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materiell und ideell erleiden mußte, das Quellenmaterial zur historischen Topographie wesentlich breiter ist, als allgemein angenommen wird.
     Nennen will ich hier vor allem Ernst Fidicin, insbesondere sein Werk »Berlin historisch und topographisch dargestellt«. Er hat mit dieser Darstellung und ihrer Materialfülle Maßstäbe gesetzt und gleichzeitig eine unverzichtbare Quellensammlung vorgelegt. Seinen Erkenntnissen zur Topographie von Orten etwas zuschreiben zu können, ist für jeden Historiker gleichzeitig ein großer Ansporn. Sehr stark beeindruckt hat mich auch die Publikation von Gandert über die Bewirtschaftung kommunaler Gartenanlagen, die, obgleich »nur« gartenhistorischen und architektonischen Aspekten gewidmet, eine Fülle von Materialien zu einem breiten Spektrum der Geschichte Berlins enthält.

     Zu den oben erwähnten Ausnahmen gehört Ihr Beitrag »Die Provinz Brandenburg in der NS-Zeit (1933 bis 1945)« in der vom Akademie- Verlag herausgegebenen »Brandenburgischen Geschichte«. Ein Blick auf Ihre wissenschaftliche Entwicklung zeigt, daß die NS-Zeit durchaus einen gewichtigen Platz in Ihrer Forschungstätigkeit einnahm.
     Laurenz Demps: Diese Zeit war und ist für mich ein wichtiges Arbeitsfeld. Ich habe 1971 promoviert über die Konzentrationslager in der Schlußphase des Zweiten Weltkrieges. Meine Habilitationsschrift hatte die Entstehung der Gestapo in Berlin zum In-


Pfade in der Geschichte der Stadt legen

Der Historiker Laurenz Demps über seine Arbeit

Den an Berlin Interessierten sind Sie schon lange kein Unbekannter mehr. Seit den 80er Jahren publizieren Sie zur Geschichte der deutschen Hauptstadt. 1987 erschien »Der Gendarmenmarkt«, ihm folgten dann nahezu Jahr auf Jahr recht bemerkenswerte, meist großzügig ausgestattete Bücher, wie »Die Neue Wache« (1988), »Das Brandenburger Tor« (1990), »Der Schlesische Bahnhof« (1991), »Der Schiffbauerdamm« (1993), »Der Pariser Platz« (1995). Im vorigen Jahr »Die Wilhelmstraße« und »Der Invalidenfriedhof«. Die Titel machen aufmerksam darauf, daß Sie sich der Stadtgeschichte, der preußischen und deutschen Geschichte in und um Berlin, bis auf Ausnahmen, über die Topographie nähern. Warum dieser Weg der Erforschung und Darstellung?
     Laurenz Demps: Mich hat immer fasziniert, die Stadtgeschichte über den Genius loci zu erschließen, d. h., daß man einen Ort in allen Schichten von unten nach oben untersucht, sich auch eng an diesen Ort – sei es ein Platz, eine Straße oder ein Gebäude – hält, das Material hierzu erkundet. Dabei stellt der Historiker fest, daß trotz der Verluste, die Berlin in diesem Jahrhundert

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halt. Sie ist sekretiert worden. Die Gründe sind mir nie genannt worden. Die Nazizeit beschäftigt mich weiterhin. Zur Zeit sammle ich Material über Zwangsarbeiter- und Konzentrationslager in Berlin. Ein Bereich, der interessanterweise für Berlin bisher kaum erkundet wurde. Dies gilt auch für mein Vorhaben, die Luftangriffe auf Berlin zu dokumentieren. Es soll kein militärstrategisches Buch sein, davon gibt es genug, sondern die Wirkung der Luftangriffe auf Berlin und seine Bevölkerung dokumentieren. Von welcher Seite man die Zeit der NS-Diktatur auch beleuchtet, sie ist der tiefste Bruch in der Stadtgeschichte, die Verluste und Folgen erheblich und unersetzbar. Sie reichen vom Ende des liberalen Geistes in der Berliner Bevölkerung über die Vertreibung und Vernichtung eines ganzen Bevölkerungskreises bis hin zur Vernichtung der Historizität der Stadt mit Wirkung über die Zeit nach 1945 hinaus.

     Sie sind Jahrgang 1940, studierten an der Berliner Humboldt- Universität Geschichte und Kunstgeschichte. Sie promovierten und habilitierten sich mit Themen, die zwar Aspekte der Berliner Geschichte zum Inhalt hatten, jedoch keinesfalls zwangsläufig den Weg zum Chronisten der Berliner Stadtgeschichte wiesen. Wann und warum entschieden Sie sich dafür?
     Laurenz Demps: Berlin war für mich seit meiner frühesten Jugend ein höchst interessanter Gegenstand. Als mein Vater aus dem Krieg nach Hause kam, sind wir viel durch

die zerstörte Stadt gewandert. Er weckte in mir die Neugierde auf das Berlin, wie es vor dem Zweiten Weltkrieg existierte, und zog mich hinein in die vielfältigen Diskussionen über das Berlin der Nachkriegszeit. Während meiner Lehre bei der Berliner Reichsbahn lernte ich dann die Stadt aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen: den riesigen komplizierten Mechanismus eines historisch gewachsenen Verkehrsystems einer Großstadt. Hinzu kam das besondere Erlebnis, das einem die Reichsbahn als Berliner Gesamtbetrieb in der ansonsten geteilten Stadt verschaffen konnte. So war ich als Ostberliner als Aufsicht auf dem Bahnhof Westkreuz tätig.
     Auch während meines Studiums ließ mich Berlin nicht los. Im Fach Kunstgeschichte war Berlin ebenso das Thema einer Reihe von Seminarreferaten wie meiner Abschlußarbeit. Die endgültige Weichenstellung für meine wissenschaftliche Arbeit fiel in eine Zeit, als in der DDR ein langsames Umdenken im Erbe- und Tradtionsverständnis begann. Vor dem Hintergrund der damit im Zusammenhang stehenden Diskussionen fiel die Entscheidung, an der Universität endlich wieder Landesgeschichte zu lehren. Als ich nach der Habilitation das Angebot bekam, mich dem neu gegründeten Lehrstuhl, den Professor Materna eingerichtet hatte, anzuschließen, nahm ich mit Freuden an.

     Vor dem Hintergrund der Teilung der Stadt und des Kalten Krieges war Stadtgeschichts-

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schreibung mit ideologischen Vorgaben und Vorurteilen auf beiden Seiten verknüpft, wobei die wissenschaftliche Arbeit in Ost-Berlin in weit stärkerem Maße beeinflußt war. Was von Ihrer Forschung hat nach dem Fall der Mauer Bestand?
     Laurenz Demps: Die Frage nach dem, was bleibt, war vor 1989 in etwa identisch mit der Frage, was hat Geltung in Ost und West. 1977 habe ich im Jahrbuch des Märkischen Museums eine Gesamtübersicht über die Luftangriffe auf Berlin publiziert. Sie wird heute noch zitiert, weil es immer noch die einzige ist und sie den damaligen Forschungsstand adäquat widerspiegelte.
     Sich mit seinen wissenschaftlichen Arbeitsergebnissen zur Zeit der Teilung durchzusetzen bzw. sie öffentlich zu machen, war natürlich mit vielen Schwierigkeiten und Diskussionen verbunden. Als ich 1986 meine Übersicht über die Zwangsarbeiterlager in Berlin publizierte, wurde mir in der DDR indirekt der Vorwurf gemacht, hier eine Gesamtberliner Verantwortlichkeit in den Vordergrund zu stellen, ohne zu differenzieren. Dagegen wurde uns Anfang der 80er Jahre zu unserem Buch »Berlin wird Weltstadt« von Westberliner Rezensenten der Vorwurf gemacht, wir hätten Gesamt- Berlin zu wenig betrachtet, weil nur 30 Prozent der Abbildungen dem Westteil der Stadt entstammten. Dabei wurde sowohl vergessen, daß es zur Jahrhundertwende kein West-Berlin gab, als auch die Tatsache, daß die
kulturhistorisch bedeutsamsten Ansichten sich nun mal im historisch gewachsenen Zentrum der Stadt häuften, das nach der Teilung der Stadt zum Ostteil gehörte.
     Je weiter eine Sache zurücklag, um so unkomplizierter konnte man mit ihr umgehen. Das war für die Ereignisse des 20. Jahrhunderts schon weitaus schwieriger. Ich denke dabei auch an den von mir verfaßten Abschnitt über Berlin in der Nazizeit in der »Geschichte Berlins von den Anfängen bis 1945«. Die unzulängliche Quellenlage und die zwingenden ideologischen Vorgaben haben hier kein Ruhmesblatt Berliner Geschichtsschreibung entstehen lassen. Trotzdem glaube ich, daß viel von dem, was DDR- Historiker erkundet, dokumentiert und publiziert haben, bleiben wird. Ich denke dabei an solche herausragenden Arbeiten wie die von Kurt Wernicke über die Revolution von 1848/49 oder an das, was Goralczyk über den Gendarmenmarkt geschrieben hat.

     Gleichwohl scheint mir ein Blick auf die Liste Ihrer Publikationen und die anderer Ostberliner Historiker, die Topographie der Stadt betreffend, die Vermutung zu bestätigen, daß manche Orte erst mit dem Fall der Mauer wissenschaftlich erkundbar und ohne ideologische Vorbehalte publizierbar waren.
     Laurenz Demps: Hier muß ich mit einem »Jein« antworten. Für mich war das Gelände der Topographie des Terrors, also das Gestapogelände, immer ein Ort der Berliner Geschichte und der deutschen Geschichte,

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den ich in meiner Habilitationsschrift über die Entstehung der Gestapo in Berlin ausführlich behandelt habe. Andere Sachen dagegen gingen nicht, z. B. Publikationen über Spandau oder Charlottenburg.

     Glauben Sie, daß Ihre Arbeiten über die »Wilhelmstraße« und den »Invalidenfriedhof« in der DDR gefördert und publiziert worden wären?
     Laurenz Demps: Nein, natürlich nicht. Ich habe zwar 1988 mit der Materialsammlung zur Wilhelmstraße begonnen, mir aber über die Ergebnisform zu diesem Zeitpunkt noch keine Gedanken gemacht.

     Wie sieht es denn in der Werkstatt des Chronisten der Berliner Geschichte aus?
     Laurenz Demps: Gegenwärtig beschäftige ich mich unter anderem mit der Oranienburger Straße. Ich bin fertig mit der Materialsuche und hoffe, dieses Jahr die Ergebnisse publizieren zu können. Bei der Suche bin ich auf Material zu einem mich seit langem bewegenden Thema gestoßen: auf die Freihäuser, von denen auch die Geschichte der Oranienburger Straße erzählt. Daneben fällt wiederum Material zu anderen Objekten an, so zum Beispiel zu militärischen Bildungsanstalten. Dazu muß man wissen, daß zu vielen interessanten Themen Akten und andere Archivalien verschwunden sind. Also gilt es, über Zweit- und Drittschriften Pfade in die Geschichte der Stadt zu legen. Dabei trifft man wiederum auf Schätze, die zu neuen Themen und zu neuer Sammelleiden-

schaft anregen. Ist die Sammlung für ein Thema in etwa abgeschlossen und das Material geordnet, dann arbeite ich konzentriert und in einem Zug an der Publikation. Aber es treten auch Verlage an mich heran und schlagen interessante Projekte vor.

     Sie gehören zu den Wissenschaftlern, die sich aktiv in Politik einmischen, zumindest galt dies für die Vergangenheit. Sie waren Mitglied der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung. Welche Erfahrungen konnten Sie sammeln und welche Ihrer Vorstellungen erwiesen sich als Illusionen?
     Laurenz Demps: Ich war der Meinung, daß man sich auch als Historiker einmischen muß, zumal wenn einem auch die Gegenwart und Zukunft der Stadt am Herzen liegen, deren Geschichte man erforscht und dokumentiert. Manchmal gelang es auch, einiges zu bewegen. Noch heute bin ich stolz darauf, daß der Beschluß zum Wiederaufbau der Nikolaikirche meiner Feder entstammt.
     Bereits in den 70er und 80er Jahren wurden in kleinen Gruppen Ideen zur Stadtentwicklung und Bewahrung der Geschichte ausgetauscht und Konzepte entwickelt. Ich war damals Mitglied einer sehr aktiven Gruppe, der der leider inzwischen verstorbene Heinz Mehlan, der Direktor des Märkischen Museums, Herbert Hampe und der Inspektor für Denkmalpflege, Peter Goralczyk angehörten. Die Vorstellung, tatsächlich Einfluß nehmen zu können, erwies sich jedoch als Illusion. Trotzdem möchte ich die Zeit

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meiner Mitgliedschaft in der Stadtverordnetenversammlung – ich war Mandatsträger des Kulturbundes der DDR – während der Jahre 1989 und 1990 nicht missen. Es war eine interessante und spannende Zeit meines Lebens.
     Am 3. November 1989 habe ich zum ersten Mal in der Stadtverordnetenversammlung gesprochen und den Vorschlag unterbreitet, Magistrat und Stadtverordnetenversammlung zu trennen, d. h. auch für Ost-Berlin die Gewaltenteilung durchzusetzen, was dann so beschlossen wurde. Es war die Zeit des Aufbruchs, die Zeit der Straße, die Zeit der öffentlichen Anteilnahme an den Diskussionen um die Geschichte und Perspektiven der Stadt und Deutschlands. Ich glaube, daß ich einiges für meine Arbeit als Historiker in dieser Zeit gelernt habe.

     Sie sind nicht nur für die Verlage, Buchhändler und Leser ein vielbegehrter Autor. Für viele Berliner und Besucher sind Sie auch ein kenntnisreicher Führer durch die Stadt, der häufig auf Straßen, Plätzen, in historischen Gebäuden und auf Friedhöfen anzutreffen ist. Warum nehmen Sie sich diese Zeit?
     Laurenz Demps: Zwei Gründe sind es vor allem: Zum einen die Möglichkeit, die Stadt Lehrern, Wissenschaftlern, Publizisten, Berlin- Kennern und Politikern vorzustellen, die als Multiplikatoren bei der Vermittlung von Kenntnissen wirken bzw. Ideen zur Stadtentwicklung befördern und durchsetzen können. Zum anderen ist es für mich selbstver-

ständlich, daß ich die Hörer meiner Vorlesungen auch an die Orte der Stadt begleite. Außerdem ist das auch für meine Arbeit sehr nützlich. Man ist gezwungen, den breiten Materialhorizont, den man sich erarbeitet hat und der keinen interessiert, anschaulich zusammenzuziehen und einprägsame Wertungen zu bringen. Das hilft beim Schreiben der Bücher, denn es besteht immer die Gefahr, daß man sich in Nebensätzen in den Orkus der Geschichte schreibt.

     Durch die Geschichte einer Stadt zu führen setzt voraus, daß an diesen Orten die Stadtgeschichte Spuren hinterlassen hat. Mit Ihrem Buch von der Wilhelmstraße haben Sie das Wagnis unternommen, einen Handlungsort zu beschreiben, der verschwunden ist. Wie waren die Reaktionen?
     Laurenz Demps: Wir sind als Historiker zu solchen Rekonstruktionen gezwungen. Eine derart totale Rekonstruktion wie die der Wilhelmstraße kann man, so glaube ich zumindest, allerdings nur einmal machen. Die Wilhelmstraße ist ein Straßenraum, an den es ja noch Erinnerungen bei den Älteren, Postkarten und Fotos gibt. Die Reaktionen auf das Buch waren unterschiedlich. Dankbarkeit bei der Generation, die älter ist als ich, an Handlungsräume erinnert zu werden, die sie selbst noch durchschritten bzw. erlebt und gekannt hatten. Vorbehalte dagegen mehr bei jungen Leuten, für die über den ausschließlichen Weg einer Rekonstruktion Geschichte nicht mehr greifbar ist.

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Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört, so verkündete Willy Brandt es hoffnungsvoll nach dem Fall der Mauer. Wie ist das unter Berlins Historikern?
     Laurenz Demps: Es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn man kannte sich bereits aus der Literatur, arbeitete an einem gemeinsamen Thema und bezog sich aufeinander. Letzteres ergab sich aus dem unterschiedlichen Zugang zu den Archiven. Persönlich lernte ich Kollegen Ribbe im Dezember 1989 bei einer Diskussionsrunde im RIAS kennen. Natürlich wurde über gemeinsame und unterschiedliche Sichtweisen, z. B. anläßlich 750 Jahre Berlin, diskutiert und vieles geklärt, Verständnis für einander und die jeweiligen Arbeitsbedingungen gewonnen. Für das Zusammenwachsen der Chronisten des nun wieder vereinten Berlins steht die gerade veröffentlichte »Brandenburgische Geschichte«, die zur Hälfte von Ost und Westberliner Autoren erarbeitet wurde. Natürlich gab es darauf Reaktionen in der Öffentlichkeit, manch skeptische darunter, aber die positiven Bewertungen überwiegen. Es ist ja keinesfalls zum Nachteil der Stadt, wenn die Kapazitäten zusammengefaßt werden.

     Sie gehören zu den Professoren der Humboldt- Universität, die nach der Wende, wie es so schön heißt, positiv evaluiert wurden. Wie vollzog sich das für Sie?

     Laurenz Demps: Der Beginn dieser Aktion war recht freundlich und voller Erstaunen seitens der westdeutschen Kollegen. Viele von ihnen haben bis zum Fall der Mauer kaum unsere Arbeiten zur Kenntnis genommen. Sie waren daher nicht selten über die hohe Qualität dessen erstaunt, was ostdeutsche Historiker erforscht und publiziert hatten. Es wurde etwa ein Drittel der Kollegen positiv evaluiert.
     Nachdem ich also nach bundesrepublikanischem Recht berufungsfähig geworden war, bewarb ich mich für die ausgeschriebene Stelle Landesgeschichte. Zu einem ersten Platz hatte es allerdings nicht gereicht. Dann kam das Hochschul- Überleitungsgesetz, und die Personalkommissionen mußten entscheiden, ob jemand weiter beschäftigt wird oder nicht. Nicht wenige Kollegen sprachen sich für mich aus, andere waren der Meinung, ich sei auf Grund meines Mandats als Ostberliner Stadtverordneter und Kulturbundfunktionär zu verstrickt mit dem alten Regime gewesen.
     Die Auseinandersetzung darüber endete mit einem Kompromiß, wonach ich für zweieinhalb Jahre weiterbeschäftigt werden sollte. Diesen Kompromiß nahm ich nicht an. Vor dem Arbeitsgericht erwirkte ich dann eine Verlängerung meiner Tätigkeit an der Universität bis zum 30. Juni 1999. Ich bin dann der Ostdeutsche, der in diesem Bereich das Licht ausmacht. Einfach war dies alles nicht, es zerrte und zerrt an den Nerven,
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und es tröstet einen nur bedingt der Gedanke, daß es anderen weitaus schlechter ging und geht. Was hilft, ist die Arbeit.

     Mit wieviel Mitarbeitern und Studenten arbeiten Sie gegenwärtig und was sind die Inhalte Ihrer Projekte?
     Laurenz Demps: Ich bin Einzelkämpfer und fühle mich dabei sehr wohl. Die Studenten kommen in die Seminare und Vorlesungen, werden von mir betreut. Ich habe vergangenes Jahr 17 Magisterarbeiten als Erst- oder Zweitgutachter gehabt, mehr als zu DDR-Zeiten. Und ich nutze natürlich die Möglichkeit, die Studenten und mich gleichermaßen interessierende Themen anzugehen. Zur Zeit führe ich gerade ein Hauptseminar über das Berliner Vereinsleben durch, das außergewöhnlich gut besucht ist und in dem lebendig diskutiert wird. Eine Vorlesungsreihe hat die bisherigen Standorte von Parlaments- und Regierungsbauten in Berlin zum Inhalt. Die wachsende Resonanz auch der nicht studentischen Öffentlichkeit auf diese und andere Themen erfüllt mich durchaus mit Freude und einem ganz kleinen Stolz.

     An zwei Universitäten Berlins wird Berliner Stadtgeschichte betrieben. Was die einen als glücklichen Umstand betrachten, bedeutet für andere die Aufforderung zur Reduzierung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Einschränkungen, von denen die Historische Kommission betroffen ist. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

     Laurenz Demps: Mit großer Sorge. In absehbarer Zeit scheiden altersbedingt Professor Materna von der Humboldt-Uni und Professor Heinrich von der Freien Universität aus, so daß die Zahl der Professoren, die Stadtgeschichte betreiben, immer geringer wird. Mit den Kürzungen bei der Historischen Kommission ist die Zahl der bestallten Historiker ebenfalls reduziert worden. Übersehen wird bei diesen Entscheidungen, daß zu den Attraktivitäten der deutschen Hauptstadt deren Stadtgeschichte, die Zeugnisse Berliner Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsentwicklung, die Berliner Museen usw. gehören. Und eine Stadt, die es verdammt nötig hat, den Tourismus als wirtschaftliches Standbein auszubauen, kann auf die Förderung der akademisch betriebenen Stadtgeschichte eigentlich nicht verzichten.

     Zu den berufsbedingten Eigenschaften eines Historikers gehört, daß er auch träumen kann. Wovon träumen Sie?
     Laurenz Demps: Ich möchte noch eine Reihe von Büchern schreiben. An erster Stelle steht hier die schon erwähnte Publikation über die Luftangriffe auf Berlin. Das Landesarchiv Berlin hat schon Interesse und Unterstützung signalisiert. Weitere drei bis vier Bücher – über die Oranienburger Straße, den Führer über den Invalidenfriedhof, über den Werder und die militärischen Bildungsanstalten in Berlin – sollen es noch bis zur Rente werden.

Das Gespräch führte Hans-Jürgen Mende

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