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Joachim Thurn
Drehbeginn zu »Metropolis« in Berlin

Die Berliner Presse informierte damals nur lapidar über die Arbeit an einem der berühmtesten und zugleich umstrittensten Stummfilme Deutschlands: »In den Filmanlagen der UFA zu Neubabelsberg schreiten die Aufnahmen für Fritz Langs nächsten Großfilm »Metropolis« in flottem Tempo fort«.1) Gemeinhin wird der 22. Mai 1925 als Termin für den Beginn der Dreharbeiten angesehen.
     Olaf Brill und Thomas Schultke geben in »The Internet Source Book for Early German Film« dieses Datum an; ebenso Klaus Kreimeier.2) Eine andere Datierung ist nur durch den knappen Bildtext: »Der Regisseur Fritz Lang bei den Dreharbeiten für den Film »Metropolis«, die vom 22. März 1925 bis zum 30. Oktober 1926 in den zum Filmatelier umfunktionierten Staakener Zeppelin- Werken stattfanden« in einer Publikation belegt.3) Das dazugehörende Foto, Regisseur Fritz Lang (1890-1976) bei Arbeiten an einer Filmkamera zeigend, wurde einem Staaken- Führer entnommen.4) Auf dem Bild sind Ort und Zeit der fotografischen Aufnahme nicht eindeutig erkennbar.

     Fest steht: das Datum für die Abnahme des Films durch die Berliner Zensurbehörde war der 13. November 1926. Die Premiere fand am 10. Januar 1927 im UFA-Palast in der Hardenbergstraße 29 statt. Rechnet man 17Monate Produktionszeit (über die Einigkeit bei den Autoren besteht) zurück, erscheint der 22. Mai plausibel.
     Gedreht wurde an zwei Standorten: in Babelsberg und im Spandauer Ortsteil Staaken. Dort befand sich damals das größte Berliner Filmatelier. Der Hintergrund war: am 9. Juli 1915 wurde durch die Luftschiffbau Zeppelin GmbH, einer Tochter der Friedrichshafener Zeppelin- Werke, ein Gelände erworben, wo auf Anordnung des Kriegsministeriums Luftschiffe für militärische Zwecke gebaut wurden. Am 13. März 1918 war nach dem zwölften Luftschiff, dem L109 für die Kriegsmarine, damit Schluß. Bevor jedoch die zwei riesigen Fertigungshallen errichtet wurden, hatten russische Kriegsgefangene das sumpfige Gelände trockenzulegen, erinnerte sich der damalige Zeppelin- Generaldirektor Alfred Colsmann (1873-1955). Aufgrund der Bestimmungen der Alliierten Entwaffnungskommission im Rahmen des Versailler Friedensvertrages mußte jedoch im Juni 1922 die südliche größere der beiden Fertigungshallen gesprengt und abgebrochen werden.
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Die den Zeppelinwerken verbliebene, seit dem Ende des Ersten Weltkriegs leerstehende Halle wurde am 12. August 1923 von den neugegründeten Großfilmwerken Staaken AG, einer Filmateliergesellschaft des Filmproduzenten und Regisseur Hans Neumann, zum Großstudio umgebaut, mit vier Ateliers in der sogenannten Ringbahnhalle (zwischen 1400 und 2100 Quadratmeter Grundfläche) und zwei weiteren in der 42 Metern hohen Großen Halle (4000 bzw. 6000 Quadratmeter).
     Waren 1920 noch die Johannisthaler Film- Anstalten GmbH (Jofa), in den ehemaligen Albatros- Werken als größtes Atelier der Welt bezeichnet worden, war der in Staaken zur Verfügung stehende Aufnahmeraum achtmal so groß wie die Bodenfläche sämtlicher damaliger Berliner Filmateliers zusammengenommen.


Regisseur Fritz Lang bei Dreharbeiten zu dem Film »Metropolis«, die vom 22. März 1925 bis zum 30. Oktober 1926 in den zum Filmatelier umfunktionierten Staakener Zeppelin- Werken stattfanden.
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Innenbauten bis zu 28 Meter mit massivem Rundhorizont von 60 Metern Breite, welcher der zunächst im Krieg erprobten Scheinwerfertechnik geeignete Möglichkeiten bot, konnten in der ehemaligen Zeppelinhalle problemlos realisiert werden.5) Staaken wurde für kurze Zeit zum Mekka des sog. Großfilms. Ein Drittel der deutschen Filmproduktion, darunter »Der heilige Berg« (1926) mit Leni Riefenstahl ist hier gedreht worden.
     In der großen Zeppelin- Halle wurde ein großer Teil der Einstellungen zu »Metropolis« gedreht. Gesichert ist, daß die Szenen mit der sog. Herz- Maschine des Architekten Erich Kettelhut, die eine wichtige Rolle in dem futuristisch angehauchten Film spielte, hier entstanden. Die Zeppelin- Bau GmbH konnte doppelt kassieren: für Mieteinnahmen und für den Bau von Filmkulissen. Ihre Rangierlokomotive, vervollständigt durch Boiler und Ventile, lieferte beispielsweise den effektvoll eingesetzten Rauch für jene gewaltige Super-Herz- Maschine; den »Moloch«, der mit Menschenopfern gefüllt wird.
     Zum Inbegriff und Synonym der deutschen Filmindustrie wurden neben Staaken die Ateliers von Neubabelsberg im Südwesten Berlins

Die Wolkenkratzer der Oberstadt

(heute Potsdam- Babelsberg, Land Brandenburg). Hier errichtete die Ufa die 1926 fertiggestellte Große Aufnahmehalle (seit 1991 Metropolis- Halle) in Eisenkonstruktion, massiv ausgemauert, 123,5 m lang, 56 m breit, 14 m hoch bis zu den Laufstegen.

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In den warmen Studios (Staaken war nicht beheizbar), und vermutlich nicht in Berlin, ließ Lang in wochenlanger Kleinarbeit das Modell der »Metropolis«- Maschinenhalle bauen, um es dann für eine Zehn-Sekunden- Sequenz in die Luft zu jagen. Die unterirdische sog. Arbeiterstadt des Films war ein großer Außenbau auf dem Gelände und wurde in Teilen noch bis in die dreißiger Jahre benutzt.
     Der Stoff für den Film war einem Roman der erfolgreichen Drehbuchautorin und damaligen Ehefrau Langs, Thea von Harbou (1888-1954), entnommen. Fritz Lang hat an der Abfassung mitgewirkt. Sie bemerkte dazu, daß ihr Buch kein Gegenwarts- oder Zukunftsbild sei und nirgendwo spiele. Es diene keiner Tendenz, keiner Klasse, keiner Partei. Dieses Buch sei ein Geschehen, welches sich um die Erkenntnis rankt: Mittler zwischen Hirn und Händen müsse das Herz sein. Fritz Lang meinte später zu dem Film: »Die Hauptthese war von Frau von Harbou, aber ich bin wenigstens zu fünfzig Prozent verantwortlich, weil ich den Film gemacht habe. Ich war damals nicht so politisch bewußt, wie ich es heute bin. Man kann keinen gesellschaftlich bewußten Film machen, in dem man sagt, der Mittler zwischen Hand und Hirn sei das Herz - ich meine, das ist ein Märchen - wirklich. Aber ich interessiere mich für Maschinen ...«.
     Um was ging es in dem utopischen Film? Im höchsten Raum eines Wolkenkratzers der Oberstadt herrscht eiskalt der Technokrat Johann Fredersen (Alfred Abel).
Sein Sohn Freder (Gustav Fröhlich) vergnügt sich unterdes in einem luxuriösen Garten. Jedoch in den Kellern einer unterirdischen Arbeiterstadt verrichten stumm leidende Vertreter der minderwertigen Rasse - menschliche Automaten mit gekrümmtem Rückgrat - an riesigen Maschinen sinnlose Arbeit. Maria (Brigitte Helm), die Arbeiterführerin, gewinnt die Zuneigung von Freder. Sie propagiert eine These von der Vermittlung von Hirn (Kapital) und Hand (Arbeiterklasse) durch das Herz. Freder erzählt davon seinem Vater. Dieser wittert eine Verschwörung und läßt den Wissenschaftler Rotwang (Rudolf Klein-Rogge) einen Roboter mit Marias Gesichtszügen versehen, um die Arbeiter zu manipulieren. Der Maschinenmensch (die falsche Maria), von Rotwang programmiert, hetzt jedoch den Janhagel zur Zerstörung der Versorgungsmaschinen auf. Als Folge bersten die Dämme und die Unterstadt versinkt in den Wassermassen. Die falsche Maria wird darauf von den aufgebrachten Arbeitern auf dem Scheiterhaufen verbrannt. (Die Überschwemmungsszenen in der Unterstadt fanden auch im Staakener Wasserbassin statt.) Unterdes rettet die echte Maria die Kinder der Arbeiter und Freder besiegt den wahnsinnigen Rotwang auf dem Dach einer Kathedrale. Jetzt wird er zum Mittler zwischen seinem Vater und dem Vertreter der Arbeiter. Der Kapitalist Frederson und der Werkmeister Groth (Heinrich George) reichen einander die Hände, als Zeichen des sozialen Friedens und der Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit.6)
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Massenszene aus »Metropolis«
     »Unter den Vorzeichen von Produktion und Zerstörung bildete sich, unter der Vorherrschaft der Ufa auf einer höheren Stufe kapitalistischer Phantasieproduktion, eine Filmfabrikationsstätte neuen Typs heraus. Die Beschleunigung von Kapitalakkumulation und Kapitalverwertung im kinematographischen Gewerbe, die rasante Entwicklung auf technischem Gebiet, all das kam zusammen und kristallisierte sich um ein Großprojekt, das in der Filmgeschichte keine Vorgänger hatte«.7) Im Jahr 1925, dem Drehbeginn von »Metropolis« wurden allein 47 Titel als Ufa-Filme ausgewiesen. Fritz Langs Vision einer Großstadt im Jahre 2000, die teuerste Ufa- Produktion in der Weimarer Republik, sollte eine Million Mark Gewinn einspielen, wurde aber nicht zuletzt wegen ihrer gigantomanischen Dimension zum größten Verlustgeschäft des Konzerns.
     Der junge Luis Buñuel (1900-1983) hielt für den Hauptfehler des Films (im Vergleich mit Eisensteins (1898-1948) »Panzerkreuzer Potemkin«): »Er (Lang) hat einen einzigen Schauspieler vergessen, der allerdings ganz neu und voller ungeahnter Möglichkeiten ist: die Masse. Dieser Schauspieler wäre dem Thema sehr angemessen gewesen.
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Dafür haben wir hier nur eine Menge Figuren voll oberflächlicher und vulgärer Emotionen, angefüllt mit einem Symbolismus, dem sie nicht einmal gerecht werden«.8) Massenszenen hatte Langs Film genügend: die Besetzungsliste verzeichnete immerhin 25000 Komparsen, 11000 Komparsinnen, 1100 Kahlköpfe, 750 Kinder, 100 Dunkelhäutige und 25 Chinesen. Bei der Gruppe der Arbeiterfrauen spielte übrigens Helene Weigel (1900-1971) mit.
     Dieser Film aus den letzen Jahren der Stummfilmära war ein Film der Superlative, besonders aufgrund der einzigartigen neuesten Kameratricktechnik, wie dem Schüfftan- Verfahren. Der nach seinem Erfinder, Eugen Schüfftan (1893-1977), benannte Spiegeltrick gehört zu den wichtigsten und bekanntesten Filmtricks der Kinematografie überhaupt.

Quellen:
1 Berliner Tageblatt, Nr. 32/25, Berlin 1925
2 Klaus Kreimeier, Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1992, S.119f, S.183ff
3 Wolfgang Ribbe, Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Band 6: Spandau. Colloquium Verlag, Berlin 1991, S. 107

4 Rainer W. During, Flugplatz Staaken. Ein Stück Luftfahrtgeschichte, Erich Lezinsky Verlag, Berlin 1985
5 Jürgen Schebera; Damals in Neubabelsberg, Edition Leipzig 1990, S.. 49
6 Georges Sadoul, Geschichte der Filmkunst. Schönbrunn- Verlag, Wien 1957, S. 163f
7 Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films. Band 1, Henschelverlag, Berlin 1975
8 Luis Buñuel, in: Gazeta Literaria de Madrid, 1927 Stiftung Deutsche Kinemathek (Hrsg.), Babelsberg. 1912 Ein Filmstudio 1992. Argon Verlag GmbH, Berlin 1992

Bildquelle: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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