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Kurt Laser
Böllerschüsse vor der Liebesinsel

Die Seglervereine des Rummelsburger Sees

Auf der Halbinsel Stralau wurden vier Segel für eines der größten Berliner EXPO- Projekte, die Rummelsburger Bucht, gesetzt. Wenn dieses Gewässer heute in der Presse auftaucht, dann meistens nur wegen der Beseitigung ökologischer Schäden von mehr als 100 Jahren Industrieabwässer. Dabei ist die Bucht, meist See genannt, sogar Geburtsstätte des deutschen Segelsports. Zuerst entstanden hochherrschaftliche, später bürgerliche und zuletzt die Arbeitersegelvereine.
     1835 wurde in Alt- Stralau 25 die Tavernengesellschaft gegründet. Das Vereinslokal »Alte Taverne« war ein zweistöckiges Gebäude mit Fassade zum Wasser, das vorher Eigentum des Generals von Wreech war. Zu den rund hundert Mitgliedern der Gesellschaft zählten erste Kreise des Staatslebens, des Militärs und der Wirtschaft. In einem Rückblick wird darauf verwiesen, dass zum Segeln Kutter und zwei- oder dreimastige Logger verwendet wurden, die durchweg hohen Freibord und vollen Bug hatten und hauptsächlich der Waterkant entstammten.

Außenbords waren gar »erschröckliche« Stückpforten angemalt. Auch wirkliche Kanonen ließen zum Salut ihre Donnerstimmen erschallen. Manche dieser Boote hatten noch zur Zeit des großen Korsen als Zollwachschiffe englische Schmugglerschiffe gekapert.
     Ein Gemälde von C. Baumgärtner zeigt 13 Boote der Tavernengesellschaft vor der »Alten Taverne« im Jahre 1842.
     In diesen Kinderjahren des Segelsports lehnte man sich in Kleidung und Trunk den Seeleuten an. Die preußische Matrosentracht mit dem breitkrempigen Lackhut im Nacken hielt sich bis in die 60er Jahre, als dann bei den neuen Klubs in Straßenanzügen gesegelt wurde. Später verbreitete der Kaiserliche Yachtklub dann eine Kluft nach dem Bordanzug der Marineoffiziere.
     Die Tavernengesellschaft existierte wahrscheinlich bis 1881. Das Erbe fiel dem 1867 gegründeten Berliner Segler- Club (BSC), der ein Jahr später auf der Dahme die erste Berliner Segelregatta organisierte, und dem jüngeren Stralauer Segler- Verein von 1880 zu, der sich ab 1883 Berliner Seglerverein nannte. Am 26. Februar 1885 entstand aus BSC und BSV mit 143 Mitgliedern und 67 Booten der Berliner Yacht- Club (BYC).
     1883 gründete sich im »Alt- Berlin« in der Stralauer Straße 47 die Freie Vereinigung der Segelfreunde auf dem Rummelsburger See. Ihr Ziel bestand darin, volkstümliches Segeln auf kameradschaftlicher Grundlage zu betreiben.
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Gegend bei Treptow mit Aussicht auf Stralau. August von Rentzell, Ölgemälde um 1840
Neben Kaufleuten und Unternehmern des Gründungsvorstands, denen auch überwiegend die Boote gehörten, waren Arbeiter, Angestellte und Handwerker im Verein. Liegeplätze waren auf der Liebesinsel im See und bei der »Alten Taverne« und »Neu- Seeland«.
     1886 gab es unter dem Namen Verein Berliner Segler die ersten eigenen Regatten, Die Mitgliederzahl hatte sich von 32 auf 70 erhöht, und man verfügte zunächst über 24 Boote,
selbstgebaut oder ausrangierte der bürgerlichen Clubs. Am 29. August 1891 entstand in Stralau mit 14 Mitgliedern und sechs Booten (4 Kiel- und 2 Schwertbooten) der Segelclub Fraternitas, der als erster Arbeitersegelklub Deutschlands gilt. Die Fraternisten galten damals als die Favoriten des Rummelsburger Sees. Ihr seglerisches Können zeigte sich auch daran, dass der Potsdamer Yacht- Club 1894 den SC Fraternitas zu einer Regatta auf dem Templiner See bat.
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Als besonderes sportliches Ereignis wird das Ansegeln des SC Fraternitas im Jahre 1901 geschildert, bei dem dieser zum ersten Male seinen neuen Stander mit dem Symbol der verschlungenen Hände zeigte. Dieses Ansegeln endete mit einer Verbrüderungsfeier mit Ruderverein Vorwärts und Radfahrerbund Solidarität im Treptower Eierhäuschen. Bis 1919 hatte der SC Fraternitas außer in Stralau noch Liegeplätze in Schmöckwitz, Grünau und Köpenick. Im Frühjahr 1919 pachtete er Gelände an der Köpenicker Wendenschloßstraße, errichtete 1920 das Seglerheim und kaufte 1927 das Grundstück.
     Am 25. September 1897 wurde - wiederum im »Neu- Seeland« - von zehn Gründungsmitgliedern der Berliner Jollen- Club (BJC) aus der Taufe gehoben. Nur Boote bis acht Quadratmeter in der Wasserlinie wurden zugelassen, das Eintrittsgeld lag bei zwei Mark, der Monatsbeitrag bei 50 Pfennigen. Mitglieder waren kleine Handwerker und Angestellte des Berliner Südostens.
     Am 19. Mai 1898 veranstaltete der Club seine erste Rummelsburger Regatta. Die Zeitung »Der Wassersport« schrieb damals in Nummer 20/98 anerkennend, dass die Jollen des BJC vortrefflich geführt würden. Über Jahrzehnte blieb der BJC eine kleine, finanziell bescheidene Gemeinschaft. 1910 mietete er im Restaurant Richtershorn in Karolinenhof einen Kellerraum und Bootsstände. Die Vereinsgeschichte verzeichnet bis zum heutigen Dahme Jacht Club e.V. mit Liegeplatz Seddinpromenade acht Namens- und zwei Standortwechsel.
Ein Teil der bei »Neu- Seeland« liegenden Segler zog mit 9 Booten 1898 nach Grünau und gründete dort am 1. Oktober des Jahres die Freie Vereinigung der Tourensegler Grünau von 1898, aus der die heutigen Clubs SC Brise 1898 e.V. in Köpenick, Wendenschloßstraße, und die TSC 1898 in Schmöckwitz, Jagen 37, hervorgegangen sind. Der Yachtklub Wendenschloß e. V. nahm Ende der 90er Jahre ebenfalls Abschied von der Bucht. Am 17. Dezember 1903 wurde der Segelklub Wendenschloß gegründet.
     SC Fraternitas, dazu die Freie Vereinigung der Tourensegler Grünau und der SC Wendenschloß bildeten den Stamm der Arbeitersegler und retteten ihn hinüber in die Nachkriegszeit, heißt es 1931 in der Chronik zum 30. Jahrestag des Freien Segler- Verbandes. Am 5. März 1901 gründeten der SC Fraternitas und die Vereinigung der Tourensegler Grünau den Berliner Wettsegel- Verband. 1905 traten der SC Wendenschloß und der Verein Berliner Segler bei, letzterer aber nur für vier Jahre. Ab 1924 - schon deutschlandweit organisiert - hieß er Freier Wettsegel- Verband, später Freier Segler- Verband.
     Am 9. Oktober 1919 entstand auf der Liebesinsel ein weiterer Arbeitersportverein, der Segelclub 1919 Stralau e.V. Er pachtete ein Grundstück an der Kynaststraße ebenfalls in der Nähe des »Neu- Seeland«. Ein Bollwerk wurde errichtet, Stege, Slip, Schuppen und ein Unterkunftsraum mit Kantine entstanden, auch eine Laube aus Munitionskisten.
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Der Verein zählte im Gründungsjahr 56 Mitglieder. 1921 trat er dem Berliner Wettsegel- Verband bei. Die 1928 gebildete Jugendabteilung hatte später sogar ein eigenes Jugendboot.
     Wilhelm Sinske, Mitbegründer des Freien Segler- Verbandes und später zwanzig Jahre lang Vorsitzender des SC Stralau 1919, konnte 1928 günstig eines der Boote vom früheren kaiserlichen Jachtclub kaufen, das Kaiser Wilhelm II. gehört hatte. Es trug Segelnummer 28 und wurde mit dem Namen »Riese« zum Flaggschiff des SC Stralau 1919. Auch in der Nazizeit konnte in den Klubs weitergesegelt werden. Am 19. Juli 1939 wurde das Schiff neu vermessen - der bis zum 29. Juli 1945 gültige Messbrief existiert noch. Die »Riese« lag noch am 8. Mai 1945 auf der Slipbahn in der Rummelsburger Hauptstraße, am nächsten Tag war sie weg. Dass das öl- und bleifreie Boot auf dem Seegrund läge, ist bisher nur Legende.
     Horst Sinske, Sohn des Clubvorsitzenden und Mitglied der Jugendabteilung des Segel- Clubs 1919 Stralau e. V., heute im SC Heiligensee organisiert, erinnerte sich an Lustiges in der Kynaststraße: »Mein Onkel Alfred, Vorschotmann bei Vater, kam immer als >Pfarrer< verkleidet mit einem kleinen Sarg, in dem eine Schnapsflasche war. Eines Tages ging er im Talar den Steg entlang und fiel, ohne eine Miene zu verziehen, ins Wasser. Alle, die in Schonerts Restaurant >Neu- Seeland< an den Gartentischen saßen, sprangen auf, weil sie ja nichts von seinen Schwimmkünsten wussten.
Er schwamm los, stieg aus dem Wasser und trat triefend nass an die Bar. Er trank wortlos ein bereitgestelltes Bier, ging, fiel wieder in den See, kam zurück zum Clubgelände, stumm wie ein Fisch. Auch >Die Jacht< schrieb 1931 über den >Vereinspfarrer<.«
     1920 entstand auf der Insel Kratzbruch der Yachtclub Goodewind. Die Mitglieder kamen überwiegend aus dem Mittelstand. Die Eintrittsgebühr betrug 5 RM, der Jahresbeitrag lag bei 44 RM für aktive Mitglieder und bei 6 RM für Jugendliche. In den dreißiger Jahren verfügte der Club über 18 Segelyachten und zählte 28 Mitglieder. Zur Jugendabteilung gehörten auch Mädchen. Frauen durften damals zwar mitsegeln, doch Mitgliedschaft blieb ihnen verwehrt.
     Am 27. September 1922 fanden sich 16 Sportler zusammen, um den Verein Berliner Jollensegler e.V. zu gründen, dessen erster Heimathafen sich wiederum neben Schonert in Stralau befand. Mutter Schonert mit der ewig gefüllten Kaffeekanne auf dem Tisch, der liebliche alkoholische Dämpfe entströmten, hatte von jeher ein besonderes Herz für die Segler. Sie stellte ihre Uferanlage unentgeltlich zur Verfügung. In wenigen Wochen war eine 46 m lange Steganlage fertiggestellt. Doch als Mutter Schonert starb, erzwang die nun verlangte Pacht den Umzug nach Grünau. Am Bußtag 1924 ging es zum Kleinen Rohrwall in Köpenick.
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Blick auf die Halbinsel Stralau 1997
Am 18. Mai 1928 entstand als letzte Seglervereinigung am Rummelsburger See der Wassersport- Verein Welle, bald Mitglied im FSV. Auf der Liebesinsel wurden zunächst Bootsstände vom Restaurant Ernst gemietet. Wenig später konnte ein Uferstreifen von 40 Meter Länge in der Tunnelstraße direkt vor dem Restaurant Schwanenberg gepachtet werden. Das dort errichtete Bootshaus brannte 1932 ab, und der WSV Welle zog nach Köpenick an die Achenbachstraße
Am 1. Juli 1923 war der Verein Berliner Jollensegler gemeinsam mit dem SC Stralau 1919 Veranstalter einer Offenen Wettfahrt des Berliner Wettsegler- Verbandes auf dem Rummelsburger See. Es wurde berichtet, dass der See wohl noch nie eine so stattliche Anzahl Boote gesehen habe, obwohl von ursprünglich 81 gemeldeten zehn wieder abgesagt hatten. Den Organisatoren wurde bescheinigt, alles getan zu haben, um der Wettfahrt den äußeren festlichen Rahmen zu geben. Flossenkieler, 20-qm- Jollen, 15-qm- Jollen, 15-qm- Wanderjollen und 10-qm- Wanderjollen traten an. Dieser Regatta folgten zahlreiche weitere. (heute Salvador-Allende- Straße).
     Der SC Stralau 1919 siedelte im Winterhalbjahr 1935/36 in die Hauptstraße 3/4 auf die Rummelsburger Seite um. Es standen hier zwei große Bootsschuppen, Klubhaus mit Kantine und 60 Sommerhäuschen aus Holz. Hier befanden sich auch die Reederei Adolf Lübeck mit einem Motorboothafen und die Holzbootwerft Gephardt. Diese baute 1940 noch den Jollenkreuzer P 102, mit dem nach 1945 beim SC Heiligensee gesegelt wurde.
     Der SC Stralau 1919 zählte Mitte der dreißiger Jahre 58 Klubmitglieder. Zur Jugendgruppe gehörten 15 Jungen.
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Von Mai bis Oktober lebten die Familien auf dem Grundstück, die Kinder gingen von hier zur Schule. Das Seeufer war mit Schilf gesäumt, und es gab viele Krebse.
     Zwischen dem SC Stralau 1919 und dem Yachtclub Goodewind hatte sich schon sehr bald nach der Gründung ein gutes kameradschaftliches Verhältnis herausgebildet, das sich auch nach dem Umzug auf die Rummelsburger Seite nicht veränderte. Das gemeinsame Ansegeln war stets ein feierlicher Akt. Der Beginn war in der Regel auf 9.30 Uhr festgelegt. Die Flotten des SC 1919 Stralau und des YC Goodewind segelten von verschiedenen Seiten aufeinander zu. Kein Steuermann wagte es, das Flaggschiff zu überholen. Das hätte eine Stubenlage gekostet. In der Seemitte, Höhe Palmkernölspeicher, vereinigten sie sich, nachdem von den Flaggschiffen je drei Salutschüsse mit 20-mm- Platzpatronen aus den Böllerkanonen abgegeben worden waren. Fahrtziel war häufig das Eierhäuschen in Treptow. Für die Feier wurden Lebensmittelmarken gespart und Bier aus der Engelhardt- Brauerei angelandet.
     Am 12. April 1942 war die letzte Segelregatta auf dem Rummelsburger See. Im August schlug dann eine Sprengbombe in der Mitte der Insel Kratzbruch ein. Nur einige Bretter blieben von den Einrichtungen des YC Goodewind übrig. Aus dem wassergefüllten Bombentrichter in der Inselmitte wurde der heutige kleine See. An anderen Liegeplätzen hatten einige Boote überlebt. Im gleichen Jahr traf den SC- Klubraum eine Flakgranate. Bis 1944 waren beim gemeinsamen Ansegeln noch 25 Boote dabei.
     Bei einem Angriff der US- Luftwaffe am 21. Juni 1944 zerstörten Brandbomben die Bootshäuser des SC Stralau 1919 in der Hauptstraße 3/4. Nur fünf Boote blieben übrig.
Als Horst Sinske zu Fuß von der Friedrichstraße als Erster kam, war noch alles heiß. Er verbrannte sich die Finger an der Ankerkette, die im Bootsschuppen lagerte. Er konnte erkennen, dass das Ballastblei in den See gelaufen war. Später holte die SS das Blei ab.
     Aus dem Blech und den Holzresten wurde der Club provisorisch noch einmal aufgebaut, und trotz des Krieges wurde bis Ende 1944 weitergesegelt. Das Terrain Hauptstraße 3/4 wurde 1945 beschlagnahmt.
     Eine Wiederbelebung der drei Klubs am Rummelsburger See gelang nicht mehr.

1 Vgl. Chronik des Dahme Jacht- Club von 1897 bis 1997, Berlin 1997, S. 2 ff.; Peter Jakob, 100 Jahre Dahme Jacht Club in Schmöckwitz. In: Berliner Segler- Verband. Jahrbuch, Wettfahrt- Kalender 1997, S. 22 ff.
2 Vgl. 30 Jahre Freier Segler- Verband, a.a. O., S. 175
3 Vgl. ebenda, S. 176
4 Ebenda, S. 180
5 Die Yacht, Jg. 1923, S. 528
6 Vgl. 30 Jahre Freier Segler- Verband, a.a. O., S. 206

Bildquellen: Stich: Archiv LBV,
Foto: Archiv LBV; Fotograf: A. Stuck

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
www.berlinische-monatsschrift.de