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Hans Hauser
Das Nicolaihaus wird Museum

Die Stiftung Stadtmuseum platzt, obwohl sie in über 15 Häuser in mehreren Berliner Bezirken verteilt ist, aus allen Nähten und kann nur einen Bruchteil ihrer Schätze zeigen. Die Lage hat sich zugespitzt, nachdem in der Kreuzberger Lindenstraße das bisher im alten Kammergericht neben dem Libeskind- Bau ansässige Berlin Museum anderweitig untergebracht werden muss. Aus Kostengründen musste die Stiftung schon vor einiger Zeit das Handwerksmuseum am Mühlendamm aufgeben und eine neue Bleibe in Alt- Marzahn suchen, sie hat auch das Friseurmuseum von der Husemannstraße im Prenzlauer Berg dorthin verlegt. Ganz im Depot verschwunden sind Ausstellungen zum Berliner Arbeiterleben und die Documenta artistica, ebenso wertvolle Zeugnisse der Theatergeschichte und aus dem für Berlin so charakteristischen Bereich der Mode.
     Eine Lösung des Platzproblems naht - die Übernahme des Nicolaihauses in der Brüderstraße, bis vor zwei Jahren Sitz des Brandenburgischen Denkmalamtes, das inzwischen nach Wünsdorf umgezogen ist. In der »Langen Nacht der Museen« Ende Januar 2000 war das leer gefegte Gebäude, das schon von weitem durch seine vielen Tafeln an der Straßenfront erkennbar ist,

erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich.
     »Die erste Ausstellung im Haus »Wohnen im Wandel - Das Zuhause. Die Zeit. Die Wohnkultur« wird noch bis zum 10. September 2000 in 35 Räumen gezeigt. Mit ihr feiert die Berliner Wohnungsbaugesellschaft GESO-BAU nicht nur ihr hundertjähriges Bestehen, sondern dokumentiert unter Zuhilfenahme zahlreicher Bilder, Pläne und Möbel aus dem Fundus des Stadtmuseums auch Berliner Wohnen und Wohnkultur im Wandel der Zeiten.
     »In geradezu idealer Weise können wir im Nicolaihaus mit seinem für Berlin ebenso reizvollen wie ungewöhnlich authentischen Ambiente wichtige Etappen der Stadt- und Kulturgeschichte darstellen, und außerdem lässt sich durch Übernahme des Gebäudes die Platznot unter den Museumsmitarbeitern erträglicher gestalten«, sagt Stiftungs- und Museumschef Reiner Güntzer. Gedacht sei die Einrichtung von Schauräumen, in denen an bedeutende Bewohner, allen voran den Namensgeber Friedrich Nicolai (1733-1811) erinnert wird, der um 1787 den Barockbau vom Maurermeister und Singakademie- Direktor Carl Friedrich Zelter (1758-1832) umgestalten ließ.
     Der Verleger und Schriftsteller Nicolai wohnte in dem auch als Buchhandlung und Buchlager genutzten Gebäude bis zu seinem Tod 1811, schrieb hier seine vielen Bücher und Streitschriften, empfing in dem behäbigen Bürgerbau mit zwei Seitenflügeln und einem rückwärtigen Trakt das »geistige Berlin« zu illustren Diskutierrunden.
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Dass an ihnen auch der junge Lessing (1729-1781) teilnahm, ist eine Legende, denn als Nicolai 1787 das Haus bezog, war der Dichter schon einige Tage tot, auch Moses Mendelssohn (1729-1786) kann an den Gesellschaften nicht teilgenommen haben, weil er ein Jahr vor Nicolais Einzug das Zeitliche segnete.
     Dass dennoch das Gebäude gelegentlich Nicolai-Lessing- Haus genannt wird, hat mit dem Umstand zu tun, dass hier im Jahre 1910 von dem Lortzing- Biographen Georg Richard Kruse ein Lessingmuseum eingerichtet wurde, das sich auch als Zentrum für die Pflege der Aufklärung verstand und bereits 1936 von den Nazis geschlossen wurde. Die Stiftung will auch an Nicolais Schwiegersohn, den Verleger und Besitzer der Nicolaischen Buchhandlung Gustav Parthey (1798-1872), sowie an Theodor Körner (1791-1813) erinnern, der mit »Leier und Schwert« gegen Napoleon zog und im Nicolaihaus seine Eltern besuchte.
     Die zweite Etage, lange Sitz des DDR- Generalkonservators, würde sich mit seinen repräsentativen Räumen bestens als Gemäldegalerie eignen, außerdem könnte man hier auch Teile der hochbedeutsamen Foto- und Grafiksammlung des Stadtmuseums sowie Exponate zur Berliner Theater- und Modegeschichte präsentieren.
Die Stiftung denkt an die Einrichtung einer Berliner Weiß- und Schwarzbierstube in den gewölbten Kellern, die der hinsichtlich der Gastronomie unterentwickelten Brüderstraße gut tun würde, und möchte eine Tradition aus DDR-Zeiten wiederbeleben, als im malerischen Hof sommerliche Konzerte und Theateraufführungen veranstaltet wurden.
     Das Nicolaihaus befindet sich in einem recht guten Zustand, da und dort sind jetzt Reparaturen an Dach und Fenstern nötig. Außerdem sollen verschiedene Zwischenwände entfernt werden, um die repräsentativen Räume in ihrer ursprünglichen Form zurück zu gewinnen, und auch ein gläserner Lift zur Gartenseite für Behinderte ist geplant, sagt Marcus Geschke, Assistent des Generaldirektors des Stadtmuseums. Das Haus bekomme im Erdgeschoss, wo in DDR-Zeiten das damalige Zentrum für Kunstausstellungen Bilder und Plastiken lagerte beziehungsweise das Institut für Denkmalpflege eine umfangreiche Bibliothek besaß, eine Kasse, Garderobe, Museumsshop und Cafeteria.
     Geschke stellt sich auch vor, in einem der Räume auch an Nicolais Vorläufer als Hausbesitzer, den königlich- preußischen Heereslieferanten Ernst Gotzkowsky (1710-1775), zu erinnern.
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Der erfolgreiche Textilfabrikant begründete auf Anraten Friedrichs des Großen in Berlin anno 1761 eine »Aechte Porcelaine- Manufactur«, doch als sich sein Vermögen durch allerlei unglückliche Umstände verflüchtigt hatte, ließ sich der König herab, dem von Gläubigern bedrängten Unternehmer die Porzellanfabrik um einen »mäßigen Preis« abzunehmen, worauf die nunmehrige Königliche Porzellanmanufaktur eine bemerkenswerte Karriere startete. »Wir wollen Porzellan aus dieser frühen Zeit der KPM zeigen und damit auch einen Mann aus der Versenkung holen, den viele, wenn überhaupt, nur als Namensgeber einer Brücke und einer Straße kennen, obwohl er auch ein bedeutsamer Kunstsammler war«, so Geschke. Wo der Rundgang durch das in ein Museum umgestaltete Nicolaihaus künftig beginne, ob im Vorderhaus mit seiner eichengeschnitzten Treppe oder im Hinterhaus, wo eine klassizistische Treppe nebst reicher Wandbemalung aus dem in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts abgerissenen Weydingerhaus die Besucher zum Entzücken bringen wird, sei noch nicht geklärt.
     Das als Museumsbibliothek und Archiv genutzte »Galgenhaus« zwei Straßennummern weiter ist eine »ideale Ergänzung« für das Nicolaihaus.
Für die nach einer Hinrichtung wegen angeblichen Diebstahls als »Galgenhaus« übel beleumdete frühere Propstei der Petrikirche stellt sich Museumschef Güntzer vor, später einmal den Hof zu überdachen, um ihn bei Regen und in der kalten Jahreszeit als Ausweichquartier für Theater und Konzerte nutzen zu können. Sinnvoll wäre es, durch Entfernung von Einbauten aus der Nachkriegszeit den kostbaren Bau zu entkernen, Büros auszuquartieren und die einzigartigen Räume mit barocken Bildern und Deckenstuck wie das Nicolaihaus für Ausstellungszwecke zu nutzen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
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