Tonnen Güter den Osthafen. Durch den seit 1971 forcierten Wohnungsbau und den Ausbau des Stadtzentrums wurden hauptsächlich Baustoffe benötigt – Berlin wurde aus dem Kahn weitergebaut. Von den im Jahre 1977 verladenen 2,7 Millionen Tonnen waren der Hauptteil Kies, Gipsknorpel, Zement und Splitt. Daneben wurde Glasbruch, Metallschrott und Papier verladen. Ab 1. Januar 1988 gehörte der VEB Binnenhafen Berlin dem VE Kombinat Binnenschiffahrt und Wasserstraßen an. Seit 1969 unterstand er dem VE Kombinat Auto Trans Berlin.
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Das künftige Zentrum für die Einrichtung von Büro- und Arbeitsräumen
Als am 9. November 1989 die Staatsführung der DDR die Übergänge zu West-Berlin und zur Bundesrepublik freigibt, ist ein Wandel vorprogrammiert. Am 1. März 1990 wird der Osthafen eine selbständige Wirtschaftseinheit. Grenzanlagen und -sicherung sind mit der Vereinigung am 3. Oktober 1990 überflüssig. Im Jahre 1991 scheint auch der Osthafen dem Strukturwandel zum Opfer zu fallen. Doch am 1. Januar 1992 wird er in die BEHALA eingegliedert. Diese hat nun wieder alle »Kinder« beisammen: den Osthafen mit Einfallstor vom Oder-Spree- Kanal, den Westhafen in zentraler Lage mit dem größten Getreidelager der Stadt, den Südhafen mit Zugang von Westen vor allen innerstädtischen Schleusen sowie Viktoriaspeicher und Hafen Neukölln mit ergänzender Funktion und Nonnendammallee, der Umschlaganlage für Bauschutt wie auch die letzten drei Ladestraßen Friedrich- Krause- Ufer, Spreebord und Ziegrastraße.5)

Bleibt der Hafen oder bleibt er nicht?

Die Bewerbung Berlins für die Olympiade löste eine kontroverse Diskussion um die künftige Nutzung der Häfen aus. Der Westhafen sollte dem Bau eines neuen Olympiadorfes weichen, der Osthafen in eine Grünfläche umgewandelt werden. Für letzteres plädierte auch der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain. Diese Pläne wurden aber aufgegeben. Berlin ist inzwischen zur größten Baustelle Europas geworden. Beide Häfen sind unverzichtbar. Durch die Grenzöffnung und ihre Folgen wie verkürzte Fahrzeiten und direkte Schiffswege, Regulierungsarbeiten an der Elbe könnten künftig auch Schiffe mit mehr als 1000 Tonnen

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Tragfähigkeit Berlin erreichen. Erst in den nächsten Jahren ist ein neuer Hafen im Bereich Johannisthal geplant, der die Aufgaben des Osthafens langfristig übernehmen könnte.
     Vorerst will man dem Strukturwandel der Häfen Rechnung tragen und das Geschäft den neuen Erfordernissen der Hauptstadt anpassen. Die innerstädtischen Häfen sollen Hauptumschlagplätze für Baustoffe und -schutt werden. Im Osthafen geht es lebhaft zu. Umschlag und Lagerei geben ihm auch weiterhin sein Profil. Montags bis freitags wird von 6 bis 20 Uhr umgeschlagen. Vor allem Baustoffe sind zu bewegen, in größerem Umfang aber auch Schrott und Kohle. Neben 35 Hafenarbeitern sind etwa 250 Mitarbeiter von Speditionen auf dem ehemaligen Stralauer Anger beschäftigt. Fünf Kräne mit einer Tragfähigkeit bis 25 Tonnen, 14 Gabelstapler mit einer Leistung bis 3,2 Tonnen sind heute vorhanden, vier E-Loks bedienen das Anschlußgleis nach Schöneweide. Zwei Betonmischwerke haben sich angesiedelt. Das ehemalige 1993 restaurierte Kraftwerk ist an den Verlag »Neues Deutschland« vermietet. Seit 1995 ist im Gespräch, das Eierkühlhaus und den Getreidespeicher zu einem Gebäudekomplex zu verbinden und als »Business- Design- Center« herzurichten (vgl. Abb. S. 28). Hier sollen 60 bis 70 einzelne Fachhändler alles das zeigen und verkaufen, was zur Ausstattung eines Arbeitszimmers oder Büros
benötigt wird. Das Bezirksamt will aber keinen Baumarkt. Etwa eineinhalb Jahre werden der Umbau und die Sanierung in Anspruch nehmen. Vor den denkmalgeschützten Gebäuden direkt am Ufer in der Nähe der Oberbaumbrücke sollen Cafés und Restaurants entstehen, die auch abends geöffnet sind.

Quellen:
1     Die Straßenbrücken der Stadt Berlin, 2 Bd., Verlag Julius Springer, Berlin 1902, Bd. 1, S. 75
2     50 Jahre BEHALA, Berlin 1973
3     Friedrich Krause: Der Osthafen zu Berlin, Berlin 1913, S. IV
4     Ebenda, S. 47
5     80 Jahre Osthafen, Berlin 1993, S. 42

Bildquellen:
1–3     Friedrich Krause: Der Osthafen zu Berlin, Berlin 1913
4          Werbeprospekt BOTAG

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© Edition Luisenstadt, 1997
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