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Frank Eberhardt
Schöpfer der Spezialkarte von Preußen

Der Geologe Ernst Beyrich (1815–1896)

»Werner – Beyrich – von Koenen – Stille: ein geistiger Stammbaum wegweisender Geologen« überschrieb W. E. H. Carlé 1988 einen Artikel im Geologischen Jahrbuch. Zu Recht wird Ernst Beyrich hier in die erste Reihe deutscher Geologen eingeordnet. Sein wichtigstes Lebenswerk, die geologische Spezialkarte von Preußen, zeugt heute noch von dem vorausschauenden Geist dieses Mannes.
     Heinrich Ernst Beyrich entstammte einer angesehenen alten Berliner Kaufmannsfamilie. Er wurde am 31. August 1815 als dritter Sohn des Seidenfabrikanten Friedrich Beyrich geboren. 1827 trat er in das Gymnasium zum Grauen Kloster ein und verließ es nach vier Jahren mit dem Zeugnis der Reife. Gerade 16 Jahre alt, begann er sein Studium an der Berliner Universität. Er beschäftigte sich besonders mit den Naturwissenschaften, vor allem mit Mineralogie, Botanik und Zoologie. Der Mineraloge Christian Samuel Weiß (1780–1856) beeinflußte ihn so stark, daß er

Ernst Beyrich
sich entschloß, Mineralogie und Geognosie (heute Geologie) zu studieren. Nach fünf Semestern in Berlin ging er an die Universität Bonn, um bei Goldfuss (1782–1848) speziell Paläontologie zu hören. (Paläontologie ist die Lehre von den Tieren und Pflanzen vergangener geologischer Zeiträume sowie ihrer Entwicklung im Laufe der Erdgeschichte.) Hier entschied er sich für die Richtung seiner weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit. Er wandte sich nun ganz der Geologie und zugleich der Paläontologie zu, deren Bedeu-
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tung für geologische Untersuchungen damals zunehmend erkannt wurde.
     Nach Abschluß seines dreijährigen Studiums wollte Beyrich das Gelernte durch eigene Anschauung vertiefen und durchstreifte zwei Jahre lang fast ganz Deutschland und einen großen Teil Frankreichs. 1836 kehrte er nach Berlin zurück, um seine Forschungsergebnisse auszuwerten. Ein Jahr später promovierte er. Danach ging er nochmals auf Reisen, diesmal in die Schweiz, das südliche Frankreich und Italien. 1840 kehrte er zurück und habilitierte sich als Privatdozent an der Berliner Universität.
     Es war die Zeit, als auch in Preußen die industrielle Revolution Konturen annnahm. In England, Frankreich und Belgien ließ der Staat seine Territorien bereits geologisch kartieren. Nun wurde auch in Preußen die Notwendigkeit erkannt, die zahlreichen bisher vorliegenden einzelnen geologischen Untersuchungsergebnisse in geologischen Karten von einheitlicher Art und gleichem Maßstab zu erfassen. (Geologische Karten entstehen durch Beobachtung und planmäßige Geländeaufnahmen über Art, Verbreitung, Lagerung und Altersbeziehungen von Gesteinsgruppen. Diese werden mittels unterschiedlicher Signaturen, Symbole und Farben dargestellt.)
     In einem Ministerialerlaß vom 3. Mai 1841 wurde deshalb festgelegt: »Es ist die Absicht, die geognostischen Verhältnisse der Preussischen Staaten einer näheren Untersuchung
zu unterwerfen, als bisher auf dieselben verwendet worden ist, vorzugsweise um die Verbreitung der Gebirgsarten auf Karten in größerem Massstabe mit der erforderlichen Genauigkeit auftragen zu können.«
     Das bedeutete die geologische Kartierung des ganzen Landes in einheitlicher Weise, eine riesige Aufgabe. Die Arbeiten sollten in Schlesien beginnen, wo schon eine Anzahl einzelner Untersuchungen vorlag. Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Paläontologie und ihrer Bedeutung für die Alterseinstufung der Gesteine waren sie jedoch veraltet. Es war ein Bearbeiter erforderlich, der die neuesten Entwicklungen kannte und neben dem wissenschaftlichen auch das methodische Rüstzeug hatte.
     Die Wahl fiel auf Ernst Beyrich. Damit begann für den Wissenschaftler eine Zusammenarbeit mit der preußischen Bergwerksverwaltung, die ihm 34 Jahre lang bis an sein Lebensende die Möglichkeit bot, praktische Tätigkeit und wissenschaftliche Lehre an der Universität in nützlicher Weise zu koordinieren. Sowohl der Wissenschaft als auch dem Staat konnte er durch diese Verbindung große Dienste leisten.
     20 Jahre dauerte die Kartierung Niederschlesiens im Maßstab 1:100 000, an der Beyrich den größten Anteil übernommen hatte. Allerdings konnte er sich neben seinem Lehrauftrag an der Berliner Universität nur vier Monate in jedem Jahr dieser Aufgabe widmen. Zu der beabsichtigten Kartierung
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Oberschlesiens kam er dann nicht mehr, da er den Auftrag erhielt, die Provinz Sachsen zu kartieren. Ausgehend von seinen bisherigen Erfahrungen hinsichtlich des hohen Zeitaufwandes schlug Beyrich vor, junge Kräfte für die Kartierung heranzuziehen. Er selbst wollte deren Arbeiten revidieren, abgleichen und bei schwierigeren Problemen bei der Lösung mithelfen. 1862 begannen diese Arbeiten.
     Die geologische Feldaufnahme sollte im Maßstab der preußischen Meßtischblätter (1:25 000) erfolgen, während der Druck der geologischen Karten im Maßstab 1:100 000 geplant war. Bereits im Laufe der ersten Arbeiten stellte sich heraus, daß der Kartierungsmaßstab 1:25 000 den Karten einen unvergleichlich höheren Wert verlieh, als ihn die Übersichtskarten besaßen. Der Vorschlag Beyrichs, auch die geologischen Karten im Maßstab der Meßtischblätter zu drucken, wurde jedoch 1864 wegen der dadurch bedingten allzu hohen Kosten abgelehnt.
     Zwei Jahre später konnte er unter veränderten Verhältnissen auf diesen Vorschlag zurückkommen. Jetzt lag eine Anzahl vollendeter, im Maßstab 1:25 000 aufgenommener Blätter vor, welche nicht nur für die Zwecke der geologischen Landesuntersuchung, sondern auch für das Bauwesen und die Landwirtschaft, insbesondere aber auch für den Bau von Eisenbahnstrecken von großer Bedeutung war. So konnte er darauf verweisen, daß es durch diesen Maßstab mög-
lich sei, Grenzen der Grubenfelder, Lage von Bohrlöchern, Gebiete für die Suche nach nutzbaren Mineralien und sogar die Beurteilung der Bodenverhältnisse auch kleinerer Flächen für den Landwirt darzustellen. Das war wichtig, da die geologischen Karten auch verkauft werden sollten.
     Beyrich fand für seinen Vorschlag die volle Unterstützung des seit dem 1. Januar 1866 für die geologische Landesaufnahme verantwortlichen Bergrates Hauchecorne (siehe BM 10/97). Dabei bahnte sich eine Zusammenarbeit an, die lebenslang dauern sollte. Schon im Dezember 1866 erließ der zuständige Minister die Weisung, daß für die herauszugebende Karte der Maßstab 1:25 000 festgelegt wird.
     Diese Entscheidung war von weittragendem Einfluß auf die Ziele und die fernere Gestaltung der geologischen Landesaufnahme. Neben ihrem unbestrittenen Nutzen für den Bergbau und die Wissenschaft wurde schnell die Bedeutung für die wichtigsten Zwecke des wirtschaftlichen Lebens anerkannt. Ernst Beyrich wurde die wissenschaftliche Leitung der geologischen Kartierung des Preußischen Staates übertragen.
     Zugleich wurde er beauftragt, neben seinen Vorlesungen über Geologie und Paläontologie an der Berliner Universität diese auch an der 1860 wiederbelebten Königlichen Bergakademie in Berlin (siehe BM 9/92) zu halten. Bereits 1846 war Beyrich zum außerordentlichen Professor ernannt worden, 1857
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wurde er am Mineralogischen Museum der Universität fest angestellt und 1865 zum ordentlichen Professor ernannt.
     Lehre an der Universität und an der Bergakademie, ab 1873 erster Direktor des Mineralogischen Museums, wissenschaftliche Leitung der geologischen Kartierung Preußens – es ist fast unglaublich, was dieser Mann geleistet hat. Er wurde sogar für das Sommersemester von Vorlesungen entbunden, um sich in dieser für die Kartierung so günstigen Jahreszeit ganz der Landesuntersuchung widmen zu können. 1875 wurde er auch noch zum wissenschaftlichen Direktor der kurz vorher gegründeten geologischen Landesanstalt berufen. Die Koordinierung der von vielen Geologen erarbeiteten Karten, ihre Überwachung und Revision erforderten nicht nur einen hohen Arbeitsaufwand, sondern auch außerordentliche Autorität. Dazu verhalfen ihm seine großen Erfahrungen und die bei zahlreichen Reisen erworbenen Kenntnisse. Unterstützt wurde diese Autorität durch seine Charaktereigenschaften. Seine Kritik war scharf und streng, jedoch stets sachlich und begründet. Sein freundliches Wesen vermittelte zwischen abweichenden Auffassungen und gewann ihm das Vertrauen seiner Mitarbeiter.
     Neben der Kartierung galt Beyrichs Liebe immer der Paläontologie. Bei der Bearbeitung des Tertiärs fand er einen neuen Horizont und benannte ihn »Oligozän«. Dieser Name wurde in die internationale Nomen-
klatur übernommenen. Beyrich war Gründungsmitglied der 1848 ins Leben gerufenen Deutschen Geologischen Gesellschaft. Vom Tage der Konstituierung an bis an sein Lebensende hat er ihrem Vorstand angehört. 23 Jahre hindurch, von 1874 bis 1896, war er ihr Vorsitzender.
     Für seine Arbeit wurden Ernst Beyrich viele Auszeichnungen verliehen. 1853 wurde der 38jährige zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt, 1876 wurde er zum Geheimen Bergrat ernannt. Doch eine der wichtigsten Auszeichnungen war sicherlich die Anerkennung seiner Fachkollegen. Der Internationale Geologenkongreß zu Bologna 1881 beauftragte ihn und den Direktor der Geologischen Landesanstalt, Hauchecorne, mit der Leitung der Arbeiten für eine Internationale Geologische Karte von Europa. 1885 war Beyrich Präsident des III. Internationalen Geologenkongresses in Berlin.
     Auch in seinem privaten Leben erfuhr Beyrich reines Glück. Er heiratete 1848 die Nichte seines verehrten Lehrers Chr. S. Weiss, Clementine Helm (1825–1896), eine zu ihrer Zeit bekannte Jugendschriftstellerin.
     Ernst Beyrich war bis zuletzt wissenschaftlicher Direktor der geologischen Landesaufnahme, er starb am 9. Juli 1896 im Alter von fast 82 Jahren.

Bildquelle: Leipziger Illustrierte Zeitung, Bd. 98, 1892, S. 353 (Archiv des Autors)

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