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Frank Eberhardt
Karl August Lossen, »der wilde Mann«

Er schuf die erste Baugrundkarte Berlins

Karl August Lossen wurde am 5. Januar 1841 in Kreuznach geboren. Sein Vater war dort Badearzt. Beide Großväter waren im Hüttenwesen tätig, auch der junge Lossen wollte Bergbau studieren. Zwei Jahre war er als Praktikant tätig, dann bezog er die Berliner Universität und studierte gleichzeitig an der Berliner Bergakademie. Nach zweijährigem Aufenthalt in Berlin setzte er sein Studium noch ein Jahr in Halle fort und schloss es mit einer Promotion über die Geologie des Taunus ab.
     1866 begann Lossen seine Tätigkeit als Geologe an der Preußischen Geologischen Landesanstalt. Seine Aufgabe wurde die geologische Kartierung des Harzes, der er sich sorgfältig und ideenreich widmete. Mit zahlreichen Publikationen und Karten stellte er die Ergebnisse seiner Arbeiten vor. Sein wichtigstes Werk ist wohl die geologische Übersichtskarte des Harzes im Maßstab 1: 100 000, die 1877 erschien. Damit wurde zum ersten Mal eine Grundlage des in geologischer Hinsicht verwickeltsten Gebirges Deutschlands geschaffen, an dem sich auch in den folgenden Jahrzehnten noch viele Geologen ihre Sporen verdienten.

Doch für die Berliner ist die von Lossen erarbeitete - man kann sagen erste Baugrundkarte der Stadt - wichtig. Noch 1860 war die Entsorgung der Abwässer völlig unzureichend. Bei jedem Haus befand sich eine Sickergrube, in der alle Fäkalien gesammelt wurden. Etwa halbjährlich erfolgte die Entleerung. »Das waren gefürchtete Tage. Besaß man Tapeten auf Bleiweißgrundlage und vergaß, die Fenster zu schließen, wurden die Tapeten schwarz. Auf den Straßen floss träge in tiefen Rinnen (Rinnsteine) Schmutz und Kot direkt in die Spree.«1)
     Schon 1861 war deshalb ein erster Entwurf zum Bau einer Kanalisation vorgelegt, jedoch wegen der hohen Kosten abgelehnt worden. 1867 kam es nach weiterer Verschlechterung der hygienischen Zustände zur Bildung einer besonderen Deputation »für die Untersuchung der auf die Kanalisation und Abfuhr bezüglichen Fragen«. 1869 schließlich hatte der Privatdozent an der Berliner Universität und Mineraloge Albrecht Kunth (1842-1871) vom Magistrat den Auftrag erhalten, »die Beschaffenheit des Baugrundes auf den Strecken kennenzulernen, welche die Canalsysteme zur Reinigung und Entwässerung der Stadt voraussichtlich durchlaufen sollten.«2) Im gleichen Jahr begannen nicht nur Versuche zur Verwertung der Abwässer, sondern auch Bohrarbeiten zur Untersuchung des Untergrundes, in dem die Kanalisationsrohre verlegt werden sollten. Die Bohrungen wurden in von Nord nach Süd die Stadt durchquerenden Linien angeordnet. Kunth verstarb bald nach Beginn der Arbeiten an einer Kriegsverletzung.
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Im Februar 1871 wurde deshalb Karl August Lossen mit der Fortsetzung betraut.
     Aus 260 Bohrungen hatte Kunth bereits über 7000 Proben untersucht. Lossen ließ nochmals 56 Bohrungen niederbringen, aus denen weitere 1699 Proben gewonnen wurden. Diesen gesamten Komplex musste er auswerten. Dabei kam er zu folgendem Schluss:
     - Die im mittleren, niedrig gelegenen Stadtgebiet geteuften Bohrlöcher stehen durchweg im jüngeren (alluvialen) Flachlandboden. (Alluviale Schichten sind die jüngsten Ablagerungen des Quartärs, d. h. der geologischen Gegenwart.)
     - Die in den nördlich und südlich davon höher gelegenen Stadtteilen sowie die in Schöneberg und Rixdorf gestoßenen Bohrlöcher stehen durchweg im älteren (diluvialen) Flachlandboden. (Diluvium ist der ältere Ausdruck für das Pleistozän oder Eiszeitalter.)
     Damit war der allernächste Zweck, Kenntnis von der Beschaffenheit des Baugrundes der geplanten Kanalwege zu erlangen, erreicht worden. Doch sowohl Kunth als auch Lossen hatten von vornherein vorgesehen, diese zahlreichen Einzelbeobachtungen zu einem geologischen Gesamtbild zu vereinen. Kunth hatte bereits begonnen,

Karl August Lossen

die Einzelergebnisse der Bohrungen entlang der Bohrlinien zu geologischen Durchschnittsprofilen durch den Boden der Stadt aneinanderzureihen und daraus eine erste geologische Oberflächenkarte zu konzipieren, die er nicht fertig stellen konnte.

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Lossen hatte darüber hinaus die Möglichkeit, die meist schwierig deutbaren — weil nicht von Geologen dokumentierten - Ergebnisse der 1867-1871 niedergebrachten öffentlichen Straßenbrunnen zu verwenden. Beim Magistrat erreichte er eine auch heute noch für die Geologie unverzichtbare Festlegung. Der Magistrat erließ auf seine Anregung eine schriftliche Aufforderung an die Vorstände der Kirchengemeinden, an die Direktionen der Eisenbahnen sowie Baugesellschaften usw., dass bei der Anlage von Kirchhofs- und anderen Brunnen, Fundamentierungen, Bohrungen jeglicher Art und anderen Aufschlüssen die geologischen Untersuchungen zu unterstützen seien. Diese Arbeiten mussten also der Geologischen Landesanstalt gemeldet werden. Daraus ergaben sich immerhin 600 bis 700 neue Informationen, allerdings von sehr unterschiedlichem wissenschaftlichen Wert. 110 von ihnen wurden in die Karten und Profile aufgenommen.
     Als topografische Grundlage für seine Karte wählte Lossen den Situationsplan von Sineck im Maßstab 1 : 10 000. Aus geologischer Sicht überflüssige kartografische Details wurden weggelassen, dafür versucht, durch historisch- topografische Einzeichnungen die ursprüngliche Oberflächenbeschaffenheit möglichst klar wiederzugeben.
Lossen schrieb: »Willig zeigt sich hier der Geologe als gelehriger Schüler der Geschichte; nicht nur weiss er sich auf einem derart durch die Bebauung umgestalteten Gebiet an ihrer Hand allein vor groben Missgriffen bewahrt, lieber noch folgt er ihren Unterweisungen da, wo sie ihm jene anfänglichen einfachen Beziehungen wieder enthüllt, mit denen die frühe Cultur einst an die in dem jungfräulich geologischen Boden gegebenen natürlichen Verhältnisse anknüpfte. In jugendlich frischen Farben liegen die eng verschwisterten Inselstädte Berlin und Cöln wieder in der Thalenge des alten Oder- Elbthals vor des Geistes Auge: rings von fischreichem Wasser und sumpfigen jungalluvialen Fennniederungen umgeben bauen sie sich auf den über diluvialer Untiefe abgelagerten Altdiluvial- Werdern auf; reiner goldgelber Dünensand krönt in sanft geschwungener Linie den flachgewölbten Thalsandschild und spreitet sowohl den ehrwürdigen unter dem Namen St.Mariae und der Patrone der Schifffahrt und der Fischerei geweihten Gotteshäusern, als auch den Rathhäusern beider Städte die feste Unterlage ganz nahe bei dem trügerischen Algenboden; doch auch das Hochgericht erhebt sich östlich von Berlin auf einer, nunmehr von St.Marcus überragten Flugsandanhäufung.«3)
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In der Karte werden im Bereich der holozänen Spreeniederung vier Talsandinseln im Zentrum von Berlin- Cölln ausgewiesen, auf denen die oben erwähnten Kirchen und Rathäuser stehen. Sie hatten damit den besten Baugrund im Bereich der Spreeniederung. Übrigens steht auch der Fernsehturm auf der Talsandinsel, die St. Marien trägt. Und noch etwas fällt beim Betrachten der Karte auf: Die Grenze der Talfläche deckt sich im Norden ziemlich genau mit einer Reihe alter Stadttore, dem Rosenthaler, Schönhauser, Prenzlauer, Königs- und Landsberger Tor. Die südliche Grenze der Talfläche verläuft dagegen vom Botanischen Garten zum Fuß des Kreuzberges und am Rand der Hasenheide nach Rixdorf. Sie markiert sich durch den Anstieg der Straßen. Die Stadttore lagen dagegen am oder stadtwärts des Landwehrkanals, also mitten in der Talfläche, allerdings durch das häufig nasse Gelände gegen Eindringlinge einigermaßen geschützt.
     Ganz problematisch als Baugrund waren die Stellen, an denen Diatomeenerde nachgewiesen wurde.

Das Lossen- Denkmal im Harz
 
Sie befinden sich meist entlang der Spree, aber auch in isolierten Becken mit Moorerde gemischt. Es sind in Binnenseen oder an Flussläufen abgelagerte Schichten aus Kieselalgen (Diatomeen), anderen organischen Bestandteilen und Sand bis zum feinsten Ton, auf denen keine Standfestigkeit für Gebäude erreicht wird. Hier muss der Baugrund besonders behandelt werden.
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Früher wurden zur Erhöhung der Standfestigkeit in den Untergrund Baumstämme gerammt, auf denen die Gebäude errichtet wurden. Heute werden dafür Betonsäulen verwendet.
     Mit dieser Karte hat Karl August Lossen praktisch die erste Baugrundkarte Berlins geschaffen. Bemerkungen über die Wasserführung des Berliner Bodens nach Brunnenergebnissen runden das Werk ab. Zum Abschluss seiner Arbeiten legte Lossen 1879 eine umfangreiche Veröffentlichung vor. Im Atlas dazu erschien die geologische Karte der Stadt Berlin mit vier Profiltafeln. In der Veröffentlichung beschränkte sich Lossen nicht auf die bloße Betrachtung des Berliner und märkischen Pleistozän, sondern zog anhand eines ausgedehnten Literaturstudiums die gleichaltrigen Gebilde des übrigen Norddeutschland, ja sogar Skandinaviens, Rußlands, Englands und Nordamerikas zum Vergleich heran.
     Obwohl Lossen für Berlin die wichtige geologische Baugrundkarte geschaffen hat, bestand sein Lebenswerk doch in der Untersuchung des Harzes. Ab 1880 bis zu seinem Tode hat er wiederum die geologischen Schichten des Harzes kartiert und durch zahlreiche wichtige Veröffentlichungen bereichert. Dazu gehören einige Blätter der geologischen Spezialkarte 1 : 25 000, die auch in den späteren Jahren den dort arbeitenden Geologen eine unentbehrliche Grundlage waren.
»Der wilde Mann«, so nannten die Harzbewohner den stämmigen, bei jedem Wind und Wetter im Gebirge umherstreifenden Forscher.
     Seine Arbeiten haben eine reiche Ausbeute hinterlassen. Davon zeugen über 100 Veröffentlichungen, die in geologischen Fachzeitschriften erschienen sind. Der überwiegende Teil behandelt die Geologie des Harzes. Dass seine wissenschaftliche Arbeit frühzeitig anerkannt wurde, beweist 1870 seine Berufung an die Universität und gleichlaufend an die Berliner Bergakademie als Privatdozent für Gesteinskunde, 1881 dann die als Professor an die Bergakademie Berlin und 1886 als außerordentlicher Professor an die hiesige Universität. Seine Studenten schätzten, dass Lossen seine Vorträge aus einem reichen Wissen, gepaart mit viel praktischer Erfahrung, schöpfen konnte und so den Lehrstoff mit großer Überzeugung vermittelte.
     Es blieb nicht aus, dass einem Mann mit solchem Wissen viele Mitgliedschaften angetragen wurden. Von diesen sollen nur die Ehrenmitgliedschaften der Gesellschaft der naturforschenden Freunde in Berlin und der Société Belge de Géologie sowie die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied verschiedener ausländischer Gesellschaften genannt werden.
     Lossens Leistungen sind umso imponierender, als er schon seit seiner Jugend an zunehmender Schwerhörigkeit litt.
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Er ließ sich davon nicht beeinflussen und wusste sich mit Scherzen über die dabei entstehenden Missverständnisse hinwegzuhelfen. Ein Nierenleiden setzte seinem Leben ein frühes Ende. Karl August Lossen starb am 24. Februar 1893 in Berlin und wurde auf dem katholischen St. Matthias- Kirchhof in der Röblingstraße beigesetzt.
     Auf Initiative des Naturwissenschaftlichen Vereins des Harzes wurde 1896 ein Denkmal für ihn errichtet. Dort, wo im herrlichen Waldtal oberhalb Hasserode die Straße nach Schierke und Hohne sich gabelt, wurde es am 17. Oktober enthüllt. Über vier Meter hoch erhebt sich auf kreisförmiger Basis ein Granit- Monolith, dessen Vorderseite unter gekreuztem Hammer und Schlägel, dem Zeichen des Bergbaus, ein Porträt trägt. »Professor Dr. Karl August Lossen, Königl. Landesgeologe« ist darunter zu lesen. Die Rückseite des Steines trägt folgende Widmung: »Dem großen Forscher in der Geologie des Harzgebirges in den Jahren 1866 bis 1893 gewidmet von seinen Verehrern und Freunden 1896.« Der Fuß des Denkmals ist von Stücken aller wichtigen Gesteine des Harzes gesäumt. Im Laufe der Jahre verschwanden die Bronzetafeln und Embleme sowie viele der Gesteine. 1992 wurde mit Arbeiten zur Restaurierung begonnen, wobei verloren gegangene Gesteinssäulen nach Möglichkeit ersetzt wurden.
Quellen:
1 Laurenz Demps, Historisches Berlin Lexikon, Berlin 1987, S. 72
2 Karl August Lossen, Der Boden der Stadt Berlin nach seiner Zugehörigkeit zum norddeutschen Tieflande, seiner geologischen Beschaffenheit und seinen Beziehungen zum bürgerlichen Leben, in: Reinigung und Entwässerung Berlins, Heft XIII, Berlin 1879, S.V
3 Ebenda, S. XV

Bildquellen:
Der Bär, Illustrirte Wochenschrift, 22. Jg., Berlin 1896, Illustrirte Zeitung, Bd. 98, Leipzig 1892

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2000
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