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Eberhard Fromm
Engagierte Berliner als Ehrenbürger

In der langen Geschichte der Berliner Ehrenbürgerschaft stellt die Zeit zwischen 1901 und 1918 eine einzigartige Ausnahme dar. Der Ehrentitel wurde damals nämlich ausschließlich an verdiente Kommunalpolitiker der Stadt vergeben. Kein Minister, kein hoher Staatsbeamter, kein sieggewohnter General, von denen die Liste der Ehrenbürger seit 1813 nur so wimmelt, werden in dieser Zeit für würdig befunden.
     Das begann bereits 1900, als mit dem Stadtverordnetenvorsteher Paul Langerhans (1820-1909) und dem Stadtschulrat Heinrich Bertram (1826-1904) zwei Kommunalpolitiker geehrt worden waren. Nach einer kleinen Pause erfolgten dann zwischen 1904 und 1915 sieben Auszeichnungen, die sich in dieser Zusammensetzung von allen früheren und auch späteren Etappen der Verleihung der Ehrenbürgerwürde deutlich abheben.
     Typisch ist die Auszeichnung von Paul Michelet. Geboren wurde er am 26. Oktober 1835 in Berlin. Damit gehört er zu den wenigen - bis heute rund zwanzig - Ehrenbürgern, die tatsächlich aus Berlin stammen. Sein Name weist ihn als Angehörigen hugenottischer Einwanderer aus.


Paul Michelet

 

Der Vater Louis war nicht nur ein erfolgreicher Pelzwarenfabrikant, sondern auch ein engagierter Kommunalpolitiker. Mehr als 24 Jahre hatte er die Funktion eines Bezirksvorstehers inne. Er sorgte dafür, daß sein Sohn eine solide Schulbildung erhielt und sich im väterlichen Betrieb, aber auch in London und Paris eine gediegene Berufsausbildung aneignete. Schon 1861 Mitinhaber des Famlienunternehmens, führte er es nach dem Tod des Vaters 1870 erfolgreich weiter und gab die Geschäftsführung erst 1899 aus den Händen.

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Paul Michelet hatte bei seinem Vater aber nicht nur gelernt, wie man ein Unternehmen leitet; er folgte ihm auch in den kommunalpolitischen Aktivitäten nach. So wirkte er zwischen 1873 und 1881 als Bezirksvorsteher und gehörte auch der Generaldirektion der Waisenverwaltung der französischen Kolonie an. Seit 1887 war er Stadtverordneter und engagierte sich hier vor allem im Rechnungs- und Etatausschuß sowie bei der Verwaltung der städtischen Markthallen. In dieser Arbeit erwarb er sich das Vertrauen seiner Mitstreiter, so daß man ihn 1894 als Stellvertreter des Vorstehers der Stadtverordnetenversammlung wählte. Seit 1908 übte er das Amt des Stadtverordnetenvorstehers aus. Erst nach dem Ersten Weltkrieg zog er sich - wegen seiner Ruhe und Sicherheit hochgeachtet - aus seinen Ämtern zurück; er verstarb im Jahre 1926. Der Ehrenbürgerbrief für Paul Michelet, ausgestellt am 20. Januar 1914, betonte insbesondere sein gerechtes und unparteiisches Wirken.
     So typisch der Ehrenbürger Michelet als kommunalpolitischer Aktivist für diese Zeit war, so untypisch war seine soziale Stellung. Er war als 51. Berliner Ehrenbürger der erste Repräsentant der Berliner Wirtschaft. Und untypisch sollte diese Auswahl bis heute bleiben. Denn nach Michelet wurden aus Unternehmer- und Wirtschaftskreisen nur noch 1926 der Fabrikant Hermann Bamberg (1846-1926) und 1998 Edzard Reuter (geboren 1928, BM 1/99) geehrt. Wenn man bedenkt, welche Rolle Unternehmer und Bankiers in der Entwicklung Berlins gespielt haben,
dann nimmt sich diese geringe Zahl recht seltsam aus. Daß Berlin sich dagegen seit 1813 mit zwanzig deutschen und ausländischen Präsidenten, Ministerpräsidenten und Kanzlern geschmückt hat, verweist auf eine gewisse Fragwürdigkeit bei der Auswahl Berliner Ehrenbürger.
     In den ersten beiden Jahrzehnten unseres Jahrhunderts war man sich da seiner Sache viel sicherer, wenn man allein die realen Verdienste um die Stadt zum ersten Kriterium für die Wahl eines Ehrenbürgers erhob. Geehrt wurden deshalb 1904 bzw. 1912 die beiden Oberbürgermeister Arthur Johnson Hobrecht (1824-1912) und Martin Kirschner (1842-1912). Es sollten für lange Zeit die einzigen Oberbürgermeister Berlins bleiben, die die Ehrenbürgerwürde erhielten. Erst 1967 wurde sie an Friedrich Ebert (1894-1979) in Ost-Berlin und 1970 an Willy Brandt (1913-1992, BM 11/94) vergeben, doch war bei Brandt wohl eher der Bundeskanzler gemeint als der frühere Regierende Bürgermeister.
     Arthur Hobrecht (BM 4/92) hatte sich in seiner knappen Amtszeit zwischen 1872 und 1878 besondere Verdienste um den Ausbau der Ringstraßen nach dem Wegfall der Stadtmauer sowie um die Anlage der Kanalisation erworben. Dabei konnte er sich auf die Pläne seines Bruders James Hobrecht (1825-1902, BM 1/93) stützen. Martin Kirschner (BM 6/98) gehört mit Heinrich Wilhelm Krausnick (1797-1882), Max von Forckenbeck (1821-1892), Friedrich Ebert (1894-1979) und heute Eberhard Diepgen (geboren 1941) zu den Berliner Bürgermeistern, die länger als ein Dutzend Jahre im Amt waren.
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Von 1898 bis 1912 herrschte in Berlin unter seiner Amtsführung eine rege Bautätigkeit, das Verkehrswesen wurde modernisiert, und auch dem Schulwesen galt seine Aufmerksamkeit. Nur in seinem Ringen um eine Großgemeinde Berlin blieb ihm der Erfolg verwehrt.
     Mit Albert Friedrich Wilhelm Haack (1832-1906), Carl Arnold Marggraff (1834-1915) und Ferdinand Strassmann (1838-1931) kamen 1905, 1911 und 1915 drei Berliner Stadträte zu Ehrenbürgerwürden. Bei Haack (BM 9/97), der sich vor allem um die Berliner Wasserwirtschaft bemühte, fällt seine langjährige Dienstzeit ins Auge. Zwischen 1869 und 1904 war er ununterbrochen als unbesoldeter Stadtrat tätig. Seine Arbeit setzte Marggraff (BM 5/97) fort, so daß bei seiner Ehrung sein Bemühen um die Berliner Kanalisation und Frischwasserversorgung besonders hervorgehoben wurde. Unbesoldet wirkte auch Strassmann (BM 4/99) viele Jahre, wobei der Mediziner sich im Sanitätswesen und anderen Bereichen der Gesundheitspflege der Stadt engagierte. Daß mit ihm ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde von Berlin zum Ehrenbürger gewählt wurde, spielte aus Sicht seiner Zeitgenossen keine besondere Rolle. Die Verdienste waren es, die hier geehrt wurden.
Schließlich kamen Ehrenbürger dieser Zeit auch aus den Reihen der Stadtverordnetenvorsteher. Neben Paul Michelet war das Oskar Cassel (1849-1923), der für seine Arbeit als stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher 1914 ausgezeichnet wurde (BM 3/96).
     Die Geschichte der Berliner Ehrenbürgerschaft widerspiegelt auf ganz besondere Art den Entwicklungsstand der städtischen Selbstverwaltung, das Selbstbewußtsein seiner politisch aktiven Persönlichkeiten und natürlich auch das jeweilige Kräfteverhältnis zwischen den verschiedenen politischen Strömungen. Für die letzten zwei Jahrzehnte des deutschen Kaiserreiches zeigt sich dabei das erstaunliche Bild einer selbstbewußten Kommune. Der Berliner Ehrenbürger dieser Jahre war kein schmückendes Beiwerk der Kaiserstadt, sondern engagierter Stadtbürger. Diese Persönlichkeiten haben sich die Ehrenbürgerschaft durch aufopferungsvolle Arbeit für ihre Stadt erworben.

Bildquelle: Die Woche. Moderne Illustrierte Zeitschrift, Bd. I, Nr. 2, 11 Januar 1908

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
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