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Dorothea Führe
An den Rand gedrängt

Frankreich als Besatzungsmacht in Berlin

Im Norden West-Berlins residierten von August 1945 bis September 1994 die französischen Militärs. Sie waren 1945 bei der Aufteilung der eroberten Reichshauptstadt an die Peripherie geschickt worden, nach Reinickendorf und in den Wedding.
     Heute erinnert das alljährlich im Frühsommer stattfindende deutsch- französische Volksfest an den ehemaligen Alliierten, und am Kurt-Schumacher- Platz hält eine Raumplastik »Berlin dankt Frankreich« das Gedenken an den französischen Partner wach.
     Die französischen Panzer, die bis 1989 immer im Herbst den Tegeler Forst zu Truppenmanövern benutzten, sind nach Frankreich zurückgekehrt; die große Kaserne am Kurt-Schumacher- Damm, die bis 1945 den Namen »Hermann Göring« trug und von den Franzosen in »Quartier Napoleon« umbenannt wurde, heißt heute »Julius Leber« und wird von der Bundeswehr genutzt. Auch die französischen Militärparaden, die der Bevölkerung jedes Jahr Präsenz und Größe der Schutzmacht demonstrierten, sind aus dem Stadtbild verschwunden. Deutsch- französische Verbundenheit hat derlei Symbolpolitik nicht mehr nötig.

Beschworen wird jetzt die deutsch- französische Freundschaft als Kern eines zukunftsorientierten Europa.
     1945 kamen die Franzosen als Besatzer und Beobachter des politischen Lebens nach Berlin. Ihre Besatzungspolitik hat hier selten eine maßgebliche Rolle gespielt, wenn es darum ging, die große Politik nachhaltig zu beeinflussen, und so sind ihre Spuren bis heute überdeckt von der Politik der beiden großen Kontrahenten des Kalten Krieges: der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten. Frankreich war von den Staaten der Anti-Hitler- Koalition (USA, Großbritannien, Sowjetunion) erst spät in den Kreis der Siegermächte aufgenommen und an der Besetzung und Kontrolle der Stadt Berlin beteiligt worden. Ausschlaggebend dafür war nicht seine Mitwirkung an der Befreiung Deutschlands von nationalsozialistischer Diktatur, sondern das Drängen Großbritanniens, das Frankreich als Nachbar der Deutschen für besonders geeignet hielt, dessen schnelle politische und ökonomische Gesundung zu verhindern und so nicht zu einer erneuten Gefahr für den Frieden in Europa werden zu lassen. Nicht eigene (militärische) Verdienste, sondern die Protektion durch eine andere Großmacht führten also zur französischen Teilhabe an der Kontrolle über Deutschland. An den alliierten Planungen zu einer Deutschlandpolitik waren französische Vertreter nicht beteiligt, die Teilnahme an den großen Konferenzen in Jalta und Potsdam wurde Frankreich nicht gestattet.
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Und bei Kriegsende waren die Grenzen seiner Zone und seines Sektors in Berlin noch nicht klar umrissen. Das erklärt, warum die Franzosen erst am 12. August 1945, einen Monat nach den US- Amerikanern und den Briten und erst gut drei Monate nach der Eroberung der Stadt durch die Rote Armee der Sowjetunion, ihre beiden Bezirke Reinickendorf und Wedding übernahmen.

Nur zwei abgetretene Bezirke

In zähen Verhandlungen wurde um die Verteilung der Stadt gefeilscht, bis sich schließlich Großbritannien bereit erklärte, zwei Bezirke an den französischen Alliierten abzutreten. Ganz uneigennützig war das britische Entgegenkommen sicherlich nicht, weniger Bezirke zu verwalten bedeutete auf jeden Fall, für weniger Menschen eine ausreichende Versorgung gewährleisten zu müssen. Und Frankreich mochte auf einen Platz in Berlin nicht verzichten, weil es der politischen Entwicklung in dieser Stadt als ehemaligem Zentrum des preußischen Militarismus eine besondere Bedeutung beimaß.
     Die Berliner Bevölkerung in Reinickendorf und Wedding erlebte mit den Franzosen nun innerhalb kurzer Zeit die dritte Besatzungsmacht, die mit Anordnungen und Befehlen, mit Verfügungen und Anweisungen, mit Verboten und Geboten antrat,

die Verwaltung zu organisieren, das politische Leben zu kontrollieren, kurzum, den Alltag zu regeln. Ihre Besatzungspolitik wies einige Besonderheiten im Vergleich zu den Vorstellungen und Zielen der anderen Alliierten auf. Natürlich unterstützten sie die Potsdamer Vereinbarungen im Hinblick auf Demilitarisierung, Entnazifizierung und Demokratisierung des besiegten Deutschland, formulierten aber massive Vorbehalte gegenüber der Einrichtung zentraler deutscher Verwaltungsstellen. Ihre Erfahrungen aus den Jahren der deutschen Besatzung waren grundlegend für die Ausgestaltung dieser Ziele. Nach drei deutschen Überfällen seit 1870 prägte das Bedürfnis nach Sicherheit vor einer erneuten Bedrohung durch den östlichen Nachbarn politische Handlungen und Entscheidungen maßgeblich. So stellten sich die Franzosen vor, dass nur dezentrale politische und wirtschaftliche Strukturen ein Wiedererstarken Deutschlands verhindern können. In diesem Punkt unterschieden sich ihre Vorstellungen grundlegend von denen der anderen Alliierten. Gleichzeitig legten sie großen Wert auf die Förderung demokratischer Initiativen; zusammen mit deutschen Demokraten und Liberalen wollten sie die gemeinsamen humanistischen, aufklärerischen Traditionen in Kultur und Wissenschaft freilegen und daran anknüpfend demokratisches Denken und Handeln fördern.
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Trennendes: Besatzer und Besetzte

General de Beauchêsne, der erste Kommandant des französischen Sektors, legte am 12. August 1945 in einer Verordnung an die Bevölkerung die Ziele der Besatzungsmacht für die Verwaltung der Bezirke dar. Darin heißt es:
     »1. Aufrechterhaltung der strengsten Ordnung
     2. Ausübung der vollsten Gerechtigkeit
     3. Gewährung der weitmöglichsten und unentbehrlichsten Hilfe an die Bevölkerung.«

     In der Verordnung heißt es weiter: »Ich bin überzeugt, daß die Bevölkerung mir die Erfüllung meiner Pflichten erleichtern wird. Sie weiß, daß Frankreich großmütig ist. Jedoch muß sie sich an Frankreichs Leiden erinnern. Frankreich kann weder seine durch die Deutschen auf seinem Boden erschossenen 175 000 Geiseln, weder seine in Brand gesteckten Dörfer, weder seine niedergemetzelten oder lebendigen Leibes verbrannten Bürger noch seine 200 000 Deportierten, die nach den schrecklichsten Folterqualen in den Konzentrationslagern als Opfer verstorben sind, vergessen. Seiner Größe und Großmütigkeitstradition treu hegt Frankreich nach dem Siege keine Rache. Frankreichs Recht aber ist, von der deutschen Bevölkerung zu verlangen, daß sie durch strenge Disziplin und Zusammenwirkung beweist, daß sie sich endgültig von den Naziverbrechern und -methoden getrennt hat,

deren Mithelferin sie während so vieler Jahre, wenigstens durch ihr Stillschweigen, gewesen ist.«1)
     Diese Verordnung war in Berlin richtungweisend für die französische Besatzungspolitik, sie bildete den Rahmen für Anordnungen und Befehle. Das ausgeblutete und ökonomisch geschwächte Land, das viele Opfer als Folge der deutschen Besatzung zu beklagen hatte, verstand sich als gerechter, »großmütiger« Sieger. Den Berlinerinnen und Berlinern sollten die Leiden des französischen Volkes bewusst gemacht werden, gleichwohl beabsichtigte Frankreich nicht, als Rächer aufzutreten. Im Wohlverhalten gegenüber den neuen Machthabern und in der Anpassung an Vorgaben der Besatzer konnten die Besiegten ihre Abkehr vom Nationalsozialismus unter Beweis stellen. Zwar wurde nicht die gesamte Bevölkerung der Naziverbrechen bezichtigt, aber ihre Verantwortung lag »wenigstens« in der Mithilfe durch »Stillschweigen«. Die Verordnung verdeutlicht den erfolgten Rollenwechsel: Aus den ehemals Besetzten sind nun Besatzer geworden.
     Es ist nicht eindeutig zu sagen, auf welche Resonanz diese Verlautbarungen stießen. Ein großer Teil der Bevölkerung war sich der schweren Kriegsschäden in Frankreich durchaus bewusst, auch die Berliner Presse berichtete regelmäßig darüber. Aber die Wertschätzung der französischen Besatzungsmacht ist dadurch kaum gestiegen.
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Als Befreier traten sie nicht in Erscheinung, eher vielleicht als das geringere Übel. Die archivalischen Quellen verdeutlichen, dass sich in der ersten Zeit der Besatzung das Verhältnis zwischen der Besatzungsmacht und der Bevölkerung durchaus konfliktreich gestaltete.

»... die armen Verwandten der großen Drei«

Es häuften sich die Beschwerden über Zusammenstöße mit Angehörigen der Besatzungsmacht, Zerstörungen durch französische Soldaten in den öffentlichen Verkehrsmitteln und tätliche Übergriffe auf unbescholtene Passanten bis hin zu unbegründeten Verhaftungen. Selbstverständlich distanzierte sich die Besatzungsmacht offiziell von solchen sträflichen Vergehen und verurteilte die Schuldigen, wurden sie denn gefunden, hart. Als Besatzungsmacht einer besiegten Bevölkerung gegenüberzutreten impliziert wohl auch, unabhängig von politischen Zielsetzungen und offiziellen Absichtsbekundungen, eine Demonstration von Überlegenheit. Die zur Besatzungsmacht gehörenden Personen füllten ihre Rolle sehr persönlich aus und interpretierten die Vorschriften durchaus großzügig, insbesondere wenn persönlich erlittenes Leid sie dazu drängte, Rache zu üben.

Selbstverständlich wurde offiziell nicht geduldet, das Potential der Überlegenheit auszuleben; die Direktiven der Besatzungsmacht dienten so teilweise auch der Disziplinierung des eigenen Personals. Im französischen Sektor waren solche Vorfälle erst rückläufig, als nach knapp einem Jahr ein großer Teil des Personals ausgetauscht wurde und mit General Ganeval im Herbst 1946 ein Mann an die Spitze der französischen Militärregierung trat, der über einvernehmliche Lösungen um ein versöhnliches Auskommen mit der Bevölkerung bemüht war.
     Das Verhalten der französischen Besatzer war oft auch von Unsicherheiten bestimmt. Sie fürchteten, von den Menschen in dieser Stadt wegen ihrer mangelhaften materiellen Ausstattung gering geschätzt und eventuell nicht als »richtige« Sieger akzeptiert zu werden. Und es gab wenig, womit das französische Militär die Berliner und Berlinerinnen hätte beeindrucken können. Um so wichtiger nahmen die zuständigen Stellen öffentliche Auftritte wie Paraden. Sie legten Wert auf das Hissen der Trikolore an der Siegessäule, am Symbol für die deutschen Siege auf dem Weg zum Nationalstaat und damit für die französische Niederlage im Krieg von 1870/71.
     Während der gesamten Besatzungszeit bis 1949 beeinträchtigte die mangelhafte materielle Ausstattung der Armee und Verwaltung das äußere Erscheinungsbild der Besatzungsmacht.
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Klagen darüber, dass französische Uniformen im Berliner Stadtbild kaum präsent seien und Panzerwagen wegen des Benzinmangels nicht fahren könnten, füllen zahlreiche Berichte der französischen Militärregierung an ihre Vorgesetzten nach Baden-Baden, dem Sitz der zonalen französischen Militäradministration, und nach Paris. Auch das Fehlen von Militärkapellen, die öffentlichen Auftritten hätten Glanz verleihen können, wurde bemängelt. Ob Ereignisse solcher Art die Bevölkerung des französischen Sektors beeindruckt hätten, mag dahingestellt sein. Aber es ist unzweifelhaft, dass die materiellen Mängel die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nachhaltig beeinträchtigten. Straßenbeleuchtungen konnten wegen Materialmangels nicht in Gang gebracht werden, der Polizei standen nicht genügend Schusswaffen zur Verfügung, um den in den ersten Nachkriegsmonaten verstärkt auftretenden kriminellen Banden zu begegnen. Die zur Verfolgung notwendigen Fahrzeuge fehlten. Den Anspruch, nun im Berliner Sektor möglichst rasch demokratisch- freiheitliche, funktionierende politische Strukturen zu schaffen, konnten die Franzosen nicht erfüllen. Und sie befürchteten nicht zu Unrecht: »Die Berliner tendieren viel zu sehr dazu, uns als die armen Verwandten der großen Drei zu betrachten.«2)
     Entscheidend für gegenseitige Wahrnehmungen waren sicherlich persönliche Begegnungen zwischen Besatzern und Besetzten in der Verwaltung, bei der Überwachung von Befehlsausführungen oder im Umgang mit politischer Kontrolle.

Französische Soldaten vor dem Bismarck- Denkmal, um 1946

 
Das Image der Franzosen wurde durch solche Maßnahmen stärker geprägt als von mehr oder weniger glanzvollen Paraden.
     Ein großes Problem im französischen Sektor stellten die anhaltenden Beschlagnahmen dar. Mehr als die anderen Besatzungsmächte waren gerade die Franzosen auf die Requirierungen angewiesen, um ihre unzureichende Ausstattung wenigstens bedingt auszugleichen.

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Neben die Besetzung von Wohnraum zur Unterbringung der Militäradministration und des Personals traten Konfiszierungen von Hausrat, Mobiliar, Büromaterialien, Schreibmaschinen, Fahrräder u. ä. In den ersten Monaten trafen diese Maßnahmen in erster Linie ehemalige Mitglieder und Funktionäre der NSDAP, sogenannte Pg's, und erstreckten sich weitgehend auf den Bezirk Reinickendorf, da in dem von Armut geprägten und erheblich stärker zerstörten Wedding nur wenig zu »holen« war.
     Die Hoffnung der Bevölkerung auf ein baldiges Ende der Beschlagnahmungen wurde ein Jahr nach Kriegsende durch die Reorganisation der französischen Besatzungstruppen in Berlin zunichte gemacht. Im Frühjahr 1946 wurde das Besatzungspersonal weitgehend ausgetauscht - eine Folge der innerfranzösischen Auseinandersetzungen um die Entlassungen der ehemaligen Kollaborateure mit dem Vichy- Regime. Neue Militärs zogen nach Berlin, diesmal brachten sie ihre Familien mit. Diese mussten nun ebenfalls mit Hausrat und Wohnraum versorgt werden. Und die Wohnungssituation war zu diesem Zeitpunkt keineswegs entspannt, es fehlten immer noch Baumaterialien zur Wiederherstellung der vom Krieg zerstörten Häuser. Der Bezirk Reinickendorf wurde aufgefordert, für 600 französische Familien Unterkünfte samt Einrichtungen zur Verfügung zu stellen.3)
Zur Erfüllung dieser Vorgaben schlug der damalige zweite Kommandant, General Lançon, abweichend von der bisherigen Praxis vor, auch bei politisch nicht belasteten Personen Beschlagnahmungen vorzunehmen. Solche Anordnungen stießen auf wenig Verständnis. Es blieb den Franzosen nicht verborgen, welchen erheblichen Belastungen die Bevölkerung durch solche Maßnahmen ausgesetzt war. Mehrfach notierten französische Beobachter in ihren vierzehntägig verfassten Berichten über die Stimmung in der Bevölkerung: »Die öffentliche Meinung bleibt günstig gegenüber den französischen Truppen, aber man beklagt sich über Beschlagnahmungen von Wohnungen und Sachgütern, die die Öffentlichkeit für übertrieben hält in einer Stadt, in der sich das Wohnungsproblem so zuspitzt.«4) Und: »Die Bevölkerung ist den Truppen gegenüber freundlich gesinnt, vor allem, wenn sie persönliche Beziehungen zu ihnen hat. Dennoch gibt es Klagen über die Requisitionen, die schon vorher zahlreich waren und die durch die Ankunft der französischen Familien in beträchtlichem Maße zugenommen haben.«5) Diese Schilderungen dürften die Stimmung annähernd wiedergegeben haben, und sie verdeutlichen, dass sich die Besatzungsmacht des Problems durchaus bewußt war.
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Abhilfe konnte sie angesichts der damals überall herrschenden Wohnraumnot nicht schaffen, lediglich die Einhaltung der den Beschlagnahmungsverfahren zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen konnte sie überwachen und versuchen, dadurch größere Ungerechtigkeiten zu vermeiden.

Versöhnung durch kulturelle Initiativen

Auf der anderen Seite erwarben sich die Franzosen positive Verdienste mit ihren kulturellen Initiativen. Sie gingen davon aus, dass es nicht genüge, die Entnazifizierung voranzutreiben, um ein demokratisches Bewusstsein zu befördern und zu festigen, sie wollten über die Kultur die in Deutschland und Frankreich gleichermaßen vorhandenen abendländischen Traditionen bewusst machen. Sie glaubten an die »guten« Deutschen, mit denen zusammen der Aufbau eines neuen Staates möglich war, und an »das Gute« in den Deutschen. So verfolgte Frankreich nicht den Weg einer pauschalen Entnazifizierung, indem alle dem Nationalsozialismus in irgendeiner Weise verbundenen Personen stigmatisiert werden sollten, sondern vermied durch die Unterscheidung zwischen »nazi ardent« (glühender Nazi) und »comparse simple« (einfacher Statist) den Vorwurf der Kollektivschuld. Die für den Nationalsozialismus verantwortlichen Personen wurden umgehend entlassen,

während andere Pg's durchaus in ihren Ämtern verbleiben konnten, allerdings unter anderen, demokratisch gesinnten Vorgesetzten arbeiten mussten. In diesem Vorgehen steckte ein Versöhnungsangebot an die einfachen Mitläufer und die Aufforderung an die demokratischen Kräfte, mit der Besatzungsmacht zusammenzuarbeiten. Die Deutschen sollten an der Entnazifizierung beteiligt werden.
     Einem solchen Verständnis von Entnazifizierung entsprach die Förderung kultureller Initiativen. Eine eigens zur Beförderung der Kultur eingesetzte Arbeitsgruppe, die Mission Culturelle, machte es sich zur Aufgabe, »die Umstände, die uns in Berlin zusammenbringen, zu nutzen, indem wir unseren Alliierten und auch den Deutschen die französische Kultur zur Kenntnis bringen«.6) Ein Höhepunkt der Bemühungen war sicherlich der Besuch Sartres in Berlin im Januar 1948 zur Aufführung seines Theaterstücks »Die Fliegen« im Hebbel- Theater. Aber für den Alltag der Bevölkerung waren die kulturellen Initiativen der französischen Militärregierung in ihrem Sektor von größerer Bedeutung. Neben der Einrichtung von Sprachkursen und Organisierung von Konzerten, Vorträgen und Lesungen engagierte sich die französische Besatzungsmacht von Anfang an intensiv beim Aufbau von Bibliotheken und bei der Herrichtung von Kinosälen. Französische Literatur sollte übersetzt und dem Berliner Publikum zur Lektüre empfohlen werden.
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So wurde am 14. April 1947 im Wedding ein Centre Culturel7) mit einer Bibliothek eröffnet, in der werktags zwischen 10 und 17 Uhr ca. 2 000 Bücher ausgeliehen werden konnten. Bereits nach vierzehn Tagen waren 150 Leserausweise vergeben.8) Weitere Bücher sollten angeschafft werden. Reinickendorf erhielt »als erster Großberliner Bezirk eine von sämtlichen vier allliierten Besatzungsmächten geförderte Lesestube«.9) Im Oktober 1947 waren weitere Bibliotheken eingerichtet: eine in der Nähe der Garnison bei der Flakschule in Heiligensee, eine in einer privaten Bücherei, und eine war geplant für das Maison de France am Kurfürstendamm.
     Dem Kino- Programm widmeten die Franzosen sowohl auf Berliner wie auch auf sektoraler Ebene große Aufmerksamkeit. Der an der Peripherie liegende französische Sektor bot dazu wenig geeignete Voraussetzungen. Doch bis Ende 1945 gelang es, 28 Kinosäle einzurichten,10) die zunächst nur französische Filme zeigten. Im Dezember 1945 starteten im Bezirk Wedding die Kinos, im Januar 1946 wurde ein französischer Filmverleih geschaffen. Der Spielplan in 15 Weddinger Kinos für die Woche vom 4. bis 10. Januar 1946 zeigt beispielsweise, dass deutsche und französische Filme gleichermaßen ins Programm genommen wurden.11) »Unser Hauptanliegen war es, französische Filme im Sektor und in Berlin bekannt zu machen.
Ich erinnere Sie, wir haben mit nichts angefangen in einem geographisch benachteiligten Sektor in zerstörten und ruinierten Sälen. Wir haben die Säle benutzbar gemacht, was unsere alliierten Kollegen mit Neid betrachten. Mit einer guten Mischung aus französischen, deutschen und alliierten Filmen haben wir eine positive psychologische Wirkung bei den Deutschen erzielt. Mehr als 20 Filme wurden gezeigt, die mehr als 500 000 Mark Einnahmen erbrachten.
     Für den Film >L'Eternel Retour< gab es eine Gala- Vorstellung mit hohen französischen und alliierten Militärs. Der Film >Pontcarral< hatte eine doppelte Premiere im französischen und amerikanischen Sektor, was sehr begrüßt wurde. Gala- Vorstellungen sind auch für die Filme >Jericho<, >La Bataille du Rail< und >Les enfants du paradis< geplant.«12)
     Die französischen Kinoprogramme erregten in der Berliner Öffentlichkeit und bei den Alliierten Aufmerksamkeit, und die Militärregierung im Sektor erwarb sich damit ein hohes Ansehen in der gesamten Stadt.
     In gleicher Weise bemühten sich die Franzosen um eine demokratische Schulpolitik. Für das Lehrpersonal wurden regelmäßig Vorträge zur Fortbildung initiiert, Gedenkfeiern sollten demokratische Traditionen wachhalten, um so eine demokratisch eingestellte Lehrerschaft zu stärken.
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Ein anderer wichtiger Schritt zur Demokratisierung des Schulwesens waren die Namensänderungen der Schulen; die von den Schulleitern eingereichten Vorschläge zur Umbenennung beispielsweise der ehemaligen Manfred- von-Richthofen- Schule in Friedrich-Engels- Schule oder der Frau-Ute- Schule in Bertha- von-Suttner- Gymnasium wurden von der französischen Militärregierung unterstützt. Die neuen Bezeichnungen sollten die Identifikation der Schülerinnen und Schüler mit demokratischen Vorbildern erleichtern.
     Außerdem beeinflussten französische Vertreter nachhaltig die Neugestaltung der Lehrpläne in den Gremien der Alliierten Kommandantur. Besonders am Herzen lag ihnen eine Neuinterpretation der deutschen Geschichte, wobei die Franzosen großen Wert auf die Berücksichtigung der europäischen Dimension im Geschichtskanon legten; sie wollten auf diese Weise die unterschiedlichen Wege der europäischen Staaten zur Demokratie nachzeichnen und gleichzeitig auch Deutschland als Teil dieses Europa verstanden wissen.

Der Not geschuldet: Versorgungsmängel

Diese positiven Eindrücke von der französischen Besatzungsmacht, die vielen Berlinerinnen und Berlinern bis heute im Gedächtnis geblieben sind, wurden immer wieder von Alltagsproblemen überschattet.

Große Schwierigkeiten bereitete der Besatzungsmacht die Versorgung ihres Sektors mit Gütern des täglichen Bedarfs und mit Brennmaterial. Der französische Sektor war nicht wie die übrigen Sektoren dem Zentralen Verteilungsamt des Magistrats angeschlossen. Dieses Amt hatte die Aufgabe, Versorgungsengpässe aufzufangen und eine halbwegs gerechte Warenverteilung zwischen den Sektoren vorzunehmen. Dass es Ungleichheiten gab, verstand sich von selbst, da gemäß dem Berliner Versorgungsabkommen vom Juli 1945 jede Besatzungsmacht für die Versorgung ihres Sektors zuständig war. Je nach geographischer Entfernung zwischen Sektor und Zone gestaltete sich die Warenbeschaffung für Berlin mehr oder weniger kompliziert. Zwar existierten zonale Außenstellen, die den Transport nach Berlin abwickeln sollten, aber entsprechend den unterschiedlichen Wirtschaftskonzepten der Alliierten waren diese Dienststellen verschieden organisiert. Die Folge waren ungleich ausgestattete Versorgungsgebiete in der Stadt. Das Zentrale Verteilungsamt des Magistrats bemühte sich nun darum, Ungerechtigkeiten zwischen den einzelnen Sektoren durch Sonderzuweisungen auszugleichen, da aber die Warenverteilung im französischen Sektor ausschließlich über die bezirklichen Verteilungsämter, die ihre Anweisungen direkt von der Besatzungsmacht erhielten, erfolgte, wurden Reinickendorf und Wedding von Sonderzuteilungen oft ausgenommen.
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Da die Bevölkerung in Frankreich selbst erheblichen Mangel litt, konnte die französische Militärregierung nicht auf eigene Bestände zurückgreifen, um diese Benachteiligungen zu beseitigen.
     Im Winter 1946/47 kam es dann zu extremen Engpässen in der Versorgung des Sektors mit Gütern des täglichen Bedarfs. Die miserable Wirtschaftslage in der französisch besetzten Zone wirkte sich auch in Berlin aus. Der französische Sektor hatte bald den Ruf, am schlechtesten versorgt zu sein.
     Ähnlich katastrophal war die Versorgung der Haushalte mit Brennstoffen, die über Kompensationsgeschäfte mit der sowjetischen Besatzungsmacht geregelt wurde. Öl aus dem Westen wurde gegen Kohle aus dem Osten getauscht. Lieferungsunregelmäßigkeiten, den unzureichenden Transportmitteln geschuldet, unterbrachen immer wieder die Kohleversorgung und veranlassten im Herbst 1946 die Sowjetunion, bereits zugesagte Brennmaterialien nicht in die Westsektoren zu leiten. Neue Verhandlungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht über die Wiederaufnahme der Kompensationsgeschäfte zogen sich hin, die Sowjetunion kündigte schließlich das Ende der Tauschgeschäfte an. Während die beiden anderen Westmächte in Verhandlungen mit der Sowjetunion wenigstens noch geringe Lieferungen vereinbaren konnten, blieben die französischen Bemühungen erfolglos.
Frankreich mangelte es an Tauschwaren, die eigene Bevölkerung hungerte auch. Die Versorgung für den Winter 1946/47 war weder für den Berliner Sektor noch für Paris gesichert.
     Die Besatzungsmacht war sich des Mangels bewusst, sie hatte kein Interesse, die Bevölkerung hungern zu lassen. Dies wird in den Berichten deutlich, die die Militärregierung nach Paris und Baden-Baden schickte, um auf Abhilfe zu dringen; die Verfasser äußerten meist Verständnis für die Notlage der Bevölkerung. Insbesondere General Ganeval bemühte sich persönlich in zahlreichen Verhandlungen, um Verbesserungen zu erreichen. Aber auch sein Einsatz änderte nicht die vorgegebenen Strukturen im Versorgungssystem. Da Frankreich weiterhin an der Idee dezentraler Strukturen, und zwar auch in Wirtschaftsangelegenheiten, festhielt, blieben die Möglichkeiten zur Verbesserung begrenzt. Allerdings ist es im darauffolgenden Jahr gelungen, durch administrative Maßnahmen wie die Einrichtung eines sektoralen Informationsbüros ähnliche Notsituationen zu vermeiden. Ein dauerhafter Erfolg war dieser Einrichtung nicht beschieden, die Berlin- Blockade kam dazwischen und verlangte andere Maßnahmen.
     Gerade die Kultur- und Wirtschaftspolitik der französischen Militärregierung verdeutlichen die Ambivalenz besatzungspolitischen Handelns:
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Auf der einen Seite verfolgte man eine Politik der Versöhnung mit der Perspektive einer Demokratisierung Deutschlands, auf der anderen Seite sollte das Sicherheitsbedürfnis des eigenen Staates nicht wieder bedroht sein, und dies glaubte man durch die ökonomische Kontrolle des Nachbarn zu erreichen. Aber trotz aller Widrigkeiten einer Siegerpolitik genossen einzelne Vertreter der französischen Militärregierung ein großes Ansehen in der Berliner Bevölkerung und eine hohe Akzeptanz bei den Berliner Politikern.

Quellen und Anmerkungen:
1 Landesarchiv Berlin (LAB), Zeitgeschichtliche Sammlung (LAZ) Nr. 1191, Ordre/ Verordnung - zweisprachig
2 Note vom 16. 4. 1946, Archives de l'Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar (AO, GMFB c. 396 B-5)
3 Schreiben des Besatzungsamtes an Bezirksbürgermeister Böhm im Anschluß an eine Besprechung in der Kommandantur vom 31. 5. 1946 (LAB, LAZ Nr. 1631)
4 Rapport vom 1. 7. 1946 (AO, GMFB c. 396 B-5)
5 Rapport vom 30. 7. 1946 (AO, GMFB c. 396 B-5)
6 Aktennotiz der französischen Kontrollratsgruppe vom 4. 7. 1946
7 Müllerstraße 40
8 Tätigkeitsbericht für den Monat April 1947 vom 2. 5. 1947 (AO, GMFB c. 62)

9Amtsblatt Reinickendorf 10 (1947)
10 Insgesamt gab es zu diesem Zeitpunkt in Berlin 168 Kinosäle, davon 56 im sowjetischen, 46 im US- amerikanischen und 38 im britischen Sektor. Vgl. Bernard Genton: Les alliés et la culture, S. 136
11 LAB, LAZ Nr. 1380
12 Bericht von De Maria, dem Chef der Abteilung Kino der französischen Kontrollratsgruppe (GFCC) und der französischen Militärregierung (GMFB), vom 22. 5. 1946 (AO, GMFB c. 164 p. G6a). Eugène Hepp erwähnte in seinen ersten Konzeptionen zu einem Maison de France bereits: »Das französische Kino hier zu etablieren, ist bis jetzt sehr gut gelungen; es dürfen weiterhin immer nur Filme guter Qualität gezeigt werden.«

Bildquelle: Landesbildstelle Berlin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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