Analysen . Berichte . Gespräche . Essays

Liebeswerbung als Kult und Kunstform

Im Gespräch mit Nikolai de Treskow

 

Der 1968 in Frankfurt am Main geborene Nikolai verlebt seine Kindheit in Wien und im Tessin. Nach seiner Schulzeit studiert er Englisch und Italienisch am Sprachen- und Dolmetscher-Institut in München und zwischen 1988 und 1992 alte Musik in Straßburg und Arnheim. Er lernt Harfe, Drehleier und Zister spielen. Sein Spezialgebiet ist die mittelalterliche Gesangstechnik. Nach einem zusätzlichen Schauspielstudium in Frankfurt am Main arbeitet er bei einer Vielzahl außergewöhnlicher Theaterprojekte mit, aber seine große Leidenschaft ist die mittelalterliche Minne. Als Nachkomme des preußischen Landadels derer von Treskow hat Nikolai de Treskow Anfang der neunziger Jahre seinen Wohnsitz auf Burg Ziesar und wird Deutschlands einziger Minnesänger. Seine Karriere basiert nicht auf herkömmlichen Interpretationen mittelalterlichem Liedguts: Er holt diese Kultur als ein moderner Barde in unsere Zeit. Seine Begabung in Spiel und Gesang läßt die Minne lebendig werden. De Treskow sagt, daß er nicht für das Lied, sondern für den öffentlichen Flirt bezahlt wird. In den Neunzigern reist er zu vielen Konzerten kreuz und quer durch Europa, und die Zahl der Medieneinsätze ist groß. Als er an einem Tag innerhalb eines Theaterstückes 760 Damen beminnt, wird er im Dezember 1995 bei einer TV-Show offiziell in das Guinness Buch der Rekorde aufgenommen. Im Frühjahr ’96 ist er Gast der letzten Deutschland-Tournee des inzwischen verstorbenen legendären Rockpoeten Rio Reiser. Da für ihn die Flirttempel des 20. Jahrhunderts nicht Burgen, sondern Diskotheken sind, arbeitet er seit 1995 an einem Minne-Techno-Projekt. Im März ’97 präsentiert er seine heutigen Musikvorstellungen mit „In Taberna“ - eine erste Singleauskopplung aus dem in diesem Jahr erscheinenden De-Treskow-Album. Ende 1997 veröffentlicht er sein erstes Buch „Die hohe Kunst der Verführung“ im Campus Verlag. Im August dieses Jahres erscheint ein Kinderbuch, das ans Mittelalter angelehnt ist, mit dem Titel „Rupert von Regenstein“ im Ritschel Verlag.

Herr de Treskow, wir befinden uns in zwei Jahren im dritten Jahrtausend, und Sie verstehen sich als Minnesänger. Ist das nicht ein Antagonismus?

Nein. Wissen Sie, ich glaube, daß wir alle auf der Suche nach einer Identität sind, einer Gralssuche. Mein Weg ist nun mal einer der Minne.

Ist denn dieser Gral, von dem Sie sprechen, metaphorischer oder ganz dinglicher Natur? Anders gefragt: Sprechen Sie von sphärischer Geladenheit oder klarem Realitätsbezug?

Ich begreife den Minnegesang als Sinnbild.

Sinnbild? Wofür denn?

Für Erotik ... Ich bin nicht das, was man schlechthin unter einem Mittelalterfan versteht, obwohl ich meine Brötchen im Mittelalter verdiene. Das verstehe ich nicht als Arbeit, sondern Berufung ... ein Glück ist das, verstehen Sie? Diese Mittelalterszene, wie gesagt Herr Brömsel, ich wiederhole mich ...

Sie wiederholen sich gar nicht; genau das interessiert mich. Was ist denn die Mittelalterszene?

Das ist eine völlig intakte Gesellschaft in der Gesellschaft, mit ihren eigenen Gesetzen, eignen Tabus und eigenem sozialen Netz.

Eine Gesellschaft in der Gesellschaft? Wenn ich recht verstehe, leben sie von der einen, um in der anderen zu existieren, wobei es merkwürdige Überschneidungen zu geben scheint. Da besteht ein Erklärungsbedarf.

In der Mittelalterszene suchen viele Menschen unterschiedlichster Natur und Herkunft einen schöpferischen Freiraum für eine alternative Lebensweise.

Warum gerade Mittelalter und nicht beispielsweise römische Antike oder Biedermeier? Was ist das Faszinierende an dieser Zeit, und was heißt es, mittelalterlich zu leben und Mittelalterliches darzustellen? Geht es darum, Authentizität zu repräsentieren, oder gleicht diese Lebensart eher einer romantischen Sehnsucht nach Verlorengegangenem?

Soviel ich weiß, wird weniger nach Authentizität gestrebt, sondern vielmehr das, was das Mittelalter an Unterhaltungswert zu bieten hatte, spektakulär inszeniert und dargeboten. Es geht darum, wieder verschüttgegangene Emotionen zu wecken. Ich glaube, daß jede Bewegung eine Gegenbewegung auslöst. Wissen Sie, in einer technischen Welt mit Playstations usw. wird das Schachbrett wieder verstärkt Freunde finden. Diesem gleicht die Mittelalterszene: Man sucht wieder das andere Extrem. Sie haben Recht, es ist schon eine rückwärtige Sehnsucht und die Menschen verlangen wieder nach Träumen. Die versuche ich ihnen auf meine Weise zu geben.

Herr de Treskow, sie sind so etwas wie ein Mittelalterstar mit hohem Bekanntheitsgrad durch öffentliche Medien. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrer Arbeit als Minnesänger?

An sich schon, verstehe auch nicht, wie das funktioniert. Ich bin in der Tat ein Grenzgänger zwischen sogenannter Gegenwart und Mittelalter. Dadurch bin ich vielleicht das einzige Gesicht in der Szene, das man in der Öffentlichkeit wahrnimmt. Das heißt natürlich keinesfalls, daß es nicht berühmte mittelalterliche Gruppen gäbe; die haben allerdings ihren Starkult erst nach dem Ausscheiden aus der Szene erworben. Ich habe versucht, das Mittelalter in die Moderne zu tragen, indem ich beispielsweise eine Mittelalter-Pop-CD, ein Buch oder Modeprojekt machte. Mich auf anderen Feldern zu bewegen brachte mich meinen Wurzeln merkwürdig näher. Ich rede hier vom Verwurzeltsein mit der Mittelalterszene und komme biographisch doch von ganz woanders her. Als ich das erste Mal auf einem mittelalterlichen Markt stand, fiel ich fast um vor Schreck. Das war so gruselig ...

Warum vor Schreck?

Es war einfach abstoßend ... Dieser Schmutz und Dreck; da haben Leute gesoffen, sich geprügelt, es öffentlich getrieben ... Ich kam aus einem ganz anderen Umfeld, und da war eine Welt voller Gefahren. Man stelle sich über zwanzig nackte Figuren vor, die sich um ein Eisenrohr aus der Erde, das eine Dusche simuliert, herumschubsen, um etwas Wasser für die körperliche Reinigung zu erhaschen. Wer sich da etwa geniert, bleibt eben schmutzig. Ich stand mit meinem authentischen und sehr sauberen Kostüm da wie ein Kanarienvogel und spürte, daß dieser lärmende Haufen viel dichter am Wissen über diese Zeit war, als beispielsweise universitäre Bildung das jemals vermitteln kann. Die Leute lebten die Zeit, das ist mir klar geworden.

Sie haben im Campus Verlag ein Buch mit dem Titel „Die hohe Kunst der Verführung. Liebe und Kunst nach den Spielregeln der mittelalterlichen Minne“ publiziert. Es wurden bereits über 15 000 Exemplare verkauft, und Ihr Werk steht auf der Bestsellerliste, meinen Glückwunsch. Sie leben einerseits das Mittelalter und setzen sich andererseits theoretisch damit auseinander. Haben Sie ein wissenschaftliches Buch geschrieben, oder treten Sie gewissermaßen als fossiler Zeitzeuge auf?

Dieses Buch hat überhaupt nicht den Anspruch, ein mittelalterliches Fachbuch zu sein. Das war anfangs ein Problem, da es in den Buchhandlungen meist historischen Büchern beigeordnet war und eigentlich ein Text zur Lebenshilfe ist. „Die hohe Kunst der Verführung“ ist für mich ein Versuch und eine Versuchung, die Sexualität des Mannes spannender zu gestalten. Der Mann hat seine Erotik amputiert; sie erscheint mittlerweile reduziert auf Wollen und Durchsetzen, die Zwischentöne sind vielfach zertreten. Man hört immer öfter vom Unverständnis darüber, warum der Mann immer der Aktive sein soll, wohingegen doch die Frauen schließlich so emanzipiert seien. Leider haben diese Männer keine Ahnung davon, daß schon die Liebeswerbung Lust birgt. Wenn man ein Instrument zu erlernen beginnt, macht es meistens keinen Spaß. Erst wenn man damit spielen kann, wenn man sich zu einem Virtuosen des Flirts entwickelt, wird es wirklich lustvoll. Die meisten Männer können mit Sexualität nicht umgehen, weil sie sich selbst zu ernst nehmen und deshalb der Erotik das Spielerische rauben. Wissen Sie, der Minnesang hat die Werbung in der Liebe zur Kunstform erhoben. Diese kann man erlernen wie ein Musikinstrument, in der es ein jeder zu einer Meisterschaft bringen kann. Die Liebeswerbung gilt dort nicht als ein Dienst, der wie eine Fron abzuleisten ist, sondern als ein Lustgewinn, der gar nicht mehr des Aktes bedarf.

Glauben Sie, es sei temporal bedingt - ich spreche von historischem Verschleiß - daß der heutige Mann die subtilen Reize der Liebeswerbung verloren habe, oder machen Sie eher die moderne Zeit mit ihrer Schnelligkeit und technischen Perfektion für die Entzauberung der Sinne verantwortlich?

Das Problem liegt darin, daß, nachdem die Sexualität unter der Bettdecke hervorgelockt wurde und schließlich auf dem Seziertisch landete und jeden Tag bei „Liebe Sünde“, „Piep“ und „Wahre Liebe“, wie diese Endlosschleifen im Fernsehen auch immer heißen, jegliches Geheimnis verdunstete. Dem Mann ist meiner Ansicht nach der Mut zur individuellen Erotik verlorengegangen, er folgt dem Standard, da er das versucht nachzuleben, was die Medien vermitteln.

Schön, was setzen Sie dem entgegen?

Ich propagiere eine bildhafte Sexualität, die nicht so genitalbezogen und auf den Akt fixiert ist. Ich bin gegen den Orgasmuswahn. Sexualität ist für mich etwas sehr Persönliches, etwa so wie man sie vielleicht als Jugendlicher noch empfindet, der sich zu Hause eingeschlossen hat, um mit seinen Gefühlen allein zu sein, und von unerlebten Sensationen träumt. Wenn in diese Phantasiewelt der faßliche Liebesakt hereinbricht, ist häufig Enttäuschung die Folge. Ich möchte wieder Träume vermitteln.

Wie läßt sich denn so eine bildhafte Sexualität praktizieren?

Das ist nicht leicht zu beantworten; ich selbst habe lange gebraucht, meinen Weg zu finden. Vielleicht darf ich etwas aus meiner Vergangenheit erzählen? Ich bin in einem Elternhaus am Lago Maggiore, der Casa di l’amici, aufgewachsen, in dem die freie Liebe praktiziert wurde. Was mir da vorgelebt wurde, machte mich als Kind orientierungslos. Ich sah viele Künstler, die ständig an unserem Frühstückstisch wechselten. Man hatte Geld, nahm Drogen und hechtete immer neuen Ideen hinterher. Ich empfand dies nicht als spannend, obwohl ja auch Geld sehr erotisch sein kann. Ich zog mich in eine Phantasiewelt zurück, in der ich dann meine Sexualität entdeckte.

Wie haben sich Ihre erotischen Empfindungen denn in dieser vorgelebten Welt artikuliert, in einer Welt des Amor liberalis, wenn ich so sagen darf?

Ich hatte mit vierzehn Jahren eine Harfe geschenkt bekommen, und während die andern Jungs Fußball spielten und sich herumtrieben, war ich mit meinem Instrument unter einem Baum zu finden.

Sie haben bereits als Vierzehnjähriger eine sinnliche Beziehung zur Musik entwickelt?

Nein, die Musik war mir damals gar nicht so wichtig. Die Musik war für mich ein Mittel, sie war die einzige Ausdrucksform, mich Mädchen zu nähern. Ich hatte eine Möglichkeit gefunden, Mädchen für mich zu begeistern. Wissen sie, mein Körper war nicht gerade von Adonis geliehen, und ich mußte erfinderisch sein.

Schon im zarten Alter nutzten Sie also die Musik als ein Medium für Liebeswerbung. Heute haben Sie damit großen Erfolg. Hat es schon damals gefruchtet? Wie lief das ab?

Ziemlich kitschig. Ich hatte bei Wein und Kerzen schnulzige Liebesballaden gesungen; mit zwölf zur Gitarre und mit vierzehn zur Harfe. Wenn ich daran denke, werde ich heute schamrot. Aber wenn wir über diese Art Sexualität reden, dann müssen wir auch darüber reden, daß ich die Lust immer nur in der Erschwernis und Gegenwehr empfunden habe. Wenn ich mit einer Flamme händchenhaltend im Park spazierenging und meine Sensation jemandem mitteilte, wurde mir gesagt, daß ich nicht recht ticke. Ich wollte gar nicht mehr, alles andere empfand ich als desillusionierend, langweilig. Oft forcierte ich diesen Abstand; er war dramatisch, und das liebte ich. Die sexuelle Spannung habe ich immer als etwas hoch Anregendes gesucht und sie so lange als nur möglich hinauszuzögern versucht. Das hat mir natürlich auch Nackenschläge eingebracht, weil einige Mädchen den sehr direkten Weg bevorzugten; grundsätzlich aber war ich erfolgreich. Ich versuchte wie die Minnesänger, die das Leid zur Kunst erhoben, aus einer pubertären Traurigkeit einen Lustgewinn zu erzielen.

Sie haben darüber das bereits erwähnte Buch geschrieben, das als eine Lebenshilfe verstanden sein soll. Berlin ist beispielsweise eine Großstadt, wo es unsäglich viel Einsamkeit und Defizit an Liebe gibt. Sie meinen, eine Lebens-, Liebeshilfe geben zu können. Ich persönlich finde es unrealistisch, eine junge Dame in der U-Bahn mit Laute oder Harfe zu beminnen. wie stellen Sie sich das vor?

Man darf nach siebehundert Jahren natürlich nicht so tun, als ob sich die Welt nicht gedreht habe. Heutzutage eine Frau mit Harfe zu beminnen, bedarf es eines geeigneten Rahmens, eines Kamins, einer privaten Atmosphäre ...

Ich selbst, wenn ich sie kurz unterbrechen darf, wohne in Neukölln und bin leider kein Harfenist. Meine Stimme ist alles andere als wertvoll zu nennen, und ich besitze auch keinen Kamin und dergleichen. Was könnte ich denn meinerseits, bitteschön, tun?

Es gibt keine allgemeingültigen Tips, wie man Frauen betört. Am liebsten würden die Leute von mir ein Buch mit dem Titel „Abschleppen leicht gemacht“ in die Hand bekommen. Jede Frau möchte sich eigen begeistern lassen ...

Aber Sie richten doch Ihr Buch an eine anonyme Leserschaft. Raten sie da nicht pauschal? Wie sieht Ihre Lehre aus?

Wenn man versteht, daß die Kultur und nicht die Biologie die Sexualität bestimmt, dann ist man auf dem Wege, Lustvolles durch Gestaltung und Nuancierung zu erfahren.

Sie leben zurückgezogen auf einer Burg im Brandenburgischen, umgeben von einer Moorlandschaft, weitab von Getriebe und Lärm. Trotzdem machen Sie Pop-Musik. Wie verträgt sich das, und was hat das mit einem Minnesänger gemein?

Wollte man mittelalterliche Musik original wiedergeben, müßte man auch das Publikum rekonstruieren. Wir kommen dem Original näher, wenn der Musik der spröde Charme genommen wird und wir ihr die Ursprünglichkeit und Modernität zurückgeben, die sie damals gehabt haben muß. Das ist natürlich ein Spagat, der nicht immer gelingt. Wenn aber diese Musik mit der Sprache des 20. Jahrhunderts gemischt wird, dann fangen vielfach über Jahrhunderte zu Kristall gefrorene Emotionen wieder zu hüpfen an. Das ist natürlich nicht leicht. Die mittelalterliche Musik gleicht der Architektur einer Kathedrale, und sie einfach zu samplen wäre etwa, wie eine Plastikpuppe in den Kölner Dom zu stellen. Dafür muß man die Musik verstehen lernen. Die mittelalterliche Musik ist sehr durchkonstruiert. Es gibt immer wiederkehrende lineare Läufe, was strukturell der Minimalmusik des 20. Jahrhunderts ähnelt. Ich versuche diese Strukturen zu vereinfachen und zusammenzufassen. Ich will nicht, wie beispielsweise die Gruppe „Enigma“, bestimmte Motive herausgreifen und diese dann wie eine Blüte ins Haar stecken. Die Musik soll bei mir in den Grundbausteinen erhalten bleiben; das ist harte Arbeit, die auch nicht immer gelingt.

Ein anderes Problem ist die Aufführungspraxis. Die Musikhistoriker, die behaupten, daß es damals so oder so geklungen habe, lügen meines Erachtens. Keiner weiß, wie es wirklich geklungen hat. Der Minnesang ist nicht auf dem Schreibtisch, sondern auf den Rücken der Pferde geschaffen worden. Bei den endlosen Ritten von Burg zu Burg bestimmte dann der Schritt des Tieres den Rhythmus des Liedes. Es ist eine Musik des Landes und der Pferderücken, die sehr natürlich aus dem Leben geschöpft war und sich genauso in es ergoß. Die Tabulaturen haben deshalb auch keine Taktstriche. Das ist ganz hübsch ... der Rhythmus erschließt sich durch die Metrik des Wortes und den Fuß des Pferdes. [De Treskow singt.]

Sie sagen, Minnesang lebe von der Aufführungspraxis. Schneidern Sie sich eine individuelle Aufführungspraxis aus alten Texten und überlieferten Harmonien zu, oder versuchen Sie, möglichst authentisch nachzuempfinden? Wäre etwa das eine willkürlich und das andere steril zu nennen?

Über Willkür oder Sterilität denke ich gar nicht nach. Wozu? Wissen Sie, allein die Texte sind vital und muten sehr exotisch an. Sie sind in lateinisch, mittelfranzösisch, mittel- und niederhochdeutsch geschrieben worden und lösen in uns schon grundsätzlich eine gewisse Sehnsucht nach Vergangenem aus. Die Texte muß man gar nicht unbedingt verstehen. Ich transportiere sie an Hand der Stimme und meinem anderen zur Verfügung stehenden Instrumentarium. Die Minnesänger sprachen damals vom Pfeil des Auges, Lächeln der Wangen, Geheimnis der Stirn und Flehen der Lippen, um mit ganzem körperlichen Einsatz die Frau in höhere Sphären der Erotik und Sinnlichkeit zu entführen.

Was haben denn Frauen, die zufällig auf eine mittelalterliche Burg gelangen und Sie dort singen hören, für Möglichkeiten, Sie zu verstehen, Ihre Intentionen zu begreifen?

Ich muß immer ein wenig aufpassen, die Zuschauer nicht zu desillusionieren. Sie leben mit Selbstverständlichkeit im 20. Jahrhundert, tauchen plötzlich in eine Welt der Vergangenheit und verlangen von den Akteuren nicht nur eine perfekte Darstellung, sondern daß diese auch privat so leben und sich wie auf der Bühne zu gerieren haben. Das ist ein Problem. Die Zuschauer sind oft enttäuscht, wenn sie mich nicht auf einem Pferd davonreiten sehen oder mich mit normalem Anzug im Supermarkt erwischen.

Sie tragen die Minne auf die Bühne und versuchen Frauen zu belagern, wie andere im Trojanischen Krieg zehn Jahre eine Stadt. Mit der Kraft und Beständigkeit des Wortes ...

Nein, ich belagere niemanden; ich versuche, um eine Frau einen Turm zu mauern, um ihn dann bis zum letzten Stein zu schleifen.

Sie ziehen mit der Harfe von Schloß zu Burg durch die Lande. Da bringt Ihr Beruf eine gewisse Pikanterie mit sich. Sehen Sie das Minnen von der Bühne als eine artifizielle Angelegenheit, von der Sie leben, oder geht Ihre künstlerische Offenheit auch weiter?

Insofern man sich in fünf Minuten von der Bühne verlieben kann ... Ich werde mit den Jahren professioneller. Es folgt eben nicht mehr zwangsläufig nach der hohen Minne die niedere im Wohnwagen, wenn Sie das meinen. Das ist im übrigen auch langsam mit der Sicherheit meines Lebens verbunden. Je bekannter man wird, desto weniger darf man sich erlauben. Oder vielleicht gerade? Ich weiß es nicht. Irgendwo bin ich auch ein Hasenfuß. Ich liebe das knisternde Vorspiel, die Erotik des Anfangs und verehre beispielsweise die Exerzitien der Liebe eines Ulrich von Lichtenstein. Der beschreibt, was es heißt, neben einer Frau zu liegen, sie die ganze Nacht nicht zu berühren und diese besondere Lust bis zur Ekstase auszukosten. Meist ist es so, daß ich mir die Frauen heraussuche, die ich tatsächlich begehre und diese stimmuliere ich dann auf der Bühne. Oder ich nehme mir Frauen und mache sie mir begehrenswert. Oft bedarf es gar nicht einmal ihrer Anwesenheit. Wie auch immer, die Liebeswerbung birgt unendliche Lust und Gefahren.

Vermitteln sie da nicht Tantalosqualen? Der Liebesgenuß hat natürlich immer etwas mit Stimulanz zu tun, die aber als solche immer zur Explosion strebt ...

Darf ich da kurz unterbrechen? Ich rede von einer Sexualität geistiger Dimension. Dort kommt es wirklich zur Explosion, so als ob man einen Joint rauchte. Man hat mir vorgeworfen, ich sei naturstoned. Das mag sein, jedenfalls benötige ich keine Drogen. Das Geistige strebt nicht immer zur Auflösung im Körperlichen. Das ist übrigens auch sehr gesund, wenn es nicht gerade zum Wahn, zum süßen Minneleid führt, das bis in den Tod treibt.

Ist der Kult des Minnesanges nun eine Entspannung oder Entsagung, ein Korrelat oder Gegensatz zur körperlichen Liebe?

Auf jeden Fall eine Bereicherung. Ohne die geistige Liebe ist der Akt sinnentleert. Ich möchte die Menschen anhalten, wieder die Welt des Scheins zu beherrschen und die Wirklichkeit zu entkäften lernen. Damit wird man eine neue Dimension von Eroberungen machen können. In der Liebe ist alles Phantasie und die Welt des Scheins bedeutet ihre stärkste Kraft.

Entschuldigen Sie bitte, ich wurde während unseres Gespräches unfreiwilliger Zeuge sehr realistischer Situationen. Ihr Telefon klingelte mehrmals, und der eingeschaltete Anrufbeantworter ließ lautstark und sehr persönlich den Unmut zweier, vermutlich junger Damen vernehmen. Eine indiskrete Frage zum Abschluß: Waren das Verkündungen aus einer Phantasiewelt?

Erlauben Sie mal ...

Herr de Treskow, ich bedanke mich für das Gespräch.

Sven Brömsel sprach mit Nikolai de Treskow


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite