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Karl-Heinz Arnold
Borchardt hatte mehr als 50 Jahre Pause

Zur Geschichte der HO-Gaststätten in Berlin von Ende 1948 bis 1990

Zusammen mit Freien Läden, die ein begrenztes Warensortiment ohne Lebensmittelmarken oder Bezugsscheine anboten, öffneten in Ostberlin im November 1948 mehrere Freie Restaurants. Damit begann die Entwicklung eines Einzelhandels- und Gaststättennetzes, das unter dem Namen HO (Handelsorganisation) in der Folgezeit bis 1990 Handel und Gastronomie in der DDR dominierte.
     Das erste Geschäft für Textilien und Schuhe, Frankfurter Allee 304, am U-Bahnhof Samariterstraße, startete am 15. November um 9.30 Uhr mit einer halben Stunde Verspätung. Schon vor 9 Uhr hatten sich mehrere tausend Schau- und Kauflustige eingefunden. Am selben Tag öffnete in der Neuen Königstraße, am Georgenkirchplatz, ein Geschäft für Lebensmittel, alsbald »Süßer Laden« genannt.
     In der Frankfurter Allee kosteten Schuhe 120-300 Mark, Kinderschuhe 40-120 M, Damenstrümpfe 27-40 M. Das waren fast exakt die Schwarzmarktpreise - bei nur wenigen hundert Mark Lohn oder Gehalt.

450-800 M teuer waren die ersten neuen Fahrräder. Der »Süße Laden« bot ein Stück Butterkremtorte (75 g) für 5 M an, ein Schweineohr (50 g) für 3 M, das Kuchenbrötchen - meistgekaufte Ware - für 1,50 M, die Tafel Schokolade für 18 und 24 M. Ein Pfund Butter kostete anfänglich 65 M. Diese damals astronomischen Preise wurden schon bald schrittweise reduziert. Preissenkungen der HO hatten erhebliche Publizität und dienten zur politischen Aufmunterung. Es dauerte jedoch noch rund zehn Jahre, bis mit dem Gesetz über die Abschaffung der Lebensmittelkarten ab 29. Mai 1958 die Reste dieser Bewirtschaftung verschwanden. Die Lebensmittelrationierung war 19 Jahre zuvor, im August 1939, von den Nazis zur Kriegsvorbereitung eingeführt worden.
     Am 16. November 1948 begann die immerhin mehr als 40-jährige Geschichte der Berliner HO-Gaststätten mit zwei »Objekten«, wie es im internen Sprachgebrauch hieß. Im erhalten gebliebenen Haus Französische Straße 47, wo das Nobelrestaurant Borchardt residiert hatte, öffnete in denselben Räumen eine Gaststätte, die unter dem Namen Lukullus einen guten Ruf bekam.
     Sie mutierte dann in dieser jahrzehntelang vernachlässigten Gegend von Berlin-Mitte zum Fischrestaurant, wurde Jugendtanzlokal (als in den Neubauten Spandauer Straße/ Liebknechtstraße ein »Gastmahl des Meeres« öffnete) und war in den 80er Jahren, als endlich der Aufbau der Friedrichstraße begann, eine Bauarbeiter- Gaststätte.
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Am 5. März 1992 setzte das Borchardt seine über ein halbes Jahrhundert unterbrochene Tradition in der Französischen Straße 47 fort. Sogar die Säulen im Gastraum sind erhalten geblieben - als das nicht öffentliche Lokal 1990 geschlossen wurde, waren die Säulen vorsorglich abgedeckt.
     Die zweite Gaststätte wurde am 16. November 1948 im Parterre des beschädigten Fürstenhof eröffnet, auf der Westseite der Friedrichstraße, Ecke Leipziger. Diese HOG Stadtmitte war nie ein gastronomischer Glanzpunkt. Als Nr. 3 etablierte sich alsbald ein Restaurant im ehemaligen Lehrervereinshaus auf der Nordseite des zerbombten Alexanderplatzes. Diese drei Lokale machten in zwei Wochen zusammen 600 000 Mark Umsatz. Mitte Dezember waren es täglich bis zu 75 000 Mark. »Der Andrang ist manchmal so groß, dass die Einrichtung weiterer Gaststätten dieser Art nötig erscheint. Das Angebot an Fischspeisen soll erweitert werden; auch Wild- und Geflügelgerichte wird man in absehbarer Zeit servieren können, wie es in der Ostzone, in Rostock zum Beispiel, teilweise schon geschieht«, berichtete die »Berliner Zeitung« am 15. Dezember. Bevorzugtes Gericht in den ersten Restaurants sei Aal in Öl mit Bratkartoffeln.
Für Fleischgerichte wurden zunächst noch 100 g Fleischmarken verlangt. Ein Kleines Gedeck - Suppe, Braten mit Gemüse, Pudding - kostete 6,30 M, das Große Gedeck 10,60 M: Brühe mit Einlage, Fischfilet mit Kartoffelsalat, Braten mit gemischtem Gemüse, Süßspeise, Kuchen. Fischgerichte lagen zwischen 7,35 (Fisch mit Senfsauce) und 14,75 M (Karpfen oder Schlei blau mit Butter). Die Gemüseplatte kostete 4,40 M, Hasenkeule mit Rotkohl 14,75 M. Zu allen Gerichten gab es 400 g Kartoffeln. Es liegt auf der Hand, warum diese ersten HO-Gaststätten überlaufen waren. Ostberlin hatte damals 1,2 Millionen Einwohner, und wer aus Westberlin (2,1 Mio.) kam oder als Ostberliner dort arbeitete, konnte nach Umtausch seiner Westin Ostmark äußerst billig essen und trinken.
     »Es ist schon ein Erlebnis, in einem der freien Restaurants zum ersten Mal seit vielen Jahren ohne die verhasste Markenabgabe bestellen zu können. Natürlich ist es ein kostspieliges Vergnügen, aber die Menschen, die im Arbeitsprozess etwas Besonderes leisten, können sich dieses Vergnügen von Zeit zu Zeit erlauben. Das sind Anfänge friedensmäßiger Gewohnheiten.« So zu lesen am 1. Weihnachtsfeiertag 1948 in der »Berliner Zeitung«.
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Die Eröffnung der freien Läden und Gaststätten ging auf einen Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) vom 3. November 1948 zurück, wonach »die volkseigene Handelsorganisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts ins Leben gerufen« wurde, geleitet von drei Direktoren und einem Verwaltungsrat. Erster Geschäftsführer - man beachte auch hier die zunächst weitgehend benutzte Terminologie des bürgerlichen Rechts - der vorerst noch einheitlichen HO war Direktor Burmeister. Sie teilte sich bald in die selbstständigen Bereiche Industriewaren, Lebensmittel und Gaststätten. In der DWK, bis zur Bildung der DDR Planungs- und politisches Aufsichtsorgan für die Wirtschaft, war für die HO zuständig der stellvertretende Leiter der Hauptverwaltung Handel und Versorgung, Dipl.- Volkswirt Freund, später einer der maßgeblichen DDR- Funktionäre für den so genannten Interzonenhandel mit der Bundesrepublik.
     Insgesamt waren für die HO zunächst 29 Läden und 21 Gaststätten in der gesamten SBZ vorgesehen, eine Zahl, die offensichtlich zu niedrig angesetzt war, man neigte jedoch wegen der dünnen Warendecke eher zur Vorsicht. Für die Gründung der HO waren zwei Gesichtspunkte maßgeblich. Einmal musste versucht werden, der durch progressive Lohnentwicklung steigenden Kaufkraft einen größeren Warenfonds zu bieten und so Leistungsanreize zu schaffen. Zum zweiten sollte der Schwarzmarkt zurückgedrängt werden, durch den bisher die überschüssige Kaufkraft absorbiert worden war.
Er konnte nur durch Waren, nicht durch Polizeiaufgebote bekämpft werden. Die HO lenkte zunächst enorme Gewinne in die fiskalischen Kassen, Gewinne, die bisher vom Schwarzmarkt realisiert worden waren.
     Diese zwei Gründe waren durchaus ein öffentliches Thema. Über einen dritten wichtigen Grund, der politischer Natur war, schwiegen die Medien in Ostberlin und in der SBZ. Mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 in den Westzonen und in Westberlin hatte dort eine Warenfülle Einzug gehalten, für die der Osten überhaupt kein Äquivalent bieten konnte. So war die HO von Anfang an eine höchst unzulängliche Antwort auf die westliche Herausforderung, eine Antwort im Rahmen der objektiven Möglichkeiten, und sie blieb es im Grunde bis 1990, wenn sich auch die Unterschiede des Warenangebots verringerten. Damit ist nichts gegen den Fleiß und - oftmals auch zu verzeichnen - die Hingabe von vielen tausend Mitarbeitern der HO gesagt.
     Bereits Ende 1949 hatte sich in Ostberlin wie in der gesamten DDR ein ansehnliches Netz von HO-Gaststätten gebildet. Dies geschah durch Übernahme bestehender Restaurants, die privat betrieben oder während des Krieges aufgegeben worden waren. Die HOG trat in die Pachtverträge ein oder schloss mit den Grundstückseigentümern neue. Diese, zumeist nicht identisch mit dem Betreiber der Gaststätte, freuten sich in der Regel über den solventen Pächter. Inhaber privater Lokale wurden samt Personal übernommen - die neuen Herren der Gastronomie verfügten über genügend interessante Ware, gute Umsätze waren sicher.
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Das hatte eine beträchtliche Anziehungskraft. Das Inventar wurde zunächst gemietet und allmählich durch eigenes ersetzt. »Feindliche Übernahmen« sind in Berlin nicht bekannt. Es wurde Wert auf korrekte Verträge gelegt.
     Dabei vergaßen übrigens die juristisch nicht beratenen örtlichen Chefs der HOG in zahlreichen Fällen zu vereinbaren, wie werterhöhende Einbauten sowie Baumaßnahmen vom Grundeigentümer anerkannt sowie abgegolten werden sollten. So musste Anfang der 50er Jahre nachträglich versucht werden, die zum Teil beträchtlichen Investitionen zu retten, also mit Pacht und Inventarmiete zu verrechnen.
     Im Sommer 1951 wurden die vom sowjetischen Reisebüro Intourist betriebenen Hotels mit Gaststätten bis auf wenige Ausnahmen durch die HOG übernommen. Das staatliche Reisebüro für den Auslandsfremdenverkehr (russ.: inostrannyturist, gegründet 1929) war durch besatzungsrechtliche Maßnahmen in den Besitz ansehnlicher und gut eingerichteter Hotels gekommen, so in Berlin, Rostock und Wismar. HOG übernahm das deutsche Personal und bezahlte Vorräte sowie geringwertiges Material. Wertvolles Inventar wie Möbel, Teppiche, Gemälde, Hotelsilber wurde protokollarisch erfasst.
Es ist zu vermuten, dass die DDR der Sowjetunion den Zeitwert durch Warenlieferungen bezahlt hat. Zum Leidwesen der HOG-Direktion behielt Intourist das damals ansehnliche Hotel Newa, Invalidenstraße 115, nahe Nordbahnhof. Es hatte eine vorzügliche Küche und eine gepflegte Bar, damals eine Rarität in Ostberlin. Im Restaurant verkehrten u. a. Honoratioren der Humboldt- Universität wie Magnifizenz Walter Friedrich. Eines Tages kam der allseits geschätzte Oberkellner Semmelweiß abhanden - er hatte in derselben Straße, kurz vor dem Naturkundemuseum, die Nachtbar Coralle eröffnet. Man durfte sich fragen, ob ihm die Karlshorster Leute vom KGB die Schank- und Nachtkonzession verschafft haben könnten. Die Mischung der Gäste jedenfalls war selbst in dieser Zeit der offenen Grenze beeindruckend: Künstler, Schieber, Geheimdienstler aus Ost und West, harmlose Pärchen. Das Newa wurde schließlich Gästehaus des Magistrats. Es zeigte von 1990 bis ins Jahr 2000 den Passanten leere Fenster: zu vermieten.
     In den Schoß fiel dagegen der HOG die einst wie heute renommierteste Herberge Berlins, freilich nur als trauriges Teilstück: Adlon, heute Unter den Linden 77, hatte den Brand Anfang Mai 1945 mit einem Seitenflügel des großen Hauses überlebt.
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Er wurde unter dem alten Namen erneut als Hotel eingerichtet, von der HOG bewirtschaftet und 1964 sogar renoviert. Diese Reststätte des einst so stolzen Hauses war bis in die 70er Jahre in Betrieb, wurde dann Lehrlingswohnheim und 1984 abgerissen. Die Wiedereröffnung durch die Hotelgesellschaft Kempinski erfolgte im August 1997 mit Bundespräsident Roman Herzog.
     Anfang der 50er Jahre bildeten sämtliche HO-Gaststätten der DDR noch eine zentral geleitete Organisation in der juristischen Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Ihr nachgeordnet waren sechs Landesleitungen in den fünf Ländern und in Berlin. Sie hatten unterschiedliches Gewicht und Gesicht. Die Gaststätten in Berlin und Sachsen, den bedeutendsten Industriestandorten, erzielten die höchsten Umsätze. Erholungsland Thüringen und Mecklenburg mit den Saisongaststätten an der Ostsee konnten eher Probleme verursachen als Sachsen- Anhalt und Brandenburg, die im gastronomischen Windschatten segelten. Die Zentrale Leitung mit Sitz in Berlin war für eine einheitliche Ausrichtung zuständig, damals weit mehr fachlich als politisch. Die staatlichen Leiter gaben den Ton an, die Parteiorganisationen der SED spielten kaum eine Rolle, und das hat sich wohl - trotz aller verbaler Kraftakte - im Laufe der Jahre nicht grundlegend geändert. Nicht hinter der Theke ist ein guter Platz für Parteipolitik, sondern vor der Theke am Biertisch.
     Die Berliner Zentrale gab also gastronomische Standards vor, arbeitete als Aufsichts- und Bilanzorgan, verteilte die stets knappen Investitionen, überwachte das Rechnungswesen und griff bei auffälligen Minusdifferenzen auch mit rechtlichen Mitteln ein.
Solche Differenzen konnten beispielsweise rasch auftreten, wenn in Lokalen mit hohen Getränkeumsätzen die Zapfer und das weitere Buffetpersonal mit den Kellnern zu schamlos zusammenarbeiteten oder wenn in Küche und Lager so gestohlen werden konnte, dass statt eines so genannten Küchenproduktionsgewinns rote Zahlen erschienen.
     Zu den zentralen Aufgaben gehörte auch der Einkauf westdeutscher Weine im Rahmen von Quoten und Warenlisten im innerdeutschen Handel. Anständige Weißweine der namhaften Anbaugebiete waren die jahrzehntelang goutierten einzigen Botschaften des anderen Deutschlands in den HO-Gaststätten gehobenen Standards. Schon Anfang der 50er Jahre bot ein ausgeschlafener Vertreter aus der Bundesrepublik, stets zu einem weniger anständigen Witz aufgelegt, in der Berliner Zentrale sein Sortiment an. Die Endauswahl traf durchaus sachkundig der Hauptgeschäftsführer.
     Die Zentrale Leitung unter Hauptgeschäftsführer Jacob »Papa« Schlör hatte ihren Sitz in der Leipziger Straße 123 a, Ecke Wilhelmstraße, dann in der Gontardstraße 3-4 am Bahnhof Alexanderplatz, wo sich parterre eine HO-Gaststätte befand und heute die Commerzbank präsent ist. Schlör, bejahrter Altkommunist und Gastronom von der Pike auf, war ein rundlicher Typ, äußerlich dem Staatspräsidenten Wilhelm Pieck recht ähnlich, mit dem er die Vorliebe für Schmalzstullen teilte, wenngleich er ein Stroganoff keineswegs verachtete. Er rechnete sich noch zu den politischen Weggefährten von Leo Jogiches (1867-1919, ermordet in Moabit).
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Der gelernte Kellner, der die Gaststätte in der Französischen Straße aus Unwissenheit französiert Lüküllüs nannte, verkörperte einen verbreiteten Typ von Funktionären der ersten Stunde: mit großer Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, ehrlich und unbestechlich, von einer sozialistischen Zukunft überzeugt, der jeweiligen Aufgabe mindestens zwölf Stunden am Tag verpflichtet - und von ihr auf Dauer überfordert. Er war so klug, sich auf ausgezeichnete Gastronomen wie Kurt Losse in der Zentrale und den HOG- Landesleiter Sachsen, Gerhard Kreutel, zu stützen.
     Nach Auflösung der fünf Länder und Bildung von 15 Bezirken der DDR (einschließlich der Hauptstadt Ostberlin) im Juli 1952 verlor die Zentrale in der Gontardstraße ihre Bedeutung. Sie wurde eine Verwaltung der zentralgeleiteten HO-Gaststätten (Hotels und Restaurants von überregionaler Bedeutung) im Ministerium für Handel und Versorgung. Im Grunde eine überflüssige Verwaltung. Während in den 14 Bezirken der DDR mehr als 200 HO-Kreisbetriebe als VEB entstanden (wobei die Gaststätten, mit Industriewaren- und Lebensmittelgeschäften in einem VEB, oft das dritte Rad am Wagen wurden), blieben die Berliner Gaststätten im Wesentlichen beisammen, ein eigener VEB mit Betriebsteilen in den Stadtbezirken. Er wurde als VEB Gaststätten HO Berlin in das Register der volkseigenen Wirtschaft beim Vertragsgericht Berlin eingetragen (faktisch das Handelsregister).
Dieser Betrieb umfasste Restaurants der Mittelklasse, Cafés und Bierstuben sowie einige kleinere Hotels. Das größte unter ihnen, Adria in der Friedrichstraße, Ecke Schiffbauerdamm, ist inzwischen abgerissen. Für die repräsentativen, jedenfalls ansehnlichen Hotels, deren Zahl sich in der DDR in den 70er und 80er Jahren erheblich vergrößerte, fungierte die Vereinigung Interhotel als Zentrale mit Sitz in Berlin.
     Der HO-Gaststättenbetrieb war zugleich Partner für eine wachsende Zahl von Kommissionsgaststätten: private Restaurants zumeist gehobenen Niveaus, die von HOG aus deren Sortiment beliefert wurden, also auch mit »Edelfleisch« und Importgetränken. Auf der Grundlage jährlich zäh ausgehandelter Verträge - die keineswegs den Knebelungsverträgen kapitalistischer Zeit mit Brauereien entsprachen - entwickelte sich ein für beide Seiten vorteilhaftes Verhältnis: HOG bekam Gewinnbeteiligung, der Partner anständige Ware, und die HOG erledigte ihm die Buchführung. Dies sicherlich nicht ohne Hintergedanken.
     Die Zahl der Kommissionäre nahm in weniger als einem Jahrzehnt so zu, dass schließlich auf zwei Berliner HOG - Restaurants, Cafés, Bierstuben - ein solches Privatlokal kam und die Zahl der reinen Privatlokale, zumeist Eckkneipen, halbiert wurde. Kommissionsgaststätten, die diesen Status nicht öffentlich zu machen brauchten, waren wegen ihres Niveaus beim Publikum beliebt.
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Die Leistung beruhte auf Privatinitiative. Zu den vielen namhaften Lokalen in Ostberlin gehörten, um nur drei Beispiele zu nennen, Offenbach- Stuben in Prenzlauer Berg, Park- Idyll in Pankow, ab September 1987 auch Stilbruch in Karow.
     Diese Entwicklung war in sich widersprüchlich, ein Zeichen von Inkonsequenz und dogmatischer Befangenheit der DDR- Führung. Sie hatte einerseits der HO, entsprechend dem festgelegten Primat der VEB in der gesamten Wirtschaft, eine Monopolstellung zugedacht. Die wurde durch Gaststätten der Konsumgenossenschaft und die spezialisierte Mitropa nicht prinzipiell tangiert, sie fielen auch wenig ins Gewicht. Andererseits wurde ein staatlicher Sektor in dieser Branche, die besonders nach privatwirtschaftlicher Flexibilität verlangt, nicht gebraucht, weder aus vernünftigen politischen noch aus volkswirtschaftlichen Gründen.
     Die Oberen der DDR haben im Handel, abweichend vom großen Vorbild Sowjetunion, eine Diversifizierung zugelassen: HO, Konsum, Kommissionäre und Private. Ebenso wurden in der örtlichen Industrie private Betriebe mit staatlicher Beteiligung gebildet, die sich zum Teil geradezu fabelhaft entwickelten, nicht nur das Modehaus Bormann in Magdeburg war hierfür ein Beispiel.
Während aber diese Betriebe 1972 in VEB »umgewandelt« wurden, übrigens offiziell auf Initiative der CDU, nahm bis in die 80er Jahre die Zahl der florierenden Kommissionsgaststätten ständig zu. Offenbar aber war in dieser Branche die politische Landschaft solange in Ordnung, wie das Übergewicht der HOG gesichert erschien und deren Partner sich per Vertrag an der Leine befanden. Die Führungsriege der DDR, in der Mehrzahl historisch wenig gebildet, hat jedenfalls eines wohl nie begriffen: Ein Staat kann sich zeitweilig eigene wirtschaftliche Schlüsselpositionen schaffen, aus strukturpolitischen, fiskalischen oder militärischen Gründen - aber ein Staat sollte keine Kneipen betreiben.
     Die Kommissionsgaststätten, deren rührige Inhaber finanziell gut zurechtkamen, stellten ebenso eine Konzession an die Erfordernisse der Praxis dar wie die HO-Bierstuben, die von so genannten Objektleiter- Ehepaaren betrieben wurden. Sie waren weitgehend selbstständig und von der Pflicht befreit, Wareneingangsbücher zu führen, durchaus zu ihrem Vorteil und zum Nachteil der Finanzämter.
     Jedenfalls waren im Schoße der neuen DDR- Gesellschaft, zumindest in der Gastronomie, wieder kräftige Keime der alten und der künftigen kapitalistischen Gesellschaft entstanden.
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Über deren Vor- und Nachteile ist hier ebenso wenig zu rechten wie über die Leistungen von HO- Gastronomen unter den damals obwaltenden Verhältnissen. Sie arbeiteten durchaus professionell. Wer zu DDR-Zeiten beispielsweise das Ermeler- Haus am Märkischen Ufer, das Ganymed am Schiffbauerdamm, den 37. Stock des Hotels Stadt Berlin besucht hat, wird dies anerkennen.
     Hinzuweisen ist noch auf einen speziellen Gesichtspunkt: Mit dem Ende der Lebensmittelmarken (1958) entwickelten sich die HO-Gaststätten, wie der gesamte Handel, zu einem volkswirtschaftlichen Verlustgeschäft. Je mehr Gaststätten entstanden und je mehr Nahrungsmittel von ihnen verarbeitet, verkauft, umgesetzt wurden, desto größer wurde der Absatz von subventionierten Waren, desto höher also der Zuschuss aus dem Staatshaushalt für Essen und Trinken zu niedrigen und stabilen Preisen. Und je mehr in die Gaststätten investiert wurde, desto größer wurde der fiskalische Aufwand für Speis und Trank, denn Personalkosten sowie Bau- und Inventarkosten hatten keine niedrigen und stabilen Preise. Die Einteilung der Gaststätten in möglichst hohe Preisstufen und ein Höherstufen nach Modernisierung machte da kaum etwas wett. Bei 28-32 Prozent Handelsspanne vom Umsatz konnten die meisten Gaststätten einen ordentlichen Gewinn machen - die Subventionen für jedes Schnitzel, für jeden Teller Spagetti, für jedes Stück Kuchen und jede Portion Schlagsahne tauchten in der betriebs- wirtschaftlichen Rechnung ja nicht auf.
Der Finanzminister musste die Gaststätten hassen. Der volkswirtschaftlich unwissende Sozialpolitiker konnte sie lieben. Seit 1958 und bis 1990 kostete ein Kilo Butter einheitlich 10 Mark. Das deckte nicht den notwendigen Aufwand für Erzeugung, Transport, Verkauf. Das Glas Bier (0,3 l) kostete bis Ende der DDR 51 Pfennig (helles) und 78 Pfennig (Pilsner). Die Bockwurst kostete überall 80 Pfennig, das Brötchen 5 Pfennig, der Senf ging aufs Haus. Es hatte einen Sinn, in Berlin täglich 55 000 Portionen preisgünstiges Essen für Schüler und Rentner von der HOG kochen zu lassen. Es machte keinen Sinn, mit der sozialistischen Gastronomie an gedeckten Tischen ständig mehr Defizit für die sozialistische DDR zu servieren. Aber auch diese Praxis war seit vielen Jahren festgefahren und durfte keiner grundsätzlichen öffentlichen Kritik unterzogen werden. In den Medien der DDR hat es nur einen einzigen Versuch gegeben, den gesamten Umfang der Subventionen darzustellen, sie als »blanken Staatszuschuss« zu kritisieren mit der Aufforderung, über sie »nachzudenken«, was prompt eine scheinbar unadressierte Polemik im Zentralorgan der SED zur Folge hatte.1)
     Letztlich aus politischen Gründen, nämlich mit dem Blick auf 750 Jahre Berlin, bekamen Gastronomie und Hotellerie der Hauptstadt einen bemerkenswerten Aufschwung verordnet. Der Nachholebedarf war groß. Bis zu 20 neue Restaurants jährlich eröffnete die HOG vor dem 1987er Jubiläum, eine bedeutende Expansion, Verschönerungs- und Verjüngungskur.
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Man sah die vielfältigen Veränderungen in Berlin-Mitte wie in anderen Stadtbezirken.
     Nun durfte die Pizza auch Pizza heißen, so im Nikolaiviertel, Am Nußbaum Nr. 8. In früheren Jahren mussten zwei Pizza- Lokale aus ideologischen Gründen noch »Krusta-Stube« getauft werden, in der Stargarder und der Warschauer Straße. Verboten blieb der Hamburger, den nannte man nach wie vor Grilletta. Königsberger Klopse hat es in der DDR- Gastronomie ebenfalls nie gegeben, jedenfalls dem Namen nach.
     Der Umsatz der Ostberliner Gaststätten stieg überdurchschnittlich im Vergleich zu den Bezirken der DDR. 1970 waren es 510 Mio. Mark (8 Prozent vom DDR- Umsatz), 1980 rund 880 Mio. (9,5 Prozent), 1985 wurden 1,189 Mrd. erreicht (11 Prozent). 1988 schließlich waren es in Berlin 1,403 Mrd. Mark (12,4 Prozent).
     Der Anteil der HO-Gaststätten am gastronomischen Umsatz lag in der DDR insgesamt im Jahr 1950 bei nur knapp einem Drittel, die Privaten bestritten also zwei Drittel. Der Anteil der HOG erhöhte sich bis 1960 auf 50 Prozent, stieg bis 1970 auf mehr als 70 Prozent und erreichte ab 1980 mehr als 80 Prozent einschließlich der Kommissionslokale. Die Relationen in Berlin waren ähnlich.
Zum 30. Juni 1990, mit der Währungsunion, bildete sich der VEB Gaststätten HO Berlin mit dem langjährigen Direktor Erich Weber in die Berliner Gaststätten und Hotel GmbH um. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt 13 500 Beschäftigte und 850 Lehrlinge in 620 Gaststätten und wurde zum 30. April 1992 liquidiert. Schon 1990 standen Magistrat und Leitung der HOG unter starkem Druck vieler Leiter von kleinen Gaststätten, Cafés und Bierstuben, die sich privatisieren, das Objekt in eigene Regie übernehmen wollten. Das war auch nicht lange aufzuhalten. Die meisten Berliner HO-Lokale wurden von den bisherigen Objektleitern übernommen und weiter betrieben, eine glückliche Ausnahme, vergleicht man mit den rigorosen Veränderungen in anderen Wirtschaftsbereichen, vor allem in der Industrie sowie durch die westdeutschen Handelsketten. Außer den 620 HOG gab es zur Zeit der Währungsunion 350 Kommissionsgaststätten und 180 private Lokale. Zum Konsum gehörten die Ausflugsgaststätten Müggelseeperle und Rübezahl sowie 70 Klubgaststätten und Bierstuben in Berliner Wohngebieten, die HO betrieb 26 Klubgaststätten. Diese rund hundert preisgünstigen Lokale boten regelmäßig ein beliebtes Vergnügen: Jugendtanz ebenso wie Tanzabende für Erwachsene.
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Auf einem anderen Blatt steht die Entwicklung der Hotels in Ostberlin. Von den wenigen, die zur HOG gehörten, hat in Mitte nur der Albrechtshof überlebt. Dagegen sind die jüngeren ehemaligen Berliner Interhotels aus der gleichnamigen staatlichen Hotelkette inzwischen von Devisenbringern für die DDR zu Gewinnmachern für Hotelkonzerne und Banken geworden. Im Gegensatz zur Industrie konnte man sie alle brauchen. Sie gehören zur Holding Deutsche Interhotel, Sitz in Tiergarten, die ihrerseits von der Deutschen Bank dominiert wird und in den neuen Ländern insgesamt 17 ehemalige Nobelhotels der DDR vereint. Von ihr hatten Anfang der 90er Jahre mehrere Hotelketten die großen Häuser gepachtet: Forum, Alexanderplatz, ehemals Hotel Stadt Berlin; Maritim pro Arte, Friedrichstraße, ehemals Metropol; Radisson SAS, Liebknechtstraße, ehemals Palasthotel; Westin Grand, Friedrichstraße, ehemals Grand Hotel Berlin. Es bestehen langfristige Verträge, so für das Westin über 20 Jahre. Berlin Hilton, Am Gendarmenmarkt, ehemals Domhotel, ist zu 40 Prozent Hilton- Eigentum geworden, 60 Prozent sind vermutlich bei einer Großbank. Nur das Hotel Unter den Linden, schon seit 1964/65 in Betrieb, wurde von einer GmbH aus dem eigenen Management gepachtet.
     Im Jahr 1991 gab es in Berlin insgesamt rund 6 000 Gaststätten, einschließlich Eckkneipen und Cafés, davon 4 600 im Westen und 1 400 im Osten.
In Westberlin zählte man 1985 noch 4738 Gaststätten mit rund 20 000 Beschäftigten und 1,2 Mrd. DM Umsatz. 2) Nach Zahl der Betriebe und Umsatz hat Berlin die größte gastronomische Potenz aller deutschen Städte. Von Stabilität kann allerdings kaum die Rede sein: Jeder zweite gastronomische Betrieb wechselt jedes Jahr den Inhaber.3) Und die Tatsache, dass Anfang des Jahres 2000 fünf Dutzend neue Hotels in Planung oder im Bau waren, signalisiert eine unausweichliche Verschärfung des Verdrängungswettbewerbs. In der Berliner Hotellerie und Gastronomie wird die Luft ständig rauer. Borchardt allerdings, vormals Lukullus, vormals Borchardt, hat jetzt wieder einen exzellenten Standort und ist renommiert. So kann man überleben.

Quellen und Anmerkungen:
1) vgl. Beitrag des Verfassers in Berliner Zeitung, 19./20. 11. 1988 und Polemik von Jürgen Kuczynski in Neues Deutschland, 22. 12. 1988
2) vgl. Berlin Handbuch, Das Lexikon der Bundeshauptstadt, FAB Verlag, 2. Aufl. 1993
3) Berlin Handbuch 1993.

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2000
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