62   Berlin im Detail Rudolf Fuess  Nächstes Blatt
Heidrun Siebenhühner
Die Firma Rudolf Fuess

Wer sich mit der Geschichte der Meteorologie in Berlin beschäftigt, stößt mit Sicherheit auch auf die Instrumentenfirma R. Fuess. Diese Firma, 1865 in Berlin gegründet, wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einer bedeutenden Herstellungsstätte von Präzisionsinstrumenten. In vielen Wetterwarten auf der ganzen Welt sind Meßgeräte im Einsatz, die von der Firma gebaut wurden.
     Der Firmengründer Rudolf Fuess, der übrigens auch zu den Mitbegründern der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt gehörte, wurde am 28. September 1838 in Moringen (Provinz Hannover) geboren und entwickelte bereits als Kind eine besondere Vorliebe für Mechanik. Seine Ausbildung erhielt er in einer mechanischen Werkstatt in Göttingen. Zusätzlich hörte er an der dortigen Universität Vorlesungen über physikalische Grundlagen des Instrumentenbaus. Nach Beendigung der Lehre ging er für zwei Jahre nach Hamburg und arbeitete dort in einer Werkstatt, die Fernrohre und Mikroskope herstellte. Hier bekam er erste Anregungen für seine spätere eigene Firma, die ihm einmal Weltruf verschaffen sollte.


     Nach seiner Hamburger Zeit suchte Rudolf Fuess eine Anstellung in Berlin, seine Bewerbung bei der Firma Siemens wurde jedoch abgelehnt. Mehr Glück hatte er bei der Firma Löhmann, die Nivelliergeräte baute. Der Firmenchef stellte ihn mit dem Hinweis ein, daß Mechanikergehilfen aus Hannover als gute Arbeiter bekannt seien.
     Fuess hatte von Anfang an das Ziel, sich selbständig zu machen. Für einen gebürtigen Hannoveraner war jedoch die Einbürgerung in Preußen um 1865 ohne besondere Empfehlungen fast unmöglich. Vom damaligen Direktor des am 17. Oktober 1847 gegründeten Königlich-Preußischen Meteorologischen Institutes, Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879), wurde seine Bitte um eine solche Empfehlung abgewiesen. Erst als sich Fuess an den Stadtverordnetenvorsteher Kochhann (siehe BM 5/92) wandte, hatte er Erfolg. Kochhann befürwortete sein Gesuch um das Berliner Bürgerrecht gern, denn »solche Leute wie Sie können wir in Berlin gebrauchen«. Damit konnte Rudolf Fuess seinen Weg als Gewerbetreibender in Berlin beginnen.
     Ihren ersten Sitz hatten die Fuess'schen Werkstätten in der Mauerstraße 84 in Berlin-Mitte. Ab 1. April 1865 baute man hier die ersten mechanisch-physikalischen Meßapparate, Rezepturwaagen für Apotheker und Blutdruckmesser für Rußland. Zusätzlich wurden mechanische Würfelspiele und Messerschärfer hergestellt.
BlattanfangNächstes Blatt

   63   Berlin im Detail Rudolf Fuess  Voriges BlattNächstes Blatt
     Der Auftrag zur Herstellung eines Glaskreises von nur sechs Millimeter Durchmesser für das Okular eines Fernrohres brachte der Firma einen entscheidenden Aufschwung. Alle anderen angesprochenen Berliner Mechaniker sahen sich nämlich außerstande, diese Präzisionsarbeit auszuführen. Fuess bewältigte diese Aufgabe und kam dadurch in Kontakt mit dem Astronomen Wilhelm Foerster (1832-1921), der von 1865 bis 1903 Direktor der Berliner Sternwarte war. Die Firma wurde weiterempfohlen, dadurch kamen neue Aufträge ins Haus, das Unternehmen mußte vergrößert werden.
     Im Jahre 1870 wurden die Werkstätten in die Wassertorstraße 46 in Kreuzberg verlegt. Die Auftragslage war weiterhin gut: Es wurden Chronographen für die Sternwarte gebaut und Dünnschliffe für das geologische Institut angefertigt. Etwa ab 1875 stellte man auch Anemometer (Windmesser) her, die zunächst für den Einsatz in Bergwerken bestimmt waren. Zuvor mußten solche Geräte aus England eingeführt werden.
     1873 zog die Firma R. Fuess erneut um, da der Platz in den Werkstätten nicht mehr ausreichte. Die neue Firmenanschrift war nun: Alte Jakobstraße 108 (heute Kreuzberg; dort steht jetzt die Bundesdruckerei).
     Im Jahre 1877 übernahm Fuess die in Schwierigkeiten geratene Firma Greiner jr. & Geißler, die neben einer Glasbläserei auch die Produktion von Thermometern, Barometern und Anemometern betrieben hatte.
Nun begann die Herstellung meteorologischer Instrumente in großem Umfang, besonders für die Marine und auch für die 1875 gegründete Seewarte Hamburg.
     Rudolf Fuess entwickelte eine Skalenbefestigung für ein Normalthermometer, die patentiert wurde und bald überall Anwendung fand. Dadurch kam die Firma mit bekannten Wissenschaftlern der damaligen Zeit in Kontakt, so z. B. mit dem Schweizer Physiker und Meteorologen Heinrich Wild (1833-1902), dem Meteorologen Adolf Sprung (1848-1909) und dem Arzt und Meteorologen Richard Aßmann (1845-1918).
     Wild und Fuess entwickelten zusammen ein »Gefäßheberbarometer«. Mit diesem Gerät wurden alle meteorologischen Stationen Rußlands ausgerüstet, denn Heinrich Wild war von 1868 bis 1895 Direktor des Physikalischen Zentralobservatoriums St. Petersburg.
     Nach einer Idee von Adolf Sprung baute die Firma R. Fuess den »Sprung-Fuess'schen Waagebarographen« für die Seewarte Hamburg und zusammen mit Richard Aßmann (ab 1886 am Königlich-Preußischen Meteorologischen Institut tätig) das nach ihm benannte Aspirationsthermometer (Psychrometer). Dieses Gerät gehörte bald zur Grundausstattung jeder meteorologischen Station. Weiterhin wurden in diesen Jahren Pegel sowie der von dem Meteorologen Gustav Hellmann (1854-1939) entwickelte Regenschreiber und registrierende Schneemeßgeräte hergestellt.
BlattanfangNächstes Blatt

   64   Berlin im Detail Rudolf Fuess  Voriges BlattNächstes Blatt

 

Briefköpfe der Firma R. Fuess aus den Jahren 1898 und 1904
Im Jahre 1886 entwickelte Fuess für den Bakteriologen Robert Koch einen Projektionsapparat zur Vorführung mikroskopischer Präparate, der mit Sonnenlicht und zum Teil auch schon mit elektrischer Beleuchtung arbeitete.
     Die Firma lieferte Geräte für vorwiegend drei Bereiche: für die Meteorologie, die Hydrotechnik und die Mineralogie. Da die Gebäude nicht mehr ausreichten,
kaufte Rudolf Fuess 1891 ein Grundstück in Steglitz, Düntherstraße 8. Hier ließ er ein Wohnhaus und ein Fabrikgebäude für 100 Arbeitsplätze bauen, in dem präzisionsmechanische Arbeiten in großem Umfang durchgeführt wurden.
     1913 übernahm sein Sohn Paul Fuess (1867-1944) die Firma. Rudolf Fuess starb am 21. November 1917, sein Grab befindet sich auf dem St.-Jakobi-Friedhof in Neukölln.
BlattanfangNächstes Blatt

   65   Berlin im Detail Rudolf Fuess  Voriges BlattArtikelanfang
Der Erste Weltkrieg brachte der Firma R. Fuess viele Aufträge für militärische Zwecke. So wurden beispielsweise Zielfernrohre und Bordinstrumente für Militärflugzeuge gebaut. Die Jahre 1918 bis 1923 waren auch für dieses Unternehmen schwer, und erst gegen Ende der Inflation deutete sich eine Besserung an. Einen Aufschwung gab es durch den Bau von Geräten zur Ausrüstung wissenschaftlicher Expeditionen, z. B. für Alfred Wegener (nach Grönland bzw. in die Arktis). Darüber hinaus lieferte man meteorologische Geräte für das Deutsche Museum in München.
     In dieser Zeit wurden auch Zweigniederlassungen in Yokohama, Bologna und New York gegründet. Daneben hatte das Unternehmen noch eine Anzahl von Generalvertretern in vielen Ländern und stellte sich somit als Berliner Firma auf dem Weltmarkt dar.
     Die Weltwirtschaftskrise brachte der Firma R. Fuess einen neuen Tiefpunkt. Erst ab 1934 ging es durch die Entwicklung moderner Bordinstrumente für die Luftfahrt wieder aufwärts, so daß in Potsdam (Düppelstraße) ein Zweigwerk errichtet werden konnte. Der Zweite Weltkrieg brachte wiederum viele Aufträge für militärische Zwecke. Die Kapazität der Firma reichte nicht mehr aus, Erweiterungen mußten vorgenommen werden.
     Während der Bombenangriffe auf Berlin mußten die Werkstätten mehrmals verlegt werden, und bei Kriegsende 1945 war die Firma R. Fuess fast am Ende.
Haupt- und Zweigwerk waren zerstört, die Einrichtungen demontiert. Da kaum Bedarf an wissenschaftlichen Geräten bestand, wurde ein Neuanfang mit der Herstellung von Gebrauchsgegenständen gewagt.
     Einen Aufschwung gab es ab 1950 durch Neuentwicklungen. Als einzige deutsche Firma entwickelten die Fuess'schen Werkstätten einen UV-Spektrographen; der Böenschreiber 90z wurde konstruiert. In den Folgejahren veränderte sich jedoch die technische Landschaft durch die enorme Entwicklung der Elektronik entscheidend. Die Firma R. Fuess, deren Stärke in der Mechanik lag, geriet zunehmend in Schwierigkeiten und mußte 1976 aufgeben. Die Gebäude in der Düntherstraße 8 in Steglitz wurden Ende 1976 abgerissen. Heute findet man unter dieser Adresse ein mehrgeschossiges Wohnhaus.

Bildquelle:
Archiv des Meteorologischen Instituts

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/1996
www.berlinische-monatsschrift.de