103   Porträt Alfred Grenander  Nächstes Blatt
Heiko Schützler
Ein meisterlicher Modernist

Der Architekt Alfred Grenander (1863-1931)

Geboren in Skövde/ Schweden, wächst Alfred Grenander in Stockholm auf, wo er 1881 das Studium der Architektur am Polytechnikum aufnimmt. Am 12. Oktober 1885 wird er an der Königlich-Technischen Hochschule in Charlottenburg unter der Nummer 2614 in der Fachabteilung I (Architektur) immatrikuliert. Er studiert u. a. bei Johann Eduard Jacobsthal (1839-1902), der 1875-1882 als leitender Architekt beim Stadtbahnbau mitwirkte. Die Stationen Bellevue (1878-1880) und Alexanderplatz (1878-1882) entstanden nach seinen Entwürfen. Im Studienjahr 1888/89 arbeitet Grenander im Büro von Alfred Messel (1853-1909), dessen moderne und zukunftsweisende Auffassung von Architektur ihn sehr beeinflusst. Eine Studienreise durch Süddeutschland und Italien sowie die Tätigkeit im Büro von Wilhelm Martens (1843-1910) bilden den Schlusspunkt seiner Ausbildung. Bei Martens, Schüler und Schwiegersohn von Martin Gropius und auf die Errichtung von Bankgebäuden spezialisiert, lernt Grenander, wie Gebrauchsarchitektur


Das Porträt von Alfred Grenander auf einer Bronzetafel im U-Bahnhof Klosterstraße

im Großbetrieb entsteht. Martens ist kein Visionär wie Messel, sondern ein Mann des Handwerks, der seine Bauten konsequent in historisierenden Formen errichtet.
     Nach erfolgreichem Studium erhält Alfred Grenander am 22. Januar 1890 sein Abgangszeugnis von der Technischen Hochschule, und noch im gleichen Jahr gelingt es ihm, im Reichstagsbaubüro bei Paul Wallot (1841-1912) Anstellung zu finden. Hier hat er mit weiteren Architekten, darunter seinem späteren Kollegen Otto Rieth (1858-1911), Wallots Entwürfe ins Reine zu zeichnen.

BlattanfangNächstes Blatt

   104   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Ab 1892 entstehen erste eigene Entwürfe. Gemeinsam mit seinem Schwager Otto Wilhelm Spalding (1863-1945) projektiert er ein Landhaus in Südende, wo Spalding mit Familie und Grenander selbst einziehen. 1896 gründen sie als gemeinsames Architekturbüro die Firma Spalding & Grenander; Grenander wird Mitglied im Werkring, einer Künstlergruppe, die sich mit moderner Haus- und Wohnkunst beschäftigt.

Florale Elemente für Stahlstützen

Am 13. April 1897 wird die Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen gegründet, die das Siemens-&-Halske-Projekt einer elektrischen Hochbahn verwirklichen will. Es gelingt dem Generaldirektor, Paul Wittig (1853-1943), eine Million Mark für künstlerische Zwecke bereitstellen zu lassen. Noch im selben Jahr wird ein Architektur-Wettbewerb ausgeschrieben. Am 17. Mai heiratet Grenander Mary Juliana Åwall. Seine Frau bringt aus erster Ehe die fast dreijährige Tochter Katarina Margareta Juliana ein. Die junge Familie zieht nach Berlin W, in die Potsdamer Straße. Aus der Ehe wird die gemeinsame Tochter Signe hervorgehen.
     Am 1. Juni 1897 beginnt der Aufbau der Eisenkonstruktionen für die Hochbahn. Es zeigt sich, dass bei den ersten Bauten Technik und Kunst noch keinen Bezug zueinander finden:

Die Konstruktion ist ohne Ästhetik und der Schmuck reine Dekoration. Alfred Kerr (1876-1948) in seinen Berliner Briefen: »Barbarischer, ekliger, gottverlassener, blöder, bedauernswerter, mickriger, schändlicher, gerupfter, auf den Schwanz getretener sieht nichts in der Welt aus.« Grenander versieht die nackt wirkenden Stahlstützen mit floralen Elementen.
     Der Jugendstil hat Kunst und Formgestaltung erobert. In der Überwindung des akademischen, formelhaft erstarrten Historismus werden neue Wege ausprobiert. Auch der Jugendstil definiert seine Ästhetik aus dem Ornament. Das erhebliche kreative Potenzial der »Neuen Formen« wird Grenanders Stil in den nächsten Jahren prägen.

Lehrer am Kunstgewerbemuseum

Im Oktober 1897 erfährt Grenanders berufliche Karriere mit der Berufung an die 1868 gegründete Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, Prinz-Albrecht-Straße 7, einen entscheidenden Schub. Von Richard Wolffenstein (1846-1919) übernimmt er die Ergänzungsklasse XII b, Skizzierübungen. Die Unterrichtsanstalt, deren erster Leiter Martin Gropius war, blickt auf eine fast dreißigjährige Tradition zurück. Seit 1874 eine eigene Abteilung im Kunstgewerbemuseum, steht die Anstalt von da ab bis 1904, dem Jahr seines Todes, unter der Leitung des Malers Ernst Ewald (geb. 1836).

BlattanfangNächstes Blatt

   105   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
1881 bezieht sie die 2. Etage und Teile des Kellers des nach vierjähriger Bauzeit fertig gestellten, von Martin Gropius (1824-1880) und Heino Schmieden (1835-1913) entworfenen Neubaues (heute Martin-Gropius-Bau). Am 1. April 1885 werden Museum und Unterrichtsanstalt verstaatlicht und den Königlichen Museen angegliedert.
     Im ersten Halbjahr 1898 vertritt Grenander in der Fachklasse I a für mehrere Monate seinen Kollegen Otto Rieth. Rieth, seit 1894 Lehrer an der Unterrichtsanstalt, hatte diese Klasse 1896 von Alfred Messel übernommen, der sich, Professor seit 1893, zugunsten seiner Tätigkeit als freier Architekt vom Lehramt zurückzog, um am Leipziger Platz mit dem Bau des Warenhauses Wertheim zu beginnen.
     Ab Oktober 1898 bekommt Grenander als Nachfolger von Professor F. O. Kuhn endlich seine eigene Fachklasse; I b, für architektonisches Zeichnen. Damit steigt er in der Hierarchie der Unterrichtsanstalt eine weitere Stufe empor. Neben der gesellschaftlichen Reputation, die das Amt als Leiter einer Fachklasse mit sich bringt, versetzt es Grenander in die Lage, seine modernen Auffassungen von Architektur und Raumgestaltung weiterzugeben und somit die Entwicklung dieser künstlerischen Disziplinen zu beeinflussen; dies umso mehr, als die Bedeutung der Unterrichtsanstalt selbst im Laufe der Jahre stetig ansteigt und zum anderen Grenanders Klassen auf Grund seines hohen künstlerischen Rufes gut besucht werden.
     Wie andere Lehrkräfte auch, bietet Grenander seinen Schülern die Möglichkeit, frühzeitig praktische Erfahrungen zu sammeln, indem er sie seine privaten Aufträge im Unterricht gegen Entgelt bearbeiten lässt. 1899 zieht Grenander in die Nähe seines Arbeitsplatzes, in die Frobenstraße. Ab 1900 ist er alleiniger Inhaber der Firma Spalding & Grenander. An der Unterrichtsanstalt erzielt er dank seines persönlichen Engagements beachtliche Lehrerfolge und wird am 1. Juli 1901 zum Professor berufen. Im gleichen Jahr zum Mitglied der Königlichen Künstler-Sachverständigenkammer und des Königlichen Sachverständigenvereines ernannt, nimmt er Wohnsitz in Wilmersdorf, in der vornehmen Prager Straße.

Aufstieg zum U-Bahn-Architekten

Am 15. Februar 1902 wird auf der fertiggestellten Hochbahn unter Führung des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten, Karl v. Thielen (1832-1906), eine Sonderfahrt mit Vertretern des Reiches, Preußens und der drei beteiligten Gemeinden Berlin, Schöneberg und Charlottenburg, außerdem von Siemens & Halske sowie der Hochbahngesellschaft veranstaltet. Um 11 Uhr fahren zwei Sonderzüge vom Bahnhof Potsdamer Platz, dessen Eingänge Grenander entworfen hat und der nicht identisch ist mit dem heutigen Bahnhof gleichen Namens, die gesamte Strecke ab, zwischenzeitlich zu Besichtigungszwecken anhaltend.

BlattanfangNächstes Blatt

   106   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Im noch nicht in Betrieb befindlichen Maschinensaal am Gleisdreieck findet ein festlicher Empfang mit Büfett, Reden und Auszeichnungen statt.
     Am 14. Dezember erreicht die Strecke ihre ersten Endpunkte: Man fährt jetzt von Warschauer Brücke bis Knie bzw. dank Gleisdreieck zum Potsdamer Platz.
Erfolgreiche Proteste von Charlottenburg und Schöneberg erzwingen eine unterirdische Fortführung, und so wird Grenander zum U-Bahn-Architekten, er gestaltet die Stationen Wittenbergplatz, Zoologischer Garten und Knie (heute Ernst-Reuter-Platz).
     Im Jahre 1904 arbeitet Grenander an der Ausgestaltung der deutschen Abteilung auf der Weltausstellung mit.

Der U-Bahnhof Klosterstraße, gebaut nach Entwürfen von Alfred Grenander
BlattanfangNächstes Blatt

   107   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Zur Reise nach St. Louis von Anfang April bis Mitte Juni beurlaubt, wird er an der Unterrichtsanstalt von Albert Geßner (1868-1853) vertreten. Grenander gestaltet zwei Innenräume, deren neuartiger Stil Aufmerksamkeit erregt. Klarheit der Linien ist das bestimmende Element, die Formen werden durch die Funktion bestimmt; der Schmuck dient der Ausdruckssteigerung und ist nicht Selbstzweck. Das deutsche Kunstgewerbe tut einen entscheidenden Schritt vorwärts, freut sich Maximilian Rapsilber und ist so begeistert, dass er den Schweden Grenander ohne weiteres den deutschen Künstlern zuordnet, deren Führungsrolle in der Welt zu belegen.

Entwürfe für Kioske und Straßenmöbel

Mittlerweile hat der Jugendstil seinen Zenit bereits überschritten und ist im Abklingen begriffen. Die Tendenz geht zur Vereinfachung. Es zeigt sich, dass die Stilfrage nicht vom Ornament her zu lösen ist, vielmehr sind vollständig neuartige Ausdrucksmittel zu schaffen. Für den Architekten ergibt sich die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit der Industrie. Auf der Großen Berliner Kunstausstellung 1905 ist Grenander im Rahmen der Gruppe »Werkring« als Innenarchitekt vertreten. Zwar sind die Formen noch geschwungen, doch die Vereinfachung ist nicht zu übersehen, der Weg geht in Richtung eines neuen Klassizismus.

Ab 1906 entwirft Grenander Zeitungskioske und Straßenmöbel für Berlin.
     Das Jahr 1907 bringt der Unterrichtsanstalt, die mittlerweile den lange geforderten Erweiterungsbau erhalten hat, den entscheidenden Impuls ihrer Entwicklung. Den seit 1904 vakanten Direktorenstuhl besetzt ein Mann, der die Unterrichtsanstalt bis zu ihrem Ende im höchsten Maße prägen wird: Bruno Paul (1874-1968), Architekt und Kunsthandwerker aus München, von 1896 bis 1907 Karikaturist für die Zeitschriften »Simplizissimus« und »Jugend«. Mit ihm, der wie auch Alfred Grenander zu den Gründungsmitgliedern des im Oktober 1907 in München ins Leben gerufenen Deutschen Werkbundes gehört, zieht endgültig die Moderne in den Unterricht ein. Der Werkbund hat sich zum Ziel gesetzt, die Krise des Deutschen Kunstgewerbes zu überwinden und »Schund und Schein« zu bekämpfen. Ganz in diesem Sinne findet von nun an kein Unterricht mehr statt, der sich ausschließlich mit dem Ornament befasst; es hat seine ursprüngliche Bedeutung endgültig verloren. Ab jetzt sind Material und Form dem Sinn der zu entwerfenden Gegenstände entsprechend anzuwenden, womit der Begriff des materialgerechten Arbeitens entsteht.
     Ablesbar wird der neue Geist an den beiden Fachklassen für Architekturzeichnen und Formgestaltung I a (Otto Rieth) und I b (Alfred Grenander).
BlattanfangNächstes Blatt

   108   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Der Unterricht Otto Rieths, der seine Schüler in klassisch-konservativer Weise mit der effektvollen Darstellung von Gebäuden und Möbeln beschäftigt, passt nicht mehr in die Zeit. Zwar übernimmt Paul ihn in sein neues Ausbildungsprogramm, doch da beider Ansichten zu stark differieren, wird Rieth letztlich nur aus Reputationsgründen im Amt belassen. Paul umgeht die Kündigung, indem er ihm kaum noch Schüler zuweist und selbst eine dritte Parallelklasse unter seiner persönlichen Leitung eröffnet. Nach Rieths Ableben im Jahre 1911 wird dessen Klasse aufgelöst.
     Grenander kann seinen Unterricht uneingeschränkt weiterführen. Mittlerweile entwickelt er seine architektonische Formensprache, konsequent ausgehend vom Zweck des geplanten Bauwerkes. Das zeigt sich besonders ab 1908, als der U-Bahn-Bau weitergeht und Grenander vorrangig für die Hochbahngesellschaft arbeitet. Bis 1913 wird von nun an ausschließlich er U-Bahnhöfe und Betriebsgebäude der Hochbahngesellschaft bauen. Grenander schafft - ganz dem Werkbundgedanken verpflichtet - eine einheitliche Gestaltung von sachlicher Eleganz, deren Gesamteindruck durch die aufmerksame Behandlung der Details wirkungsvoll unterstützt wird.

Der Kaiser lobt Cadiner Kacheln

Weil er nach eigenen Entwürfen gebrannte Cadiner Kacheln zur Auskleidung einiger Stationen verwendet, wird Kaiser Wilhelm II. auf ihn aufmerksam.

In Cadinen (heute Kadyny, Polen), am Frischen Haff in Westpreußen gelegen, hat der Kaiser 1903 wegen der großen Lagerstätten hochwertigen Tons eine Werkstätte einrichten lassen, in der nach dem Vorbild italienischer Majolika allerlei Gefäße und Kleinplastiken sowie Kacheln und Fliesen hergestellt werden. Wie das »Berliner Tageblatt« am 8. Januar 1908 anlässlich einer Besichtigung des Bahnhofes Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss-Platz) durch den Kaiser vermerkt, ist dieser erfreut über die prächtige Wirkung der Cadiner Erzeugnisse und spricht sich außerordentlich befriedigt über das Arrangement aus. Am 16. März ist die Strecke fertiggestellt, und die Lokalseite sowohl der Abendausgabe desselben als auch der Frühausgabe des folgenden Tages werden beherrscht von umfangreicher Berichterstattung: Der Kaiser fährt U-Bahn! Alle sind sie gekommen: Wilhelm II. mit großem Gefolge, Vertreter der Städte Berlin, Charlottenburg und Schöneberg sowie der Hochbahngesellschaft, und auch Alfred Grenander ist erschienen. Das Tageblatt vermerkt nicht, dass der Kaiser im Gedränge mit seiner Helmspitze an die Decke des Wagens stößt und ihm die Kopfbedeckung über die Augen rutscht (worüber er nicht amüsiert ist); die Reporter berichten vielmehr, wie sich Wilhelm II. über die Wirkung der Kacheln im Bahnhof Kaiserhof zu Alfred Grenander äußert: »Sehr hübsch! Es soll auf den anderen Bahnhöfen aber noch schöner werden.«
     Eine Woche später vermeldet das Blatt die bereits am 11. März erfolgte Auszeichnung Grenanders mit dem Roten Adlerorden IV. Klasse.
BlattanfangNächstes Blatt

   109   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Allerhöchsten Lobesworte veranlassen sowohl die Leitung des Hotels Kempinski als auch die der Kaufhauskette Wertheim, Cadiner Kacheln in ihren Bauwerken zu verwenden. Ihre Hoffnung, dadurch mit einem Kaiserbesuch in ihren Räumlichkeiten werben zu können, soll sich erfüllen.
     Im Oktober 1909 beginnt die Umgestaltung der Station Wittenbergplatz zu einem Umsteigebahnhof: Zur Stammstrecke kommen zwei neue Linien hinzu, die auf drei Bahnsteige mit insgesamt fünf Gleisen verteilt werden. Die unbebaute Platzfläche ermöglicht es, die Bahnsteige neben- statt untereinander anzulegen. Anlass zu dieser Erweiterung gibt die wachsende Bedeutung des Gebietes um den Wittenbergplatz, wo 1907 das KaDeWe eröffnet hat. Die äußere Erscheinung des Bahnhofes ruft Kritik hervor. Grenander selbst war sich nicht sicher, vier Entwurfsmodelle dokumentieren seinen Versuch, verkehrstechnische Praktikabilität und ortsangepasste Repräsentativität zu vereinen. Betrachtet man Grenanders umfangreiches Arbeitspensum in jenen Jahren, dann verwundert es nicht, dass er im Jahre 1913 die Ergänzungsklasse XII b, Skizzierübungen, abgibt und nur die Fachklasse I b für architektonisches Zeichnen behält, aus der er in verstärktem Maße Schüler für seine Arbeiten hinzuzieht.
Entwürfe für die Knorr-Bremse

Der 1914 ausbrechende Krieg bedeutet für Grenander zunächst das Ende seiner Tätigkeit als U-Bahn-Architekt. Das bereits 1913 begonnene Projekt für die Firma Knorr-Bremse, die für die U-Bahn Bremsen fertigt, wird weitergeführt. Grenander gestaltet Verwaltungs- und Fabrikgebäude in der Lichtenberger Bahnhofstraße. (Das Gebäude, heute Neue Bahnhofstr. 9-13, ist nicht zu verwechseln mit dem Knorr-Bremse-Bau in der Hirschberger Straße - heute BfA.) Als schwedischer Staatsbürger nicht der Militärdienstpflicht unterliegend, übernimmt er an der Unterrichtsanstalt, deren Gebäude zu zwei Dritteln als Lazarett genutzt werden, ab dem 29. September 1915 vertretungsweise die Fachklasse des im Felde stehenden Architekten Eduard Pfeiffer (1889-1929), Zeichnen für Metall. Die Schülerzahl an der Unterrichtsanstalt verringert sich in einem solchen Maße, dass Grenander im Schuljahr 1917/18 nur noch einen einzigen Schüler zu unterrichten hat, einen Kriegsbeschädigten namens König, dessen Körperbehinderung eine spezielle Unterrichtsplanung notwendig macht.
     Im Sommer 1920 beauftragt die seit 1903 bestehende Schwedische Victoriagemeinde Grenander, auf ihrem neu erworbenen Grundstück in Wilmersdorf, Landhausstraße 27-28, eine Kirche zu errichten.

BlattanfangNächstes Blatt

   110   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Wegen begrenzter Mittel werden in einem frei stehenden zweistöckigen Wohnhaus vom Ende des 19. Jahrhunderts Räume für den Gottesdienst, außerdem Schule, Bibliothek und Pfarrhaus untergebracht. Zusätzlich entsteht der Glockenturm. Auf dem Stahnsdorfer Waldfriedhof entwirft Grenander den Begräbnisplatz der Gemeinde. (BMS 3/2000)
     1922 wird von der Stadt Berlin die Nordsüdbahn AG gegründet,
welche die beiden kriegsbedingt eingestellten U-Bahn-Linien fertig stellen soll. Die architektonischen Entwürfe waren bereits vor dem Krieg von Heinrich Jennen ausgearbeitet worden. Nach seinem Entwurf entstand 1913/14 zur Probe die Station Leopoldplatz. Sie wird als einzige eine Kachelung aufweisen, denn die Nachkriegsbauten müssen kostenbedingt mit Putzwänden versehen werden.

Gebäude der Knorr-Bremse, erbaut 1922-1927
BlattanfangNächstes Blatt

   111   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Nach Jennens Tod im Jahre 1920 wird mit der Ausführung Grenander beauftragt, der gemeinsam mit Alfred Fehse, seinem ehemaligen Schüler und jetzigen Mitarbeiter für technische Fragen, diese Aufgabe übernimmt. Den Bahnhof Moritzplatz hat der Hausarchitekt der während der Inflation in Konkurs gegangenen Schnellbahngesellschaft der AEG, Peter Behrens (1868-1940), gestaltet.
     Die Firma Knorr-Bremse kann von der wirtschaftlichen Situation nach dem Weltkrieg profitieren und ist seit 1923 der größte Bremsenhersteller Europas. Die notwendig gewordene Erweiterung der Firmengebäude, an der Hirschberger Straße in Berlin-Lichtenberg, wird nach Grenanders Entwurf 1922-1927 ausgeführt.
     Im März 1924 zieht die Unterrichtsanstalt ins Gebäude der Akademischen Hochschule in der Hardenbergstraße um (heute Hochschule der Künste), der formelle Vollzug der Vereinigung findet am 1. Oktober statt. Drei Jahre zuvor waren die Unterrichtsanstalt aus den seit 1918 Staatlichen Museen herausgelöst und die Sammlungen des Kunstgewerbemuseums ins Berliner Stadtschloss überführt worden. Der Lehrplan der Unterrichtsanstalt wurde dem der Akademischen Hochschule für die Bildenden Künste angeglichen und das System des freien Atelierunterrichts durchgesetzt. Im gleichen Jahr begannen die Vereinigungsverhandlungen.
Die Bronzetafel im U-Bahnhof Klosterstraße

Die Einrichtung erhält den Namen »Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst«, Direktor wird Bruno Paul (1874-1968). Die Kunstbibliothek verbleibt in der Prinz-Albrecht-Straße 7 a.

BlattanfangNächstes Blatt

   112   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattNächstes Blatt
Würdigung durch Stadtrat Reuter

Im Jahre 1928 modernisiert Grenander das Berliner Metropoltheater, am heutigen Standort der Komischen Oper in der Behrenstraße. Die Zahl der Sitzplätze wird erhöht, im Zuschauerraum harmoniert nun lichtes Gelb mit hellem Gold. Das Foyer wird erneuert und vergrößert, die Bühne mit neuer Beleuchtungsanlage, Versenkung und Rundhorizont versehen. Die Außenfassade bekommt einen hellen Anstrich, die Eckpfeiler werden mit hellen Kalkplatten verkleidet. 1929 reißt man am Kottbusser Tor, seit gut einem Jahr auch unterirdisch zu erreichen, den Hochbahnhof von 1902 ab und errichtet zur Verbesserung der Umsteigemöglichkeit hundert Meter westlich davon einen neuen, bei dessen feierlicher Eröffnung am 2. August Ernst Reuter(1889-1953), Verkehrsstadtrat seit 1926 und »Schöpfer« der BVG (BMS 6/2000), Folgendes ausführt: »Ich darf besonders darauf aufmerksam machen, daß neben der Bauleitung, die in den Händen der Nordsüdbahn-A.G. gelegen hat, für die architektonische und künstlerische Gestaltung Herr Professor Grenander in erster Linie die Verantwortung mit trägt. Ein solches Bauwerk, wie dieser Hochbahn-Umsteigebahnhof, ist dauernder und vielleicht auch für das Stadtbild charakteristischer als irgendein anderes Gebäude, und die Öffentlichkeit sollte darum auch auf die künstlerische Ausgestaltung gerade dieser Bauwerke verstärkt achten.«

     Die U-Bahn-Strecke nach Friedrichsfelde mit dem architektonischen Höhepunkt Bahnhof Alexanderplatz und das Büro- und Geschäftshaus Kaiser-Wilhelm- (heute Rosa-Luxemburg-)Straße Ecke Dircksenstraße beschließen 1930/31 das Lebenswerk Alfred Grenanders. Als sein letztes Werk dürfte der Umbau der Kaisergalerie gelten. Sie führt als Passage von der Friedrich- Ecke Behrenstraße zur Straße Unter den Linden, in der Mitte dabei um 60 Grad abknickend. Der mit dem Aufblühen des Berliner Westens einhergehende Strukturwandel der alten City vom Vergnügungsviertel zur Geschäftsgegend erzwingt Veränderungen. Die Varietésäle werden zu Büroräumen umgebaut. Die Andenkenläden stellen ihr Angebot auf Bedarfsartikel um und entwickeln dadurch höhere Ansprüche an Aufmachung und Ausstellungstechnik. Der Aktienbauverein Passage beschließt daher - um neues Publikum heranzuführen - einen durchgreifenden Umbau und beauftragt damit Alfred Grenander, der Wolf-Werner Zschimmer hinzuzieht. Das Dach der Passage wird heruntergezogen und direkt über der Ladenetage als halbkreisförmiges Tonnengewölbe aufgesetzt. Höhepunkt ist im Knick eine Kuppel, wie das Gewölbe selbst als neuartige Stahlrahmen-Glas-Konstruktion ausgeführt. Obwohl der Umbau bei vollem Publikumsverkehr stattfindet, sind bis Weihnachten 1930 die Glasdächer der Hallen, der Umbau der Schaufenster und die Marmorwände fertiggestellt, im Januar des Folgejahres ist auch die Kuppel vollendet.
BlattanfangNächstes Blatt

   113   Porträt Alfred Grenander  Voriges BlattArtikelanfang
     Der Aufwand hat sich gelohnt, denn die Passage gewinnt an Helligkeit und wirkt nun wesentlich breiter. Den Zweiten Weltkrieg hat sie nicht überlebt.
     Am Nachmittag des 14. Juli 1931 stirbt Alfred Grenander, bereits seit längerem schwer erkrankt, kurz nach Vollendung seines 68. Lebensjahres in Berlin. Mit Genehmigung des zuständigen schwedischen Pfarramtes in Skanör, Grenanders Hauptwohnsitz, findet im Krematorium Wilmersdorf am 17. Juli die Trauerfeier statt. Die Urne wird wenige Tage später nach Schweden überführt.
     Im Schaffen Grenanders, der auch als Innenarchitekt und Formgestalter in Erscheinung trat, - so entwarf er für die Firma Ibach ein Klaviermodell -, ist beispielhaft der Transformationsprozess vom Kunstgewerbe zur modernen Formgestaltung, vom Kunsthandwerk zum Industriedesign ablesbar. Waren seine ersten Arbeiten vom Jugendstil geprägt, erreicht er in seinem Spätwerk höchste Meisterschaft als konsequenter Modernist. Man betrachte nur die U-Bahn-Stationen Krumme Lanke und Ruhleben, die in ihrer funktionellen Ästhetik vorbildlich sind.
     Wichtige Werke sind neben den Anlagen für die Hoch- und Untergrundbahn und den zahlreichen Landhäusern die Schönfließer (1908) und Gotzkowsky-Brücke (1911) sowie Fabrikgebäude für die Firma Loewe (1908 und 1916).
Wer wissen will, wie Grenander aussah, der begebe sich in die Vorhalle vom Bahnhof Klosterstraße. Dort sind auf einer Bronzetafel (siehe Abbildung) wichtige Persönlichkeiten der Berliner U-Bahn verewigt.
     Alfred Grenander ist in Berlin lange Zeit relativ unbekannt geblieben. Mittlerweile ist Besserung in Aussicht. Der Gebr. Mann Verlag hat im vergangenen Jahr das 1930 von Martin Richard Möbius herausgegebene Standardwerk zu Grenander neu aufgelegt, Bettina Güldner das Nachwort verfasst.
     Nach Sabine Bohle-Heintzenbergs großem Werk zur Architektur der Berliner Hoch- und Untergrundbahn von 1980 liegt damit erstmals eine moderne Würdigung vor. Viele der von Grenander gestalteten U-Bahnhöfe befinden sich noch im Originalzustand. Knapp 80 stehen mittlerweile unter Denkmalschutz.
     Am 30. April 2001 vereinbarten BVG und Landesdenkmalamt, künftig bei der Sanierung und Modernisierung historischer U-Bahnhöfe zusammenzuarbeiten.
     Bereits seit dem Vorjahr existiert im Landesdenkmalamt ein Ansprechpartner für den gesamten U-Bahn-Bereich.

Bildquellen:
Bild 1 und 4: LBV/ Helmut Rheden
Bild 2 und 3: LBV/ A. Simon

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7-2/2001
www.berlinische-monatsschrift.de