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Herbert Schwenk
Fieberhafte Flucht zum literarischen Weltruhm

Der Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947)

» ... ich bin doch froh, dieses Buch geschrieben zu haben, endlich wieder ein Fallada«, schrieb Rudolf Ditzen, den die ganze Welt als Hans Fallada kennt, am 17. November 1946 erleichtert an den Aufbau- Verlag. Mit einer Arbeitsleistung ohne gleichen hatte er soeben, zwischen dem 30. September und 24. Oktober 1946, seinen letzten, 540 Druckseiten und 72 Kapitel umfassenden Roman »Jeder stirbt für sich allein« niedergeschrieben. Eine Gedenktafel am Haus Nr. 19 am damaligen Eisenmengerweg in Pankow- Niederschönhausen, der heute Rudolf-Ditzen- Weg heißt, erinnert an jene letzte Wohnung Falladas und das bedeutende Ereignis. Denn Falladas Buch »Jeder stirbt für sich allein«, das Johannes R. Becher (1891-1958) Falladas Vermächtnis nannte, ist der erste große Roman über den antifaschistischen Widerstandskampf, der nach dem Ende des NS-Regimes geschrieben wurde. Schon im November 1945, als Fallada den Romanstoff aus Gestapoakten erhalten hatte, kündigte er in einem Zeitschriftenartikel unter der Überschrift »Über den doch vorhandenen Widerstand der Deutschen gegen den Hitlerterror« an:

»Ich hoffe es, daß ihr Kampf, ihr Leiden, ihr Tod nicht ganz umsonst waren.« Fallada setzte nicht nur dem ohnmächtigen, heldenmütigen Widerstand der vielen kleinen »Quangels« gegen die übermächtige Maschinerie des Faschismus ein bleibendes Denkmal, sondern verhalf Millionen Lesern zu ersten Schritten bei der Auseinandersetzung mit der NS- Vergangenheit.
     Rudolf Ditzen wurde am 21. Juli 1893 als drittes Kind und erster Sohn des Landrichters Wilhelm Ditzen (1852-1937) und seiner 18 Jahre jüngeren Ehefrau Elisabeth (geb. Lorenz) in Greifswald geboren. Das ruhelose Leben des Rudolf Ditzen begann mit einer unglücklichen Kindheit und Jugend, an deren Ende die Abkehr vom Elternhaus und tiefe Zweifel an sich selbst und an den Werten der bürgerlichen Welt standen. Rudolf sollte schon bald dem Muster des »ungeratenen Sohnes« einer typischen preußischen Beamtenfamilie entsprechen und den Vorsatz fassen, das Leben der Eltern nicht nachleben zu wollen. Sein ostfriesisch- preußischer Vater stammte aus einer Juristenfamilie alter Tradition, seine Mutter aus dem Hause eines Lüneburger Zuchthausgeistlichen. Wie für seinen zehn Jahre älteren Zeitgenossen Franz Kafka (1883-1924) war auch für Rudolf Ditzen die Kälte des väterlichen Karrierestrebens das prägende Grunderlebnis der Persönlichkeitsentwicklung. Die Entfremdung von den Vätern wurde für sie zum Hauptmotiv der Flucht in die Welt der Bücher und des Schreibens, die sie später zum literarischen Weltruhm führte.
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Schon früh war der sensible Rudolf das Sorgenkind der Familie. Bereits nach wenigen Jahren zeigten sich bei ihm ein »unstetes Wesen«, Nervosität und Unrast. Befördert wurde dies durch den häufigen Wechsel des Wohnorts der Familie, den das Leben des hochrangigen preußischen Juristen mit sich brachte, bevor es 1900 mit der Berufung an das Kammergericht in Berlin und 1908 an das Reichsgericht in Leipzig gekrönt wurde. Rudolf erlebte den Eintritt ins Schulleben 1901 in Schöneberg, das 1898 selbständige Stadt geworden war und 1920 nach Berlin eingemeindet wurde. Im exklusiven »Prinz-Heinrich- Gymnasium« durchlitt er, verhöhnt von den Söhnen des Offiziers- und Besamtenadels, einen »pädagogischen Kasernenhof« voller Quälereien und kleiner Grausamkeiten, die den Schüler am Ende seiner Schulzeit zu dem harten Urteil veranlassten: »In der modernen Schule kann man nur als Verbrecher oder Irrsinniger enden.« Auch der mehrfache Schulwechsel (1906 Wilmersdorf, 1909 Leipzig, 1911 Rudolstadt) konnte dieses Urteil nicht mildern. Rudolf Ditzen, der bis zu seinem 16. Lebensjahr alljährlich einmal lebensgefährlich erkrankte, Missgeschicke aller Art erlitt und zweimal nicht versetzt wurde, geriet zunehmend in eine Außenseiterrolle. Ihn plagten frühzeitig Schlaflosigkeit, Angstträume, Einbildungen, Depressionen und - Lebensmüdigkeit. Er unternahm erste Fluchtversuche: vom Ausreißversuch nach Hamburg mit gestohlenem Geld des Vaters bis zur Flucht in die Welt der Bücher und des eigenen Schreibens. Seine Liebe zum Wort, den Lese- und Schreibhunger, hatte er schon früh entdeckt. Rudolf las die Abenteuerbücher der Weltliteratur und beschäftigte sich gegen Ende der Schulzeit sogar mit Oscar Wilde (1854-1900) und Friedrich Nietzsche (1844-1900). Er beteiligte sich am Schüler- Literaturklub »Literaria«, verfasste erste schwermütige Gedichte, fertigte als 18jähriger eine sein eigenes Ich erkundende Lebensskizze an und korrespondierte im Jugendalter erstaunlich selbstbewusst mit Romain Rolland (1866-1944), um die deutschen Übersetzungsrechte (!) am »Leben Michelangelos« (1905) zu erlangen. Die Kluft zwischen Rudolf Ditzen und seiner Umwelt eskalierte in der »Rudolstädter Gymnasiasten- Tragödie« vom 17. Oktober 1911, bei der Ditzen nur knapp einer Mordanklage entging. Er und sein Freund Hanns Dietrich von Necker hatten beschlossen, einen Doppelselbstmord zu begehen. Necker fand den Tod, Ditzen überlebte schwer verletzt. Das Gericht billigte dem Überlebenden und Wiedergenesenen Unzurechnungsfähigkeit zu.
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Mit der Rudolstädter Tragödie und folgenden Heilbehandlung endete nicht nur Ditzens Schulzeit ohne Abschluss, sondern scheiterte zugleich der vom Vater vorgezeichnete Lebensplan - wie auch Jahre zuvor bei seinem Zeitgenossen Kafka. Als Motiv für seinen »Wolfroman« gibt Fallada später die programmatischen Sätze: »Es ist eine hungrige Zeit, Wolfszeit. Die Söhne haben sich gegen die eigenen Eltern gekehrt.«
     Was nun, Rudolf Ditzen? Diese Frage war zu seiner großen Lebensfrage geworden und sollte fortan das ganze Spektrum zwischen bürgerlicher Deklassierung und Integration erfassen. Fast zwei Jahrzehnte später, am 21. März 1929, wird er seine künftige Ehefrau Anna warnen: »Ich hoffe, Du bist Dir ganz klar, dass Dich eine finanziell ungewisse Zukunft erwartet, dass ich nicht gesund bin, dass Du von mir keine Kinder haben wirst und haben darfst, dass ich gesellschaftlich deklassiert bin.«
     Nachdem Ditzen seine 1913 begonnene Landwirtschaftslehre abgebrochen hatte und als Kriegsfreiwilliger bereits nach zwölf Tagen als »dauernd k. v. u.« entlassen werden musste, begann der unruhigste Abschnitt in seinem ruhelosen Leben, der etwa ein Jahrzehnt ausfüllte. Er zog auf zahlreichen Gütern zwischen Ostsee und Schlesien umher und wurde Spezialist für den Anbau von Kartoffeln. So kam er im Spätherbst 1916 - nach sieben Jahren Abwesenheit - auch wieder nach Berlin. Die Metropole zog ihn trotz der Kriegsnot mehr denn je in ihren Bann. Er machte neue Bekanntschaften mit Personen und Abgründen des Lebens. Anne Marie Seyerlen, Ehefrau des Geschäftsmanns Egmont Seyerlen, über den er

Hans Fallada (Rudolf Ditzen) Porträtkarikatur von E. O. Plauen

übrigens auch Ernst Rowohlt (1887-1960) kennen lernte, ermunterte ihn, seine spannenden Kindheits- und Jugenderlebnisse aufzuschreiben. So entstand in Berlin sein erster Roman >Der junge Godeschal<, dessen Held, der Gymnasiast Kai Godeschal, zum Schrecken der Verwandten Rudolf Ditzens, unübersehbar autobiographische Züge trägt.

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Es ist seine erste, noch zaghafte Auseinandersetzung mit der verpfuschten Kindheit und Jugend. Um seine Identität zu verbergen und die Angehörigen zu schützen, beschloss er, in einen Künstlernamen zu schlüpfen. Er wählte das Pseudonym »Hans Fallada« mit Bedacht aus: Während »Hans« als gutes Omen aus dem bekannten Märchen für das Glück steht, soll »Fallada« an das geschundene Schimmelpferd »Falada«, das lieber stirbt als lügt, erinnern. In jener Zeit der Arbeit an seinem ersten Roman, der 1920 in 1 000 Exemplaren im Rowohlt- Verlag erschien, ohne dass die Kritik bereits davon Notiz nahm, machte Rudolf Ditzen unter der »Regie« von Frau Seyerlen für sich eine weitere lebensprägende Entdeckung: den Rausch des Giftes. Er erlebte den »sanften, glücklichen Strom« des Morphiumrauschs, der ihm das Leben für Momente versüßte, um es danach um so mehr zu zerstören. Am Ende seines Lebens hat Fallada im letzten seiner autobiographischen Werke »Der Alpdruck« (1946) die verheerenden Wirkungen beschrieben. Sein literarisches Ebenbild »Dr. Doll« braucht diesen »kleinen Tod«. Textprobe: »Er musste sich nicht mehr quälen, über nichts hatte er sich noch Rechenschaft abzulegen… Es zieht wie Wolken durch seinen Kopf, er möchte noch an dies und das denken, und er ist doch schon fort von dieser Welt in seinem geliebten Kleinen Tod.« Manche der vielen Menschen, die Rudolf Ditzen in jener »Wolfszeit« kennen lernte, erlangten Bedeutung für sein weiteres Leben, manch einem setzte Fallada in seinen Romanen ein literarisches Denkmal. Dazu gehört der Landwirt und Sonderling Johannes Kagelmacher, der ihm mehrfach in den vielen Nöten half und dessen Gudderitzer Bauerhof auf Rügen in Falladas zweitem Roman »Anton und Gerda« (1923) ebenso eine Rolle spielt wie als Figur des Johannes Gäntschow im Fallada- Roman »Wir hatten mal ein Kind« (1934). Da ist weiter Wolfgang (»Wolf«) Parsenow, mit dem ihn bald eine enge Sucht- Kumpanei verband und dessen Urbild als »Wolf« Pagel in Falladas großem Zeitpanorama »Wolf unter Wölfen« (1936/1937) literarische Berühmtheit erlangt. Viele Gestalten des ostelbischen Adels standen ihm im Inflationsjahr 1923 während seiner Aufenthalte als Gutsbeamter auf Neuschönfeld bei Bunzlau in Schlesien und Radach bei Dossen in der Neumark »Modell«. Und er erhielt abseits von Berlin Einblicke in das große politische Tauziehen, darunter in die Pläne und Praktiken der Freikorps.
     Aber beim Umhertreiben auf den ostelbischen Gütern holten ihn auch die Schatten der Vergangenheit wieder ein. Zigaretten, Alkohol und Morphium zerrütteten seine Gesundheit und sein Leben weiter.
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Rudolf Ditzen beging Unterschlagungen, die ihm in der zweiten Jahreshälfte 1924 eine Gefängnishaft in Greifswald und im Jahr darauf sogar zweieinhalb Jahre Freiheitsentzug im Zentralgefängnis Neumünster einbrachten - und den literarischen Welterfolg der Gefängniserlebnisse seines Konterfeis Willi Kufalt in »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934). Als er im März 1928 das Gefängnis verließ und abermals vor dem bangen »Was nun?« stand, befand er sich auf der Talsohle seiner bisherigen Existenz. Er war zum gesellschaftlich Geächteten geworden: ohne berufliche und familiäre Verwurzelung, zurückgeworfen in die private Isolation, ohne erkennbare Leitbilder und Ambitionen. Er entschied sich für einen Neuanfang in Hamburg, schlug sich als Adressen- Schreiber mehr schlecht als recht durch und wurde unter dem Einfluss seines Freundes Hans Issel Mitglied der SPD. Da erschien ein Rettungsanker gleich in doppelter Gestalt: Er erhielt eine Anstellung beim »General- Anzeiger zu Neumünster« und fast gleichzeitig seine künftige Ehefrau Anna Margarete Issel, genannt »Suse«. Ditzen tankte neuen Lebensmut und heiratete am 5. April 1929 Anna Dissel in Hamburg.
     Während Deutschland vom Fieber der Weltwirtschaftskrise geschüttelt wurde, erlebte Ditzen in Neumünster harte politische Auseinandersetzungen, insbesondere um die schleswig- holsteinische »Landvolk- Bewegung« der Großbauern. Die turbulenten Ereignisse bilden den Hintergrund zu Falladas dritten Roman, seinem ersten über das Leben der kleinen Leute.
Ditzens kehrten Neumünster den Rücken und zogen Mitte Januar 1930 nach Berlin.
     Endlich hatte die große Stadt ihren »kleinen Mann« wieder und er sie! Rudolf fand eine Anstellung im Verlag von Ernst Rowohlt und begann Anfang Februar 1930 das Buch zu schreiben, das unter dem ursprünglichen Titel »Ein kleiner Zirkus namens Monte«, das er in rasendem Arbeitstempo Anfang September - schon nicht mehr in Berlin - beendete und das 1931 unter dem Titel »Bauern, Bonzen und Bomben« erschien. Im März 1930 wurde Sohn Ulrich (»Murkel«) geboren, und die Familie bezog Anfang August 1930 ein kleines, auf Abzahlung erworbenes Haus in Neuenhagen bei Berlin. Fallada wurde arbeitslos und begann im März 1931 einen neuen Roman unter dem Arbeitstitel »Kippe oder Lampen!«, den er jedoch Mitte April abbrach und erst zwei Jahre später unter dem neuen Titel »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« vollendete. Er wollte zuvor etwas schreiben, »was Spaß macht«. Zwischen dem 19. Oktober 1931 und dem 19. Februar 1932 brachte Hans Fallada im Arbeitsrausch seinen vierten Roman »Kleiner Mann - was nun?« zu Papier und landete mit dieser exzellenten Schilderung des Lebens der »kleinen Leute« einen Welterfolg. Der Roman bescherte dem Leben des Rudolf Ditzen den bisher größten Triumph. Ditzens waren mit einem Schlag aller finanziellen Sorgen ledig: 7 000 RM brachte allein der Vorabdruck in der »Vossischen Zeitung«, 12 000 RM die deutsche Verfilmung von 1932 und 50 000 RM ergaben die amerikanischen Filmrechte. Geblendet vom Erfolg, brachen wieder alte Leidenschaften hervor.
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Man verprasste sinnlos Geld auf Streifzügen durch Berliner Nachtlokale. Das Leben drohte erneut zu kippen. Die Familie musste weiter weg von Berlin. Eine Zwischenstation war Berkenbrück bei Fürstenwalde, wohin Ditzens 1933 übersiedelten, während sich »draußen« die Nacht des Faschismus über Deutschland senkte. Fallada verkannte diese Zäsur im Rausch seines Erfolges, während andere Schriftsteller ihre Stimme mutig gegen die Gewaltherrschaft erhoben, zur Emigration gezwungen oder von SA-Stiefeln getreten wurden. Hans Fallada ist nicht unter den Mutigen, zu sehr hatten die Jahre der Isolation seiner Politisierung und politischen Emanzipation geschadet. Eine Hausdurchsuchung und Verhaftung durch die SA zu Ostern 1933 nach einer Denunziation und die folgende elftägige Haft in Fürstenwalde schreckten ihn nur vorübergehend auf.
     Auf der Suche nach einem neuen sichereren Fluchtort gelang Hans Fallada schließlich im Juli 1933 ein Volltreffer. Umgeben von den Schönheiten der Mecklenburgischen Seenlandschaft fand Hans Fallada in Carwitz bei Feldberg den Ort für seine »innere Emigration« vor dem Faschismus und die Ruhe für die Erschaffung weiterer literarischer Werke von Weltgeltung. Ditzen kaufte ein kleines Bauerngrundstück, in dem er sich gegen die Außenwelt abschirmte. Die Familie hatte sich inzwischen vergrößert:
Im Juli 1933 wurde Tochter Lore (»Mücke«) geboren, im April 1940 wird noch Sohn Achim hinzu kommen. Das gehetzte Leben des Rudolf Ditzen erhielt in Carwitz einen Fixpunkt - die Ruhe vor dem großen Sturm. Die Familie Ditzen fand hier ihr Lebensglück - ein sehr begrenztes Lebensglück, bevor das Glück den Hans für immer verließ.…
     Zunächst beendete Hans Fallada in seiner Abgeschiedenheit den schwierigen Blechnapf- Roman und begann schon im Februar 1934 mit der Niederschrift eines weiteren Werkes mit autobiographischen Zügen: »Wir hatten mal ein Kind«. Indes stieß der »Blechnapf« bei der NS-Presse auf Kritik und zunehmend auf Ablehnung, obwohl Fallada in der Vorrede den »Knicks« gemacht hatte, dass der im »Blechnapf« geschilderte Strafvollzug sich nun »auch verwandelt« habe. Fallada war von der Kritik an seiner literarischen Arbeit stark beunruhigt, zumal auch Thomas Mann (1875-1955) aus der Schweiz 1934 Falladas Kratzfuß rügte: »Um in Deutschland möglich zu sein, muss ein Buch seine menschenfreundliche Gesinnung in einer Einleitung verleugnen und in den Boden treten.« Falladas Unruhe verstärkte sich nach einem Besuch amerikanischer Gäste Ende Mai 1934 in Carwitz, darunter die Tochter des US- Botschafters in Deutschland und Dr. Mildred Harnack (1902-1943), gebürtige Amerikanerin und Ehefrau von Arvid Harnack (1901-1942).
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Beide Harnacks wurden später als aktive Antifaschisten von den Nazis hingerichtet. Fallada begriff die Kritik von Frau Harnack an seiner politischen Zurückgezogenheit: »Vielleicht, Herr Ditzen, ist es weniger wichtig, wo man lebt, als vielmehr wie man lebt.« Sie war überzeugt, mit Fallada zwar einen Nicht-Nazi, jedoch keinen Antifaschisten kennen gelernt zu haben. Und Martha Dodd, die Tochter des Botschafters, sollte später schreiben: »Der Eindruck des Unterlegenseins, den er auf uns machte, war bedrückend.«
     An der politischen und gesellschaftlichen Isolierung Hans Falladas änderte sich bis an sein Lebensende nichts mehr - wie bei seiner letzten großen Romangestalt Otto Quangel in »Jeder stirbt für sich allein« (1946). Aber im Unterschied zu jenem verharrte Fallada in seiner passiven »inneren Emigration«. Erneut bedrückten ihn finanzielle Probleme. Er war inzwischen zur Zielscheibe von Hasstiraden und Rufmord geworden: In der Zeitschrift »Volksgesundheit« (!) wurde im April 1936 sein »Blechnapf« als »Zuchthauspornographie« beschimpft und gedroht, man werde sich von Fallada im »Aufbauwerk an der deutschen Nation« nicht »stören lassen«. Innerlich aufgewühlt und zerrissen, wurde er zwischen fieberhafter Arbeit am Schreibtisch (in einer Woche schrieb er beispielsweise 123 Druckseiten) und physischer Erschöpfung hin- und hergeworfen. Er ergab sich wieder dem Trunk, verbrauchte Hunderterpackungen Schlaftabletten,
brach zu Irrfahrten aus und danach zusammen, landete erneut in Heilanstalten.
     Dann entstanden seine großen Romane »Wolf unter Wölfen« (1936/37) und der für die Tobis- Filmgesellschaft und Star- Schauspieler Emil Jannings (1884-1950) geschriebene »verfilmbare Roman« »Der eiserne Gustav« (1937/38), aber auch weniger große literarische Werke wie »Das Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land flog« (1935) und »Altes Herz geht auf die Reise« (1936) und manche weitere Geschichte. Die Emigration seines Freundes Ernst Rowohlt und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verschärften 1939 seine Existenzkrise ebenso wie Probleme um Inhalte seiner Werke. Romane wie »Der Eiserne Gustav« und »Ein Mann will hinauf« (1941) musste er teilweise umschreiben. Den ihm »von oben« nahegelegten antisemitischen »Kutisker«- Romanstoff schob er vor sich her. Er floh in kleinere literarische Formen und schrieb dann die Erinnerungen »Damals bei uns daheim« (1942) und »Heute bei uns zu Haus« (1943). Es hört sich wie ein Credo an, wenn er im zuletzt genannten Buch jubelt: »Ich habe zu schreiben, so viel und wie der Zwang es will, ob ich mag oder nicht, ob ich mich krank mache oder nicht… - ich muß schreiben! Dies ist es, dafür bin ich da auf der Welt…Es ist doch ein wundervolles Abenteuer, dieses Leben! Es ist - trotz allem, wegen allem - herrlich, über Papier gebeugt zu sitzen und von dem größten aller Wunder, dem Menschen, zu schreiben, meinethalben auch einmal von sich.«
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   128   Porträt Hans Fallada  Voriges BlattNächstes Blatt
Er bereiste 1943 - aus Opportunismus oder zur Täuschung der Nazis, wer will es schon wissen - mehrere Wochen als »Sonderführer« im Range eines Majors (!) für den »Reichsarbeitsdienst (RAD)« Frankreich und den »Sudetengau«, ohne dass daraus die erwarteten Texte für den RAD entstanden. Unter dem Carwitzer Dach stauten sich indes die Probleme. Der inzwischen 50jährige wurde immer haltloser, irrte wieder umher, wurde seiner Ehefrau »Suse« untreu, landete im Winter 1943/44 erneut in einer tiefen Krise. Am 25. Mai 1944 schrieb er voller Verzweiflung an seine Schwester Elisabeth: »Ich bin sehr alt geworden, nicht nur äußerlich, ich bin lebensmüde. Der Traum, ein großer Künstler zu werden, ist ausgeträumt. Ich bin so allein, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.…Alle meine Freunde verlassen mich, und doch wollte auch ich einmal das Beste, dass es das nicht immer wurde - ich habe mich nicht selbst geschaffen.«
     Anfang Juli 1944 wurde die Ehe der Ditzens geschieden. Noch im Sommer begann in Feldberg die Liaison mit der 22jährigen Ursula Losch - die letzte bedeutende von vielen Affären in seinem Leben. Sie wird als »Todesengel« seinen großen finalen Absturz beschleunigen. Ende August 1944 kam es in Carwitz zu einer Affekthandlung, bei der sich ein Schuss aus einer Waffe löste. Im Ergebnis dieses Vorfalls wurde Ditzen in die Landesanstalt Strelitz zwangseingewiesen.
Hier schrieb er im September 1944 in gut zwei Wochen den autobiographischen Roman »Der Trinker«: In der Gestalt des Erwin Sommer beschreibt Fallada seine eigene Sucht. Gegen Ende 1944 wurde er entlassen und heiratete Anfang Februar 1945 die drogenabhängige Ursula Losch. Die Befreiung vom Faschismus erlebte das Paar in Feldberg, ohne die Kraft aufzubringen, zugleich ihr eigenes Leben von der Zerrüttung zu befreien. Am 9. Mai 1945 sprach Hans Fallada auf sowjetische Anordnung zur Bevölkerung von Feldberg und begann: »Auf diese Stunde habe ich zwölf Jahre gewartet.« Die Besatzungsmacht setzte Fallada als ersten Nachkriegs- Bürgermeister ein. Er war - natürlich - dieser Aufgabe nicht gewachsen und verfiel in seine alten bösen Leiden. Mitte August 1945 musste er für zwei Wochen ins Krankenhaus nach Neustrelitz, am 1. September brach er wieder nach Berlin auf.
     Hier in Berlin vollzog sich das bittere Lebensfinale des Hans Fallada. Es gelang ihm nicht mehr, die helfenden Hände, allen voran die von Johannes R. Becher, zu ergreifen und neue Lebensufer zu erreichen. Er versuchte, in den Kuranstalten Berlin- Westend zu genesen, arbeitete für die »Tägliche Rundschau«, die Zeitung der Roten Armee. Erneut geriet er, teils im Banne von »Uschi«, teils unter dem Druck des bösartigen Vorwurfs, »Schrittmacherdienste für die Nazis« geleistet zu haben, in den Strudel von Alkohol, Drogen und Lebensangst.
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Wieder Heilungsversuche, wieder ein kleines Aufbäumen, bei dem bis Juli 1946 in einem Hilfskrankenhaus sein letztes großes autobiografisches Werk entstand, das 1947 unter dem Titel »Der Alpdruck« im Aufbau- Verlag erschien. In seiner Sieben- Zimmer- Wohnung am Eisenmengerweg Nr. 19 in Pankow- Niederschönhausen (seit 1951 Majakowskiweg und seit 1994 Rudolf-Ditzen- Weg) brachte er schließlich - wie eingangs erwähnt - in nur vier Wochen seinen letzten Roman »Jeder stirbt für sich allein« zu Papier, mit dem er sein Lebenswerk krönte. Fallada schildert darin das Schicksal des Arbeiterehepaares Quangel, das in Wirklichkeit Otto und Elise Hampel (1897 bzw. 1903-1943) hieß, im Wedding gelebt und zwischen 1940 und 1942 über 200 antifaschistische Flugblätter verfasst und abgelegt hatte, dann aufgespürt, verurteilt und hingerichtet worden war. Von dem für damalige Verhältnisse fürstlichen Honorar von 75 000 Mark wurde sofort ein Großteil in hundert Ampullen Morphium umgesetzt. In einem seiner letzten Briefe schrieb er resigniert am 22. Dezember 1946, nachdem er in die Nervenklinik der Charité eingeliefert worden war, an seine greise Mutter: »Irgend etwas in mir ist nie ganz fertig geworden, irgend etwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordener Mensch, ein alt gewordener Gymnasiast.« Am Abend des 5. Februar 1947 starb Hans Fallada an Herzversagen - die vielen »kleinen Tode« hatten sich zum »großen Tod« kumuliert. Die Urne wurde im Feld UWB, Grab 326 in der Nordostecke des Friedhofs Pankow 3 (Hermann-Hesse- Straße) beigesetzt und 1982 nach Carwitz, heute Ortsteil von Feldberg, überführt. Johannes R. Becher sagte anlässlich der Beisetzung: »Wenn wir von Fallada sprechen als von einem >Stück Deutschland<, so ist dieses Stück nicht das beste und nicht das schlechteste ... Ein vorzeitig gebrochenes Herz ging auf die ewige Reise ...«

Quellen:
     Hans Fallada: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. von Günter Caspar, Bd. I bis X, Berlin und Weimar 1981 f.
     Günter Caspar: Nachworte in den Einzelausgaben. In: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. von Günter Caspar, Bd. I bis X, Berlin und Weimar, 1981 f.
     Johannes R. Becher: Was nun? Zu Hans Falladas Tod (1947). In: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben. Hrsg. von Günter Caspar, Bd. I, Berlin und Weimar, 4. Auflage 1981, S. 5-10
     Tom Crepon: Leben und Tode des Hans Fallada, Halle- Leipzig, 4. Auflage, 1979
     Werner Liersch: Hans Fallada. Sein großes kleines Leben. Biografie, Berlin, 1981
     Hans Fallada. Sein Leben in Bildern und Briefen. Hrsg. v. Gunnar Müller-Waldeck und Roland Ulrich unter Mitarbeit von Uli Ditzen, Berlin, 1997

Bildquelle: Aus Werner Liersch: Hans Fallada. Sein großes kleines Leben, Berlin 1981, S. 330

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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