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Maria Curter
Ein Kraftwerksbauer

Der Ingenieur Georg Klingenberg (1870-1925)

»Die städtischen Elektrizitätswerke planen zur besseren Stromversorgung des Ostens ein großes Kraftwerk am Rummelsburger See. Die Vorarbeiten sind bereits im Gange ...«, vermeldete der Berliner Lokal- Anzeiger im März 1925. Diese Neuigkeit stieß auf reges öffentliches Interesse - waren doch erst ein Viertel der Berliner Haushalte an das Stromnetz angeschlossen.
     Am 10. Juni 1925 beschloss die Bezirksversammlung Lichtenbergs »die Überlassung von Gelände zwischen der Cöpenicker Chaussee und dem Rangierbahnhof Rummelsburg an die Städtischen Elektrizitätswerke AG zur Errichtung eines Großkraftwerks«.
     Für die Ausführung des Projektes war im Auftrag der Allgemeinen Elektrizitäts- Gesellschaft Berlin das Vorstandsmitglied Geheimrat Prof. Dr. Georg Klingenberg verantwortlich. Er »gehörte zu den Menschen«, wie es der VDI- Präsident Conrad Matschoss im Nachruf formulierte, »absoluter Lebensbejahung. Er konnte die negativen Menschen, wie er sie wohl nannte, nicht


Gedenktafel am Kraftwerk Rummelsburg

 
vertragen, die bei jedem Gedanken nur das >Aber< im Auge und nur von Bedenken zu berichten haben. Er wollte und wünschte die Kritik, aber nicht eine, die von vornherein erklärte, dass dies oder jenes unmöglich sei. Ihm war positives, Werte schaffendes Draufgängertum, das auch seine Freude an der Verantwortung in sich schloss, eigen.«

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Georg Klingenberg, am 28. November 1870 als Sohn des Architekten Ludwig Klingenberg in Hamburg geboren und in Oldenburg aufgewachsen, studierte ab 1890 an der Technischen Hochschule in Charlottenburg Maschinenwesen. Angeregt durch die Vorlesungen Adolf Slabys (1849-1913), wandte er sich nach 1893 auch der Elektrotechnik zu und war bis 1899 Slabys Assistent.
     Während dieser Zeit promovierte er mit dem Thema »Längenänderungen des Eisens unter dem Einfluss des Magnetismus« an der Universität Rostock (1895) zum Doktor der Philosophie, wählte dabei die Botanik als Nebenfach, die man seiner Ansicht nach in acht Tagen lernen könne, beschäftigte sich mit den gerade entdeckten Röntgenstrahlen, worüber er im Februar 1896 im Elektrotechnischen Verein berichtete. Im selben Jahr habilitierte er sich mit einer Schrift über den Einfluss der Spannungshöhe auf die Fortleitungskosten bei elektrischen Fernleitungen und hielt fortan als Professor Vorlesungen an der TH Charlottenburg zur »Projektierung elektrischer Anlagen«, »Berechnung elektrischer Leitungsnetze«, über »elektromechanische Konstruktionselemente« sowie zum »Bau und Betrieb von Automobilfahrzeugen«. Daneben betätigte er sich als beratender Ingenieur und baute kleinere Energieerzeuger, so beispielsweise das Kraftwerk Charlottenburg (1899-1900). Zwischen 1898 und 1902 ließ er sich einige seiner Ideen patentieren.
Bevor er sich endgültig für die Elektrizitätswirtschaft entschied, konstruierte er Autos. Erstmals vorgestellt wurde der sogenannte »Klingenberg- Wagen« auf der Motorwagenausstellung in Leipzig im Jahr 1900. Der mit einem Einzylinder- Viertaktmotor mit einer Leistung von 5 PS ausgestattete Wagen wurde von der 1901 gegründeten Neuen Automobil- Gesellschaft mbH (NAG), einer Tochter der AEG, gefertigt.
     Ein ehemaliger Studienkollege charakterisierte den Rastlosen so: »An dieser Konstruktion zeigte sich so ganz das zähe, intensive Arbeiten von Klingenberg. Jede freie Minute wurde benutzt. Bei jeder Gelegenheit, selbst abends, auf jedem freien Stück Papier entstanden Skizzen. Aber der Schwerpunkt lag in der Erprobung.« Dazu hatte er nun Gelegenheit, nachdem er ab 1. Juli 1902 seine Tätigkeit bei der AEG begann. Als Nachfolger von Walter Rathenau (1867-1922) wurde Klingenberg 1902 - erst einunddreißigjährig - Vorstandsmitglied der AEG und für das Arbeitsgebiet »Bau und Betrieb von Elektrizitätswerken« zuständig. Obwohl er über ein eigenes »Maschinen- Laboratorium« in der Yorckstraße 59 verfügte, fand er bei der AEG nun die Möglichkeit, seine Ideen zur Elektrizitätswirtschaft zu verwirklichen. Hier entwickelte er Konzepte zur Zentralisierung der elektrischen Energieerzeugung in einer Phase des Kraftwerksbaus, in der Wechsel- und Drehstrom den Gleichstrom und die Dampfturbine die Dampfmaschine ablösten.
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Er fasste seine theoretischen und praktischen Kenntnisse zu einer eigenständigen Theorie des Kraftwerksbaus zusammen.
     Das erste Kraftwerk nach diesen Plänen entstand im Jahr 1909 bei Eberswalde (Heegermühle der Märkischen Elektrizitätswerke - Leistung 20 000 kW). Dazu schrieb er: »Man sollte nie vergessen, dass eine Zentrale nichts anderes ist als eine Elektrizitätsfabrik; wie bei allen übrigen Fabrikbauten muss ihr Charakter zum Ausdruck gebracht werden ... Die Konzipierung der Anlage muss dem Stoff- und Energietransport beziehungsweise Umwandlungsprozess vom Brennstoff bis zur Energie entsprechen.« Damit wandte sich Klingenberg gegen jene Architekten, die zu oft durch Schnörkel und Verzierungen diesen Charakter verfälschten.
     Die Kraftwerke, die zwischen 1902 und 1915 unter seiner Leitung im In- und Ausland entstanden, wurden immer größer und leistungsfähiger. So verfügten die in drei Bauabschnitten zwischen 1909 und 1914 errichteten vier Anlagen der Victorias Falls Power Co. Ltd. in Südafrika über eine Leistung von insgesamt 160 000 kW und zählten zu den größten in der Welt. Zwanzig Kraftwerke hat er in dieser Zeit gebaut.
     Klingenberg untersuchte die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, um Grundlagen für eine entsprechende Elektrizitätspolitik zu schaffen.
Seine Gedanken veröffentlichte er unter dem Titel »Bau großer Elektrizitätswerke«. Auf den ersten Band 1913, der die Grundbegriffe beinhaltete, folgte ein Jahr später der zweite, der hauptsächlich die Anlagen für die Verteilung elektrischer Arbeit und die Elektrizitätsversorgung der Großstädte behandelte. 1920 kam ein dritter Band hinzu, der speziell dem 1915 errichteten Großkraftwerk Golpa/ Zschornewitz (an der Mulde bei Bitterfeld, Provinz Sachsen) mit einer Leistung von 128 000 kW gewidmet war.
     Im Jahre 1913 gab es unter den zahlreichen deutschen Stromerzeugern nur drei große: das Rheinisch- Westfälische Elektrizitätswerk, die Berliner und die Oberschlesischen Elektrizitätswerke. Nach Klingenbergs Worten »gelangt der Wirtschaftsingenieur gewissermaßen gezwungenerweise, wenn er die Erzeugungskosten des Stromes in mittleren und kleinen Werken denen in großen gegenüberstellt und gleichzeitig die Fortleitungskosten des Stromes mit den Kohletransporten vergleicht ... zu der Überzeugung, dass der jetzige Zustand unhaltbar ist und dringend Besserung fordert«.
     Durch den Bau von Überlandzentralen, die immer größere Gebiete versorgten, wurden Kreis- und Gebietsgrenzen überschritten. Doch oft beschränkten öffentlich- und privatrechtliche Hindernisse die weitere Entwicklung.
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Er kam zu dem Schluss, dass solche Zentralen nur dann lebensfähig sind, wenn die Elektrifizierung großer Gebiete nach einheitlichen Grundsätzen gelingt, und forderte: »Nach Lage der Verhältnisse hat aber nur eine Organisation die Macht hierzu, nämlich der Staat. Es wird Aufgabe der staatlichen oder besser noch der Reichsgesetzgebung sein, den im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung zu gründenden elektrischen Großunternehmungen rechtliche Machtvollkommenheiten einzuräumen ...« Dazu schlug er vor:
     1. Gründung großer Elektrizitätsunternehmen in Form von Gesellschaften unter Mitwirkung des Staates;
     2. Verpflichtung dieser Unternehmen, an innerhalb des Versorgungsgebietes liegende andere Unternehmungen Strom zu festgelegten Bedingungen zu liefern;
     3. Erteilung von Wege- und damit Enteignungsrechten,
     4. Beschränkung der Stromerzeugung bestehender Unternehmen auf die bereits ausgebaute Leistung und Bezug des Mehrbedarfs aus den großen Unternehmen;
     5. Festsetzung von Bestimmungen, die auf eine Vereinheitlichung technischer Größen abzielen.
     Während des Ersten Weltkrieges war Klingenberg Vorstandsmitglied der Kriegsrohstoffgesellschaft und Vorsitzender der von ihm gegründeten Elektrizitäts- Wirtschaftsstelle. 1916 relativierte Klingenberg in einem Artikel in der »Elektrotechnischen Zeitschrift« seine Forderungen und betonte,
»dass die staatliche Mitwirkung sich auf Erzeugung und Fortleitung im Großen zu beschränken habe ... der Einzelverkauf und der Verkehr mit den Abnehmern nicht Gegenstand staatlicher Fürsorge sein dürfe ...« Er schlug für Preußen vor, was in Bayern und Baden schon im Gange war, etwa 25 Werke mit Einheiten von 15 000 bis 20 000 kW an geeigneten Punkten zu errichten, das heißt hauptsächlich bei Steinkohlenbergwerken und Braunkohlengruben. Die Leistung der Kraftwerke sollte 80 000 bis 100 000 kW nicht überschreiten, und für die Verbindung untereinander sorgten Hochspannungsleitungen von maximal 100 000 Volt.
     Im März 1919 plädierte Klingenberg für einen behutsameren Übergang zur Großversorgung. Nun schlug er für Preußen acht Versorgungsgebiete vor, deren Zusammenschluss zu einem späteren Zeitpunkt problemlos wäre. Am 31. Dezember 1919 erließ die sozialdemokratisch geführte Regierung ein Gesetz zur sogenannten »Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft«. Danach war vorgesehen, das Reichsgebiet in Bezirke einzuteilen und die der Erzeugung und Fortleitung dienenden Anlagen in Körperschaften oder Gesellschaften unter Führung des Reiches zusammenzuschließen. Außerdem sollte das Reich befugt sein, Leistungen ab 50 kW aufwärts und Erzeugungsanlagen mit einer installierten Leistung von 5 MW und mehr zu übernehmen. Damit waren weder die Anhänger noch die Gegner der Grossversorgung einverstanden.
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Gedenktafel am Kraftwerk Rummelsburg
Das Gesetz wurde nie vollzogen.
     Zwei Jahre später, 1921, stand Klingenberg seinen eigenen einstigen Vorschlägen noch kritischer gegenüber und stellte fest, dass sich die Verhältnisse für die Durchführung der elektrischen Großwirtschaft nach dem Kriege verschlechtert hätten und sein Plan, 30 Großkraftwerke zu errichten, sich zur Zeit nicht realisieren lasse. Hintergrund waren die drastisch gestiegenen Kohlenpreise.
Scharf wandte sich Klingenberg gegen die »Bevormundung aus Berlin«: »So stehe ich überhaupt auf dem Standpunkt, dass die heutige Tendenz zu weit getriebener Zentralisierung behördlicher Maßnahmen, die sich in vielen Gesetzesvorlagen widerspiegelt und vor allen Dingen auch bezüglich der Elektrizitätspolitik in den Gesetzesvorlagen ihren Ausdruck fand, ... fehlerhaft ist und mehr Schaden als Nutzen stiftet.
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Man erhält fast den Eindruck, als ob die häufig überstürzt eingebrachten Gesetzesvorlagen und die unendlichen und über jedes vernünftige Ziel hinausschießenden Neuorganisationen nur dazu dienen sollen, einen Machthunger zu stillen, der in einem geradezu fürchterlichen Anwachsen der Zahl der Beamten seinen letzten Ausdruck findet.« Weit größere Auswirkungen auf den Bau von Großkraftwerken als die rechtliche Unsicherheit hatte die wirtschaftliche Stagnation. Erst nach der Inflation setzte eine Belebung der Wirtschaft in Deutschland und damit eine gesteigerte Nachfrage nach Energie ein. Zwischen 1923 und 1926 baute die AEG fünf weitere Kraftwerke nach Klingenbergs Plänen.
     Für sein letztes Werk, das Großkraftwerk Rummelsburg der Städtischen Elektrizitätswerke Berlin, erfolgte am 15. September 1925 der erste Spatenstich. Sein Bruder, der Architekt Walter Klingenberg, der 1913 mit Werner Issel die Fa. Klingenberg & Issel gegründet hatte, war ausführender Architekt. Schon am 19. Dezember 1926 lieferte das Kraftwerk den ersten Strom für Berlin. Mit Turbineneinheiten von 80 000 kW und einer Leistung von 270 000 kW ging es ab Mai 1927 ans Netz (vgl. BML 4/93, S. 72 ff.)
Georg Klingenberg, der zuletzt in der Neuen Kantstraße 21 wohnte, erlebte die Einweihung des größten und modernsten Elektrizitätswerkes Europas, das mit Kohlestaub befeuert wurde, nicht mehr. Er starb kurz nach seinem 55. Geburtstag am 7. Dezember 1925 an einer Lungenentzündung.
     Begraben wurde er auf dem Kirchhof der Dreifaltigkeitsgemeinde Bergmannstraße 39-41, er hat dort ein Ehrengrab. Neben ihm ruhen der Maler und Graphiker Adolph Menzel (1815-1905) und der Architekt Heinrich Kayser (1842-1917), dessen Tochter Maria Georg Klingenberg 1912 geheiratet hatte. Den Grabstein ziert der Spruch:
Was ist der Ruhm? / Ein Regenbogenlicht / Ein Sonnenstrahl / der sich in Tränen bricht

Bildquelle: Archiv Autorin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
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