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Herbert Schwenk
Alle ding ... vorgan mit der tydt

Die Verwandlungen von Rixdorf und Neukölln

Am 27. Januar 1912 genehmigte Kaiser Wilhelm II. Allerhöchst die Umbenennung der Stadt Rixdorf in »Neukölln«. Unter ihrem agilen Gemeindevorsteher, späteren Bürgermeister und Oberbürgermeister auf Lebenszeit Hermann Boddin (1844-1907) war das alte Rixdorf nach der Vereinigung der beiden Dörfer Deutsch-Rixdorf und Böhmisch-Rixdorf (1873/74) bis 1902 zu einer Großstadt angewachsen - von 15 323 (1875) auf 90 422 (1900), 94 032 (1901) und 101 740 (1902) Einwohner. Am 1. April 1899 hatte das größte Dorf Deutschlands als zweite der Vorortgemeinden nach Schöneberg (1898) das Stadtrecht, am 29. Mai 1903 ein eigenes Stadtwappen und am 3. Dezember 1908 das neue Rathaus in der Berliner Straße (heute Teil der Karl-Marx-Straße), entworfen von Stadtbaurat Reinhold Kiehl (1874-1913), erhalten.
     In jener Zeit mehrten sich die Stimmen, der Stadt nun auch einen neuen, klangvolleren Namen zu geben. Der Streit darüber hatte schon in den letzten Amtsjahren von Boddin begonnen. Auch im »Rixdorfer Tageblatt« erörterte man die Frage der Namensänderung.

Einige störte am alten Namen die »Klangunschönheit der ersten Silbe«, und andere monierten das inzwischen unzutreffende Wort »Dorf«. Vor allem aber fürchteten die Stadtväter, dass sich seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts mit »Rixdorf« allzusehr die Vorstellung von Frohleben, Tanzfreude und lockeren Sitten verbinde, seit 1889/90 der »Rixdorfer« durch Berlin trällerte: »Uff den Sonntag freu ick mir / Ja, denn jeht et 'raus zu ihr / ... In Rixdorf ist Musike ...« Seit Rixdorfer Musike und Rixdorfer Wirtshäuser in Berlin in aller Munde waren, so meinte die Stadtverwaltung, sei Rixdorfs Image damit »belastet« und als Wohnort für Bessergestellte, auf deren weiteren Zuzug man hoffte, weniger attraktiv. Im Gespräch waren nun Namen wie »Hermannstadt« und »Neukölln«. Neukölln wurde favorisiert, weil der Name am besten die alte Verbindung mit der Berliner Schwesterstadt Cölln und der Cöllnischen Heide zum Ausdruck bringe. Die Stadtverordneten entschieden sich schließlich für Neukölln, wobei die Bebauung der ehemaligen Cöllnischen Wiesen seit 1874 eine entscheidende Rolle gespielt haben dürfte. Aber ein so gewichtiger Akt wie die Umbenennung einer Stadt konnte nur mit Genehmigung des Kaisers geschehen. Oberbürgermeister Curt Kaiser (1865-1940), der »Rixdorfer Kaiser«, 1907-1919 Amtsnachfolger von Hermann Boddin, erneuerte das Gesuch an Kaiser Wilhelm II., das jener endlich Ende Januar 1912 »Allerhöchst« genehmigte.
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Damit war Neukölln, das zu jener Zeit schon 253 000 Einwohner zählte, geboren. Bereits am Sonntag, dem 28. Januar 1912, erschien das alte »Rixdorfer Tageblatt« erstmals als »Neuköllner Tageblatt«. Nur acht Jahre sollten vergehen, bis Neukölln am 1. Oktober 1920 mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 27. April 1920 über die Bildung der Einheitsgemeinde nach Groß-Berlin eingemeindet wurde. Aber der Name blieb erhalten: Neukölln bildete zusammen mit den Landgemeinden Britz, Rudow und Buckow-Ost den XIV. der 20 neuen Verwaltungsbezirke Groß-Berlins.
     Das 1903 von Kaiser Wilhelm II. Allerhöchst genehmigte Stadtwappen von Rixdorf, dessen Symbolik 1920 für den Bezirk Neukölln übernommen wurde und bis heute gültig geblieben ist, erinnert an Hauptstationen der inzwischen 640jährigen Geschichte von Richardsdorf bis Neukölln. Das alte Stadtwappen ist ein dreifach geteilter Schild: Links der Hussitenkelch in Weiß auf Schwarz, der an die Einwanderung der Böhmen 1737 erinnert, rechts daneben der rote Adler auf weißem Feld, der auf die Zugehörigkeit der Stadt zur Provinz Brandenburg und zugleich auf die einstige Verbindung mit Alt-Cölln an der Spree (besonders seit 1543) anspielt, das den Adler bereits in seinem ältesten bekannten Siegel (1334) enthielt. Unter dem Kelch und Adler befindet sich das Johanniter-Kreuz auf rotem Grund, das die Gründung des früheren Dorfes durch den Ritterorden wachhält.
Allerlei Schreibweisen

Am Anfang steht eine Urkunde vom 26. Juni 1360.1) Sie gilt nicht nur als Ersterwähnungsbeleg des Ortes Richardsdorf, sondern darüber hinaus als einzig erhaltene Dorfgründungs-Urkunde der Mark Brandenburg. Schon in jener Urkunde taucht der Ort in drei niederdeutschen Schreibweisen auf: Richarsdorp, Richarstorp, Richardstorff. Im 15. Jahrhundert kam Reicherstorff, Richerstorp und Rigerstorp hinzu, im 16. Jahrhundert Reichstorff (1541), Richstorff oder Rigstorff (1542), im 17. und 18. Jahrhundert Rechsdorff, Risdorf, Riechsdorf, Riecksdorf, Ricksdorf (1801) und schließlich Rixdorf, das im 19. Jahrhundert mehr und mehr in den amtlichen Ortsverzeichnissen verankert wurde. Interessant ist, dass die Urkunde von 1360 mit einem allgemeinen Hinweis auf die Bedeutung urkundlicher Regelungen beginnt, der heute wie eine seltsame Voraussicht des folgenden wechselvollen Geschehens erscheint: »Alle ding, dy geschyen jn der tydt, dy vorgan mit der tydt. Hirumme ist id not, dat man sy stetige vnd veste met briuen vnd hantuestigen.« (»Alle Dinge, die in der Zeit geschehen, vergehen mit der Zeit. Darum ist es not, daß man sie >stetige< und >feste< mit Briefen und Urkunden.«) Kern der urkundlichen Aussage ist, dass der Hof Richardsdorf (»hoff, gnant Richarsdorp«) in ein Dorf (»thu eyme dorpe«) mit 25 Hufen »gewandelt« wird - dem Mutterdorf des künftigen Rixdorf.

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Die Rixdorfer Separationskarte von 1827 verzeichnet noch die alten Flurnamen der gemeinschaftlichen Feld- und Weidewirtschaft, etwa den »Upstall«, einst nächtlicher Viehpferch
Sicher ist, dass schon im 13. Jahrhundert der Templer-Orden im Teltow befestigte Stützpunkte errichtete und die Gemarkungen von Tempelhof, Mariendorf, Marienfelde und (das später so bezeichnete) Rixdorf in Besitz hatte. Als der Päpsten und Königen zu mächtige Orden der Tempelherren 1312 unter der Anschuldigung der Ketzerei von Clemens V. (Papst 1305-1314) verboten wurde, gelangten die Güter der Templer auf dem Teltow 1318 in die Verwaltung des Johanniter-Ordens. Dazu gehörte auch der »Hof« Richardsdorp, den die Johanniter nun mit der Urkunde von 1360 zum »Dorf« erhoben hatten. Aus einer Notiz im sogenannten Landbuch Kaiser Karls IV. (1316-1378, Kaiser ab 1355) lässt sich ableiten, dass 1375 zwölf Bauern Richardsdorf bewirtschafteten.
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Strategisch günstig an der alten Straße von Cölln nach Cöpenick gelegen, geriet der Ort immer mehr ins Visier der Begehrlichkeit der mächtigen Doppelstadt Berlin/ Cölln. In einem Kaufvertrag vom 23. September 1435 überließ der Johanniter-Orden seinen gesamten Besitz im Teltow (Gut und Dorf Tempelhof, die Dörfer »Rigerstorpp«, »Margenfelde«, d. h. Marienfelde, »vnde Margendorppe« d. h. Mariendorf) »met allen vnde ieweliken eren tubehorungen« also mit allen und jeglichen Zubehörungen den Städten Berlin und Cölln, zwar nicht als Eigentum, jedoch »tu eyme ewigen rechten lehne entphangen«2) (zu einem ewigen rechten Lehen empfangen).

Berlin und Umgebung Anfang des 20. Jahrhunderts
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Seitdem war die Entwicklung von Richardsdorf eng mit der von Berlin/ Cölln verbunden, die auch durch die landesherrlichen Willkürmaßnahmen von Kurfürst Friedrich II. »Eisenzahn« (1413-1471, Kfst. 1440-1470) in den Jahren 1442/43 nicht gebrochen werden konnte. Allerdings hatte die vom Kurfürsten veranlasste Auflösung der Verwaltungseinheit Berlin/Cölln Einfluss auf deren Verbindung mit Richardsdorf. Um den anhaltenden Streitigkeiten zwischen beiden Städten wegen des Dorfes ein Ende zu setzen, schlossen sie am 24. August 1543 einen Vergleich, den Kurfürst Joachim II. (1505-1571, Kfst. ab 1535) bestätigte. Danach ging »Richsdorf« in alleinigen Besitz von Cölln über. 1546 übertrug der Johanniter-Orden Berlin und Cölln das Recht, die Pfarre in Tempelhof und Richardsdorf zu besetzen. Im Dreißigjährigen Krieg gebrandschatzt (darunter 1639 die Dorfkirche), von Hunger und Pest heimgesucht, lebten 1652 nur noch je sieben Bauern und Kossäten (Dorfbewohner, die nur ein Haus mit wenig Gartenland besaßen) in Richardsdorf - 1624 waren es noch 150 Bewohner gewesen. Mit der Vereinigung der fünf selbständigen städtischen Gemeinwesen Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt per Dekret von König Friedrich I. (1657-1713, Kfst. ab 1688, Kg. ab 1701) vom 17. Januar 1709 zur »Königlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin« wurde Rixdorf in spe ein Kämmereidorf Berlins. Frisches Blut aus Böhmen

Einen tiefen Einschnitt in seiner Entwicklung erlebte das märkische Dorf im Jahre 1737 durch die Ansiedlung böhmischer Emigranten. Nach dem Motto »Lasst sie kommen, ich will ihnen Wohnung geben!« verfügte »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, König ab 1713) per Erlaß vom 1. Februar 1737 die Aufnahme von böhmisch-hussitischen Glaubensflüchtlingen in Berlin und »Riechsdorff«. Es handelte sich um einen Teil jener insgesamt rund 700 Personen, die im Frühjahr 1737, aus Cottbus kommend, im Raum Berlin eingetroffen waren. Der König hatte zuvor das »Schultzen-Gerichte Riechsdorff« mit den dazugehörigen fünf Hufen Ackerland käuflich erworben, die Äcker vom Schulzengut getrennt und 18 böhmischen Familien kostenlos zur Verfügung gestellt. Sie mussten sich verpflichten, Leinen- und Baumwollzeug für Berliner Fabrikanten herzustellen. Die Böhmen bauten auf Kosten des Königs Häuser mit Scheunen, erhielten jeweils zwei Pferde, zwei Kühe und notwendiges Gerät. Das war die Geburtsstunde von Böhmisch-Rixdorf, das bis 1873 neben dem alten Richardsdorf, seit 1801 zunehmend Deutsch-Rixdorf genannt, bestand. Böhmisch-Rixdorf entwickelte sich rasch durch Zuwachs zu einer angesehenen Kolonistengemeinde.

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Weitere Gebäude, darunter ein schlichter Betsaal (1750), ein Unterrichts- und Erziehungshaus (1753) und Dorfkrüge kamen hinzu. Auf den in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts im Zuge des Mietskasernenbaus abgetragenen Rollbergen zwischen der heutigen Hermann- und Karl-Marx-Straße standen einst 16 Windmühlen; seit 1872 war dort übrigens der Standort der Kindl-Brauerei. Die Zahl der Bewohner stieg auf ca. 300 im Jahre 1747 und überflügelte die Einwohnerzahl von Deutsch-Rixdorf, das noch 1771 erst etwa 200 Personen zählte. Plünderungen und Zerstörungen durch österreichische und russische Truppen im Siebenjährigen Krieg, Feuersbrünste (1803 und 1849), Epidemien (1866 Pocken und Cholera) und auch religiöse Zwistigkeiten der Böhmen untereinander und kleine Streitigkeiten mit den Nachbarn konnten das Wachsen und Gedeihen beider Dörfer nicht aufhalten. »Die ganze Gemeinde Böhmisch-Rixdorf, ohne Ausnahme«, bestätigte das Justizamt Mühlenhof der Kriegs- und Domänenkammer, »gehört zu den ruhigsten, gehorsamsten, in Entrichtung ihrer Abgaben promptesten, überhaupt zu den besten Unterthanen.«3) Seit Anfang des 19. Jahrhunderts überstieg die Zahl der Einwohner von Deutsch-Rixdorf die Böhmisch-Rixdorfs (1806: 376 zu 319; 1861: 2 823 zu 1 014; 1871: 6 018 zu 2 129). Viele Rixdorfer wurden Handwerker, Gewerbetreibende und Lohnarbeiter. 1867 erhielt Rixdorf durch die Einrichtung der ersten Pferde-Omnibus-Linie Bergstraße (heute Teil der Karl-Marx-Straße) - Hallesches Tor sowie die Anlage des ersten Bahnhofs Verkehrsanschluss nach Berlin. Die kommunalen Probleme wuchsen, und eine Rixdorf-Vereinigung entsprach der Logik. Das Gesetz über die Landgemeinde-Verfassungen vom 14. April 1856 hatte dafür die Voraussetzungen geschaffen, indem es die Einführung von Gemeinde-Vertretungen veranlasste, die nun auch zur Führung der Verhandlungen ermächtigt waren. Die Vertretungen beider Rixdorfs waren 1871 entstanden.

Bebauung der Cöllnischen Wiesen

Die Herstellung der einheitlichen Verwaltung von Rixdorf geschah per Allerhöchsten Erlass vom 11. Juli 1873 mit Wirkung vom 1. Januar 1874. Am 4. Februar 1874 übernahm Hermann Boddin als Gemeindevorsteher die Leitung der Verwaltung. Zwischen 1875 und 1900 versechsfachte Rixdorf seine Einwohnerzahl und entwickelte sich zu einer Großgemeinde mit zunehmend städtischem Charakter. Die Bautätigkeit nahm regen Aufschwung, insbesondere nach der Aufhebung der Hütungsberechtigungen auf den Cöllnischen Wiesen (1874), wodurch ein großer Wiesenkomplex zur Bebauung freigegeben wurde.

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Neue Wohnquartiere und kommunale Einrichtungen (Amtshaus und -gericht, Schulbauten, Krankenhaus, Feuerwehr, Armenhaus, Gasanstalt) entstanden, Kirchen wurden errichtet, alte Bauten mussten der Industrialisierung weichen, die Hauptstraßen wurden gepflastert und das Straßennetz erweitert, die Verkehrsanbindung nach Berlin intensiviert. Pferdebahn-Linien verkehrten seit 1875 zwischen Bergstraße und Halleschem Tor, seit 1884 zwischen Berliner Straße und Spittelmarkt, seit 1885 zwischen Hermannplatz und Knesebeckstraße. 1895 wurde der Umbau des Bahnhofs Rixdorf vollendet, 1899 der Bahnhof Hermannstraße als Ringbahn-Station eröffnet. Im Zuge der Berliner Kanalisation erhielt auch Rixdorf 1891-1893 mit einem Kostenaufwand von 3,285 Mill. Mark eine neue Entwässerungsanlage, an die bis Ende 1895 1 008 Hausgrundstücke angeschlossen waren.
     Rixdorf als einer der bedeutendsten Vororte Berlins wuchs immer mehr mit der Infra- und städtebaulichen Struktur der Nachbarstadt zusammen. Es entstand eine neue festgefügte Stadtstruktur eines Konglomerats unterschiedlich gewachsener Städte und Gemeinden. Die verwaltungstechnischen Grenzen, darunter die Berliner Weichbildgrenze, stimmten mit dem zusammenwachsenden Stadtorganismus immer weniger überein, mehr noch: Sie erwiesen sich als Hindernisse der weiteren Stadtentwicklung.

Teil einer Karte der Rixdorfer Feldmark von 1738. Den Müllen Graben nennen wir heute Landwehrkanal, die Ansiedlung der Böhmen ist bereits eingezeichnet
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Der Drang nach weiteren Berliner Eingemeindungen wurde größer. Waren die Berliner Kommunalpolitiker in den 70er und 80er Jahren noch den Forderungen der Umlandgemeinden nach Eingemeindung mit Argumenten wie »Finanzschwäche« oder »sozialdemokratisches Wählerpotential« der Vorortgemeinden entgegengetreten, so forderten sie gegen Ende des Jahrhunderts selbst die Eingemeindungen, während die Vororte mit gewachsenem Selbstbewusstsein auf Distanz zum übermächtigen »Moloch« Berlin gingen.
     Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich Rixdorf endgültig von einem Dorf zu einem Gemeinwesen mit städtischem Charakter gewandelt. Am 30. Januar 1899 stimmte der Brandenburgische Provinziallandtag der Verleihung des Stadtrechts an die Gemeinde Rixdorf zu, die schließlich acht Wochen später wirksam wurde. Allein von 1900 bis zum Umbenennungsjahr 1912 stieg die Einwohnerzahl um fast das Dreifache und bis zur Eingemeindung nach Berlin nochmals um rund vier Prozent auf 262 128 (8. Oktober 1919), hinzu kamen Britz (13 477), Rudow (1 447) und Buckow (2 395) zum neuen Bezirk Neukölln mit zusammen 4 879 ha Fläche und 279 447 Einwohnern - 57,3 pro ha. Heute ist der Bezirk Neukölln mit 308 047 Einwohnern (Ende 1998) auf einer Fläche von 4493 ha der bevölkerungsreichste der Bundeshauptstadt und ist deswegen auch nach Einführung der Gebietsreform 2001 ein »Solobezirk« geblieben.
In Neukölln wohnen 62 556 Ausländer (Ende 1998), die höchste Zahl der in einem Berliner Bezirk wohnenden ausländischen Mitbürger; 15,5 Prozent aller Ausländer, die es in Berlin gibt. Auch darin bleibt Rixdorf/ Neukölln seiner Zuzugs-Tradition treu, die schon in der Johanniter-Urkunde von 1360 und im Einzug der Böhmen 1737 eine starke Wurzel hat. 1910 lebten allerdings erst 4 356 Ausländer in der Stadt Rixdorf - das waren 1,8 Prozent aller Einwohner; in der Reichshauptstadt waren es damals schon 2,6 Prozent - immerhin 54 047 Personen ausländischer Herkunft.

Quellen und Anmerkungen:
1 Eugen Brode: Geschichte Rixdorfs, Rixdorf 1899, S. 17-20. Die folgenden Zitate entstammen dieser Quelle, S. 17 u. 18
2 Ernst Fidicin (Hrsg.): Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, Bd. 2: Berlinische Urkunden von 1261-1550, Berlin 1837, S. 158
3 Zit. nach: Eugen Brode: Geschichte Rixdorfs, a. a. O., S. 96

Bildquellen:
1. Karte: Archiv LBV
2. und 3. Karte: Archiv des Autors

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2001
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