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von der dortigen Promotion zum Dr. phil.), um neuerlich in Berlin mit dem Lic. theol. abgeschlossen zu werden, Ordination in der Nikolaikirche. Das sind die Stichworte, die für die zumal Berliner Anfänge des biographischen Wegs von Otto Dibelius genannt werden müßten.
     Der an der Berliner Universität als Harnack-Schüler geltende junge Otto Dibelius (Agnes von Zahn-Harnack bestätigt dies in der Biographie ihres Vaters) konnte dann zunächst das Schleiermacher- Stipendium eines Auslandsstudiums wahrnehmen (er wählte Schottland und stellte seine dortigen Eindrücke in einem frühen Buch zusammen), ehe er Pfarrdienst in Crossen (1907), Danzig (1910) und Lauenburg/Pomm. (1911) versah. 1915 sehen wir Otto Dibelius wieder in Berlin, als Pfarrer an der Kirche zum Heilsbronnen. 1921 wird er im Nebenamt Oberkonsistorialrat im Evangelischen Oberkirchenrat, 1924 erfolgt seine Wahl zum Generalsuperintendenten der Kurmark, also dem nur nach kirchenrechtlich relevantem Kerngebiet der (1415 mit der Kürwürde versehenen) Mark Brandenburg (allerdings ohne Altmark und mit der jenseits der Oder gelegenen Neumark). Der neue Generalsuperintendent behält aber seinen Amtssitz in Berlin, geht also nicht nach Potsdam, wo normalerweise die kurmärkischen Generalsuperintendenten amtieren.
     In seiner frühen Entwicklung war dieser Mann der Kirche von jener gesellschaftli-
Günter Wirth
Ein Kirchenmann in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts

Zum 30. Todestag von Bischof Otto Dibelius

Wenn ich zum 30. Todestag von Otto Dibelius eine biographische Skizze vorlegen soll, kann ich dies nicht wertneutral als Beobachter der (Kirchen-) Geschichte tun; ich bin seit 1950 in die Auseinandersetzungen um den Berliner Bischof so sehr involviert, als daß ich von dem absehen könnte, was je mein zeitgenössisches Verhältnis zu Bischof Dibelius bestimmte. Vielleicht wird aber gerade in solch subjektiver Brechung des objektiven Wegs dieses bedeutenden Kirchenmannes dessen kirchengeschichtlicher Ort noch deutlicher und klarer fixiert werden können – eines Kirchenmannes, der mit nur zu gutem Recht von sich hätte sagen können: »Ich bin ein Berliner!« (Berliner Ehrenbürger, als erste führende Persönlichkeit der evangelischen Kirche, war er seit 1958 überdies.)
     Geburt (am 15. Mai 1880) im Osten Berlins, Besuch des Gymnasiums in Lichterfelde, theologische Studien zunächst an der Berliner Friedrich- Wilhelms- Universität, die dann in Gießen fortgesetzt wurden (gekrönt

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chen Ordnung und geistigen Atmosphäre geprägt, die von den Begriffen »altpreußisch« und »Thron und Altar« bestimmt sind, wobei allerdings das Altpreußische wie auf andere Weise die Liberalität seines Lehrers Harnack kritische Maßstäbe gegenüber manchen abenteuerlichen Zügen des Wilhelminischen setzten. Der spätere Titel seiner Erinnerungen, »Ein Christ ist immer im Dienst«, definiert das Altpreußische in seiner Lebenshaltung ebenso wie der spontane Eindruck, den man bei jeder Begegnung mit ihm hatte:
Das ist ein Herr!
     Was für Konsequenzen mußte es haben, daß sich ein Kirchenmann solcher Prägung, also durch Kontinuität und Stabilität altpreußischer Tradition, derart tiefgehenden Zäsuren in der geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland stellen mußte, wie sie von diesen Jahreszahlen markiert werden: 1918, 1933, 1945 bis 1949 und schließlich 1961.

I

Für den altpreußischen Kirchenmann Otto Dibelius (und dies ist ja nicht nur eine sozial-historische Bestimmung, sondern auch – mit Blick auf die seit 1817 bestehende Kirche der altpreußischen Union, der heutigen Evangelischen Kirche der Union, eine konfessionelle) war wahrscheinlich der Einschnitt von 1918 der tiefste: Einer seiner vielen theologischen und kirchenpolitischen

Gegner, der zugleich einer seiner Nachfolger (jedenfalls für Ost-Berlin und Brandenburg) wurde, Albrecht Schönherr, hat dies noch für sich und seine Generation (der dreißig Jahre nach Otto Dibelius geborenen) so herausgestellt – 1991, nach einer neuerlichen Zäsur, die Otto Dibelius nicht mehr erlebt, aber wohl immer ersehnt hat.
     In der Tat: Was mußte es für eine Revolution bedeuten – und gerade in diesem Kontext waren die Vorgänge von 1918/19 eine Revolution–, daß mit dem System Thron und Altar das Summepiskopat des Königs verschwand und an die Stelle des preußischen Königs als summus episcopus drei Minister in evangelicis traten, darunter zwei Sozialdemokraten. (Ganz abgesehen davon, daß – vom »Zehn-Gebote- Hoffmann«, dem seinerzeit populären, durch Kirchenkritik besonders auffälligen Politiker der USPD, inspiriert – zu den Arbeiter- und Soldatenräten gerade auch in Berlin zeitweilig »Kirchenräte« getreten waren).
     Otto Dibelius beteiligte sich an diesen Auseinandersetzungen in engagierter Weise, und zwar fungierte er übergemeindlich als Geschäftsführer eines vom Evangelischen Oberkirchenrat berufenen Vertrauensrates von 50 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der sich in die Neugestaltung des kirchlichen Lebens (neue Kirchenverfassung, Schulfragen) sowie in die Öffentlichkeitsarbeit einschaltete. Durch seine theologische Schulung, seine organisatorische
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Flexibilität und seinen Sinn für das Publizistische (er schrieb jahrelang eine regelmäßige Kolumne – »Wochenschau« – für das »Berliner evangelische Sonntagsblatt« und – »Sonntagsspiegel« – für den konservativen »Tag«) wurde Dibelius alsbald so bekannt, daß er in die (schon genannten) Leitungsämter berufen wurde (unter den 13 preußischen Generalsuperintendenten war er übrigens der jüngste). Allerdings: »Dibelius war als kirchlicher Kybernet diplomatisch genug, sein Verhältnis zur bürgerlichen Republik nicht so zu bestimmen wie mancher Pastor, an dessen Zimmerwand mit den Porträts von Bismarck und Wilhelm II. auch die Hoffnung auf die Wiederkehr der Monarchie in ihrem einstigen Glanz überdauerte.« (Kurt Nowak) In anderen Worten hieße das: Dibelius war zwar nicht das, was man einen »Vernunftrepublikaner« genannt hat, aber er stellte sich auf den Boden der Weimarer Verfassung und ordnete sich im politischen Kräftefeld an dessen rechtem Flügel, in der Nähe der Deutschnationalen, ein. Vor allem ging es ihm jedoch darum, unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen die Bedeutung der Kirche aufzuwerten. In seinem Buch »Das Jahrhundert der Kirche« (1927) bot er eine Programmschrift, die angesichts der für die Kirche retrograden Prozesse zu neuem Selbstbewußtsein (»Ecclesiam habemus!«) und missionarischem Impetus rief. Wie Dibelius in den innerdeutschen, auch innerkirchlichen Auseinandersetzungen der 20er Jahre zwar konservative Positionen vertrat, diese indes von extremen abgrenzte und auch soziale Probleme nicht unbeachtet ließ, so stand er im Gegensatz zu anderen konservativen protestantischen Kirchenführern der ökumenischen Bewegung nicht ablehnend gegenüber. Robert Stupperich, der Dibelius-Biograph, hat die tiefe freundschaftliche Verbundenheit von Otto Dibelius zu dem ökumenischen Pionier Erzbischof Nathan Söderblom nachweisen können, und auch die Schrift des kurmärkischen Generalsuperintendenten von 1930, »Friede auf Erden?«, müßte in diesem Kontext analysiert werden.
     Überblickt man das Wirken dieses Kirchenmannes bis 1933, wird freilich vor allem dies hervorzuheben sein: Er muß ein begnadeter Prediger gewesen sein, der mit solcher Verkündigung den von ihm erhobenen ekklesialen Anspruch verifizierte.

II

Auf den ersten Blick schien womöglich die Zäsur von 1933 für einen altpreußischen Kirchenmann, einen national orientierten, nicht so tiefgehend zu sein, zumal von den Nationalsozialisten in den Anfängen ihrer Machtausübung das Bündnis mit dem konservativen Preußentum demonstrativ herausgestellt werden sollte: 21. März 1933, Garnisonkirche, »Tag von Potsdam«. Doch gerade weil der kurmärkische Generalsu-

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perintendent ex officio vor und hinter den Kulissen mit diesem Ereignis zu tun hatte, bekam er einen frühen Einblick in das, was tatsächlich auf die evangelische Kirche, was auf das von den Nationalsozialisten mißbrauchte Preußische zukam: In der Potsdamer Nikolaikirche hatte Generalsuperintendent Otto Dibelius am 21. März 1933 den Gottesdienst für die evangelischen Reichstagsabgeordneten – in Anwesenheit des Reichspräsidenten – gehalten. Es ist dieser Vorgang oft genug – überdies fälschlich als Predigt in der Garnisonkirche behauptet – zum Gegenstand von Polemiken (auch von mir in den 50er Jahren in der »Neuen Zeit«) gemacht worden, nämlich dahingehend, daß sich Dibelius damit mit den Zielen des neuen Regimes vorbehaltlos identifiziert habe.
     Hierbei war zweierlei nicht zur Kenntnis genommen worden: einmal, daß Otto Dibelius in seiner Predigt nachdrücklich und zum Ärger einiger der neuen Herren das Rechtsstaatliche gegenüber dem Machtstaatlichen betont hatte, und zum anderen, daß er es gewesen war (man kann dies in einigen der damals noch nicht total gleichgeschalteten Zeitungen nachlesen), der für die Benutzung der Garnisonkirche allein zur feierlichen Eröffnung, nicht aber zu Verhandlungen des Reichstags, gravierende Bedingungen gestellt hatte, was dann dazu führte, daß die eigentlichen programmatischen Erklärungen dieses Tages nicht in
der Garnisonkirche, sondern erst am Abend in der Berliner Krolloper abgegeben werden konnten. Wir wissen aus den Lebenserinnerungen des kürzlich verstorbenen früheren Berliner Pfarrers Dr. Werner Koch, eines ehemaligen Häftlings im KZ Sachsenhausen, daß Dibelius damals sein Vorgehen mit Karl Barth, der ja ansonsten sein theologischer Gegner war, abgestimmt hatte.
     Daher war es dann auch kein Zufall, daß der kurmärkische Generalsuperintendent der erste war, der im Sommer 1933 in dem alsbald ausgebrochenen »Kirchenkampf« um die »Gleichschaltung« auch der evangelischen Kirche von dem von der NS-Regierung eingesetzten »Staatskommissar« August Jäger abgesetzt wurde. Nach einer halbjährigen Tätigkeit als Kurprediger sehen wir Dibelius in den Reihen der Bekennenden Kirche, also in der sich im Herbst 1933 herausbildenden kirchenpolitischen Oppositionsbewegung, die sich dann (von der Barmer Theologischen Erklärung, 1934, her) mit brüderrätlichen Organen als die »rechtmäßige« Deutsche Evangelische Kirche konstituierte.
Dibelius wurde Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Bruderrates in Berlin, 1936 Mitglied des Bruderrates. Die Ziele der BK verfocht er wiederum insbesondere als Prediger und als »Öffentlichkeitsarbeiter«, in einer allerdings eingegrenzten Öffentlichkeit. Von den Flugschriften, die er seinerzeit verfaßte, wurde besonders bekannt: »Die
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Staatskirche ist da!«. Kurz vor dessen Verhaftung konnte Dibelius 1937 mit Martin Niemöller das Buch mit dem bekannten Titel beschwörenden Charakters herausbringen: »Wir rufen Deutschland zu Gott«.
     Hatte Dibelius 1933 auf seine Entlassung durch Jäger mit einem offenen Brief an diesen reagiert, mit dem er zugleich die Pfarrer der Kurmark (und nicht nur sie) über die Lage zu informieren vermochte, so führte 1937 sein offener Brief an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten Hanns Kerrl zu einem Beleidigungsprozeß, in dem er bemerkenswerterweise (es sollte dies wohl das letzte Mal gewesen sein) freigesprochen wurde.
     Freilich wurde einerseits der Radius des Wirkens von Otto Dibelius immer enger: Ein Redeverbot verhinderte weitere erfolgreiche Vortragstätigkeit, und in seiner schriftstellerischen Arbeit mußte er sich auf theologische Themen im engeren Sinne konzentrieren (er tat dies etwa in seiner Trilogie »Bericht von Jesus aus Nazareth«). Besonders bemerkenswert war dann bereits während des Krieges sein Versuch, mit Hilfe von Lesepredigten die Gemeinden im »Warthegau«, wo schon damals die »Zukunft« der Kirche in einem siegreichen NS-Deutschland (ein Deutschland ohne Kirche) vorexerziert wurde, zu unterstützen. Andererseits erweiterte sich gerade während des Krieges, in dem Otto Dibelius zwei seiner Söhne verlor, der Radius seines Wirkens in
der Berliner Zentrale der BK insofern, als er, wegen seines Alters nicht eingezogen, einer der wenigen war, der für die Aufrechterhaltung des Dienstes, auch im kleinen, und für dessen Kontinuität sorgen konnte. Überdies erlaubte ihm diese Situation, seinerseits den Blick in die Zukunft der Kirche – nach der zu erwartenden Niederlage des Regimes – zu richten ...
      Die Fortsetzung dieses Beitrages erscheint in Heft 2/1997.

Literatur:
–      Otto Dibelius: Ein Christ ist immer im Dienst, Stuttgart 1961
–      Robert Stupperich: Otto Dibelius. Ein evangelischer Bischof im Umbruch der Zeit, Berlin 1970
–      Robert Stupperich: Otto Dibelius, In: Gerd Heinrich (Hrsg.), Berlinische Lebensbilder. Theologen, Berlin 1960
–      Günter Wirth (Hrsg.): Beiträge zur Berliner Kirchengeschichte, Berlin 1987 (dort u. a. die Beiträge von Kurt Nowak, Hartmut Ludwig und Christian Stappenbeck)
–      Friedrich Bartsch u. a. (Hrsg.): Die Stunde der Kirche. Eine Festschrift für Bischof Otto Dibelius, Berlin 1950
–      Gerhard Besier: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993

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