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Wolfgang Asche
Erste Teerfarben aus der Berliner Region

Der Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge (1794-1867)

Von dem bekannten Historiker Jakob Burkhardt stammt der Satz: »Nicht jede große Fähigkeit findet ihre Zeit, nicht jede große Zeit findet ihre fähigen Leute.« Ob auch Friedlieb Ferdinand Runge ein von seiner Zeit verkannter fähiger Kopf war, wurde Anfang 1994, als sich sein Geburtstag zum 200. Mal jährte, erneut diskutiert. Immerhin hatte der Chemiker seinerzeit in Oranienburg die ersten Teerfarben entdeckt.
     Runge war am 8. Februar 1794 als Sohn eines Pastors in Billwerder bei Hamburg zur Welt gekommen. Anläßlich der Gedenkfeierlichkeiten vor zwei Jahren passierten die Stationen in Runges Leben Revue: Nach einer Apothekerlehre in Lübeck begann er ein Studium, das ihn auch nach Jena führte. Den Spitznamen Dr. Gift handelte er sich ein, weil er alle möglichen Pflanzen auf ihre Inhaltsstoffe untersuchte. Im Bilsenkraut hatte er Atropin entdeckt und durfte dessen pupillenerweiternde Wirkung dem Staatsminister Johann Wolfgang Goethe an dessen Katze vorführen.


Friedlieb Ferdinand Runge

Der Dichterfürst war beeindruckt und schenkte dem »jungen Chimicus von Hamburg« ein paar Kaffeebohnen. Flugs isolierte Runge daraus den Wirkstoff Coffein. In Jena erwarb er den Titel Dr. med. et chirurg.
     Aus Thüringen zog es den jungen Runge 1820 an die Berliner Universität. Hier setzte er seine Studien der Pflanzenchemie fort und erwarb seinen zweiten Doktorhut mit einer Arbeit über den Farbstoff Indigo und dessen Verbindungen. Bald darauf wurde Runge Privatdozent und machte sich einen Namen durch allgemeinverständliche Vorlesungen vor großer Zuhörerschaft.

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Themen waren Pflanzenchemie und technische Chemie. In seiner freien Zeit machte er seine Junggesellenwohnung mit seinem Mitmieter und Freund, dem Chemiker Poggendorf, zu einem Labor. Die Spuren waren bald unübersehbar. Runge lernte eine Reihe bedeutender Geister seiner Zeit kennen. So war er befreundet mit Hoffmann von Fallersleben und Adelbert von Chamisso. Fallersleben war Universitätsbibliothekar in Breslau, und Runge folgte ihm im Jahre 1823.
     Nach einer Reise durch Frankreich, England und Holland wurde Runge Ende 1828 zum außerordentlichen Professor für technische Chemie an der Universität Breslau berufen. Aus dieser Zeit stammen Pionierarbeiten zur Chromatographie, einer heute fast unentbehrlichen Methode zur Zerlegung von Gemischen mehrerer chemischer Substanzen in die Bestandteile. Runge tropfte Farbgemische auf Papierblätter und beobachtete, wie sich bunte, oft bizarr anmutende Kleckse bildeten, wenn die einzelnen Farbbestandteile sich auf Grund verschiedener Wanderungsgeschwindigkeiten im Papier auseinanderzogen. Das Heimatmuseum beim Oranienburger Schloß hat einige dieser »Professorenkleckse« aufbewahrt.
     Nach den Lehr- und Wanderjahren trat Runge 1832 in die »chemische Produktenfabrik« seines Freundes Georg F. A. Hempel in Oranienburg ein.
Über 30 Jahre lebte er in dem Städtchen nördlich Berlins, und es gab vielfältige Beziehungen zur damaligen Hauptstadt Preußens. Zum Schicksal wurde Runge die »Königliche Seehandlung«, die damalige preußische Staatsbank, die die Firma, sie war in einem Seitenflügel des Oranienburger Schlosses untergebracht, nach dem Ableben Hempels verwaltete. Runge hatte in den 40er Jahren vorgeschlagen, eine Farbenproduktion in großem Maßstab aufzuziehen, stieß aber auf taube Ohren. Mehr Erfolg hatte Runge mit der Produktion von Paraffinkerzen und Kernseife. Die ihm gegebene Fähigkeit zur verständlichen Darstellung chemischer Sachverhalte konnte Runge nutzen, als er 1847 für den bayrischen König ein Lehrbuch verfaßte, das dann in 15 000 Exemplaren verbreitet wurde. Nach vielen Querelen mit der Seehandlung wurde Runge nach langen Jahren als technischer Leiter 1852 schließlich vor die Tür gesetzt. Die heutige »Stiftung Preußische Seehandlung« als Nachfolgerin der Seehandlung hat mittlerweile Frieden geschlossen und verleiht sogar den »Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung«.
     Runges visionäre Vorstellungen zur großtechnischen Farbenproduktion basierten auf Untersuchungen an Steinkohlenteer, der in der Oranienburger Fabrik aufgearbeitet wurde. Der Teer fiel als Restprodukt der Verkokung von Kohle zu Stadtgas in Berlin an und wurde auf Havelkähnen nach Oranienburg verschifft.
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Runge entdeckte u. a. Phenol und Anilin, zwei sich vom Benzol ableitende Verbindungen. Durch chemische Umsetzungen an Anilin synthetisierte er im Labor die ersten »Teerfarben«, die im Textil- oder Druckbereich eingesetzt werden konnten und Naturfarben überlegen waren.
     Am 27. März 1867 starb Friedlieb Ferdinand Runge. Vor seinem Tod hatte er in wirtschaftlich beengten Verhältnissen leben müssen. Er verdiente sich Geld mit der Wissensvermittlung im kleinen. Vielen Oranienburger Handwerkern und Gewerbetreibenden machte er »den Betrieb lohnender, die Arbeit leichter«. Färbereien, Fotografen, Töpfer, Maler und Klempner zogen Nutzen aus der Hilfsbereitschaft des bescheidenen Forschers. Warum Runge im Großen glücklos geblieben ist und beispielsweise bei den zukunftsträchtigen Teerfarben andere den Ruhm ernteten, mag den Umständen zugeschrieben werden. Es fehlten ihm wohl auch die Mitarbeiter, die seine vielen Ideen umsetzen konnten. Adolf W. von Hofmann, der Ende des 19. Jahrhunderts die Teerfarbenchemie in Deutschland zur Blüte brachte, hat gesagt: »Es läßt sich nicht verkennen, daß bei aller Begabung und Originalität etwas in der Komposition Runges gelegen haben muß, was ihn verhindert hat, ein wahrhaft bedeutender Mann zu werden, der auf den Fortschritt der Wissenschaft einen großen Einfluß ausgeübt hätte.«
     Wie »lebendig« Runge immer noch ist, zeigt Berthold Anft gerne: Bei der Umbettung auf den Städtischen Friedhof Oranienburg 1949, als die Rote Armee die alte Grabstätte einebnete, schnitt Anft sich eine Locke vom gut erhaltenen blonden Haupthaar des Farbenchemikers ab. Anft, später Rundfunkjournalist beim SFB, hat über Runges Leben promoviert. Sein Doktorvater war Paul Diepgen, Professor für Medizingeschichte, Gründer der heutigen medizingeschichtlichen Bibliothek der Humboldt-Universität.

Bildquelle:
Kreismuseum Oranienburg

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/1996
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