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teile, die voller Hochachtung von der Leistung dieses Mannes sprechen. Er gehörte auf jeden Fall zum Kreis jener Berliner Aufklärer, die es ernst meinten mit dem Durchsetzen von Vernunft und Toleranz. Auch wenn er nicht zum Kern der Mittwochsgesellschaft (Siehe BM 6/1993, 10/1994) zählte – jener Gruppe von Beamten, Theologen, Ärzten und Wissenschaftlern, die sich regelmäßig trafen und sich mit der »Berlinischen Monatsschrift« ihr eigenes Organ geschaffen hatten –, so war seine Wirksamkeit doch bedeutend, gerade auch über die Grenzen Berlins und Deutschlands hinaus.
     Johann Heinrich Samuel Formey wurde am 31. Mai 1711 in Berlin geboren. Er gehörte der französischen Kolonie Berlins an und hat sich zeitlebens für den Erhalt des Geistes und der Sprache der Hugenotten in Berlin eingesetzt. Das hatte zur Folge, daß er die deutsche Sprache wie eine tote Sprache erlernte und sie nie vollständig beherrschte. Deshalb schrieb er grundsätzlich alle seine Schriften, seine ganze Korrespondenz in französisch. Als sich zum Beispiel der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) an Formey wandte, um zu erfragen, ob eine von ihm an die Berliner Akademie eingereichte Preisschrift dort auch gedruckt werde, antwortete Formey prompt – in französisch.
     Nach seiner Ausbildung als Theologe und einer kurzen Tätigkeit als Prediger über-
Walter Unze
Polyhistor oder Vielschreiber?

Johann Heinrich Samuel Formey (1711–1797)

»Dieser durch seine Polyhistorie, seine beispiellose schriftstellerische Fruchtbarkeit und durch die langjährige Führung der äußeren Geschäfte der Akademie der Wissenschaften bekannte Mann hat trotz seiner wissenschaftlichen Oberflächlichkeit, trotz der besonders im hohen Alter sich unangenehm äußernden Eitelkeit doch auch mancher guter und liebenswürdiger Eigenschaften nicht entbehrt«, schrieb Wilhelm Erman (1850–1932) über Formey, als er sich mit der Biographie seines Urgroßvaters Jean Pierre Erman (1735–1814) beschäftigte, der wie Formey Direktor am Französischen Gymnasium zu Berlin war. Und der Philosoph Eduard Spranger (1882–1963) nennt Formey in seinen Berliner Betrachtungen »einen heute vergessenen Vielschreiber«. Mit solchen Einschätzungen kann man keinen Staat machen. Vielleicht sollten wir den 200. Todestag des Johann Heinrich Samuel Formey, der sich selbst immer Jean Henri Samuel nannte, gar nicht beachten?
     Bei genauerem Hinsehen entdeckt man jedoch in der Literatur auch ganz andere Ur-

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nahm Formey 1737 eine Lehrerstelle und die Direktion am Französischen Gymnasium zu Berlin. Als er zwei Jahre später zum Professor für Philosophie am Gymnasium ernannt wurde, gab er die Direktorenstelle auf. Das Französische Gymnasium befand sich mit anderen Einrichtungen der französischen Kolonie in der Niederlagstraße. 1944 wurde es ausgebombt. Aus der inneren Struktur der Schule ergab sich, daß die Philosophie- Professur für Formey bedeutsamer war als die Stellung des Prinzipals, des Direktors. Christian Velder schreibt in seiner Veröffentlichung »300 Jahre Französisches Gymnasium Berlin« (Berlin 1989): »Die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts der Schulgeschichte kann als Epoche Formeys bezeichnet werden. In Formey besaß die Schule auf ihrem höchsten Lehrstuhl eine internationale Berühmtheit, einen Mann, dessen Wort in der wissenschaftlichen Welt Gewicht hatte. Seine Stellung in der Akademie und die Unterstützung durch seine Kollegen machte Berlin in der Polemik mit den französischen Aufklärern zu einem Brennpunkt der intellektuellen Diskussion im 18. Jahrhundert, ließ den geistigen Spannungsbogen Berlin – Paris zum ersten Mal augenfällig in Erscheinung treten.«
     Das klingt doch schon ganz anders als die eingangs zitierten mehr abfälligen Bemerkungen zu Formey. Und tatsächlich machte der junge Philosophieprofessor, der seine Wohnung in der Behrenstraße hatte, eine
steile und lang anhaltende Karriere. Pierre- Louis Maupertuis (1698–1759), seit 1741 Präsident der Akademie der Wissenschaften, bezog ihn in die akademische Arbeit ein. 1744 wurde er Mitglied der Akademie, 1746 Sekretar der philosophischen Klasse, 1788 schließlich Direktor der philosophischen Klasse. König Friedrich II. (1712–1786; Kg. 1740) ernannte ihn zusätzlich zum Historiographen der Akademie. Seine für die Arbeit der Akademie wichtigste Funktion übte er seit 1748 als Secretarius perpetuus, als beständiger Sekretar, bis zu seinem Tod aus.
     Formey war in seinen Ansichten ein Anhänger der Philosophie von Christian Wolff (1679–1754), was in umfänglichen Arbeiten – »La belle Wolfienne« (1741–1753) – seinen Niederschlag fand. Durch ihn wurde die Wolffsche Philosophie in Frankreich bekannt. Er war jedoch auch ein Wortführer der Leibniz- Wolffschen Denkschule in der Auseinandersetzung mit Anhängern Isaac Newtons (1643–1721) an der Berliner Akademie. Er studierte die englische und französische Philosophie und setzte sich kritisch mit den Ansichten von Denis Diderot (1713–1748) und Jean- Jacques Rousseau (1712–1778) auseinander. Davon zeugen solche Arbeiten wie »Le philosophie chretien« (vier Bände zwischen 1750 und 1756), »Anti-Emile« (1763) und »Emile chretien« (1764). Seine kritische Haltung gegenüber den französischen Aufklärern hinderte ihn jedoch nicht daran,
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rund 1 800 Textseiten für die große französische Enzyklopädie zu schreiben. Offensichtlich hatte er zeitweise sogar den Plan, eine eigene Enzyklopädie herauszugeben. In einem Brief von Voltaire (1694–1778) aus dem Jahre 1756 wird darauf Bezug genommen und davor gewarnt: »Die große Zahl der Gelehrten, die an der Enzyklopädie arbeiten, wird gegen ihn aufstehen. Sie werden dazu um so mehr berechtigt sein, als er selbst zu Anfang sich ihnen anschloß und sich erbot, ihnen bei verschiedenen Artikeln zur Philosophie zu helfen. Er schickte seine Artikel ein, sie wurden ihm fürstlich bezahlt und wenig benutzt ...«
     In den Arbeiten von Formey spielten Probleme der Moral und der Religionsphilosophie eine bevorzugte Rolle. Die Moral dient nach seiner Ansicht zum Glücksgewinn, was er über die Erziehung zur Tugend erreichen wollte. Dabei schloß er sich dem Optimismus an, wie er von Gottfried Wilhelm Leibniz (1645–1716) gelehrt wurde. Er propagierte eine natürliche Religion, in der die Grundsätze des Glaubens wie das Dasein Gottes oder die Unsterblichkeit der Seele allein durch die Vernunft zu beweisen seien. Er knüpfte an den berühmten Satz des französischen Philosophen René Descartes (1596–1650) »Ich denke, also bin ich« die Schlußfolgerung »Ich bin, folglich ist ein Gott«.
     Formey hat tatsächlich eine Vielzahl von Schriften – von Artikeln über Predigten bis zu mehrbändigen Abhandlungen – verfaßt.
»Wenn ich ein Buch lese«, soll er einmal geäußert haben, »so denke ich nach, wie ich bei gelegner Zeit über denselben Gegenstand ein anderes machen kann.« Seine etwa 600 Titel bilden so eine eigene Bibliothek, die sich der produktive Philosoph geschrieben hat. Hinzu kommt ein Briefwechsel, wie es ihn selten in dieser Dimension gibt: Etwa 40 000 Briefe sind nachgewiesen. Außerdem gab er mehrere Zeitschriften mit internationaler Wirkung heraus, so »Journal littéraire d'Allemagne«, »Bibliothèque critique« und »Annales typographiques germaniques«. Seine Nekrologe über Mitglieder der Akademie bilden bis heute wichtige Quellen der Wissenschaftsgeschichte.
     Der namhafte Romanist Werner Krauss (1900–1976) hat in seinen »Studien zur deutschen und französischen Aufklärung« (1963) mehrfach auf die besondere Rolle Formeys hingewiesen: als Mittler nach Frankreich hin und als einflußreicher Gelehrter der Berliner Akademie, der den Kontakt gerade mit den Repräsentanten der deutschen Aufklärung pflegte. Für sein wissenschaftliches Engagement wurde Formey vielfach geehrt, er gehörte einer Reihe internationaler Gesellschaften an, war Mitglied der Petersburger und der Londoner Akademie der Wissenschaften. Vielleicht sollten wir ihn heute doch weniger als Vielschreiber vergessen, denn als Polyhistor zum 200. Todestag ehren. Johann Heinrich Samuel Formey starb am 8. März 1797 in Berlin.
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© Edition Luisenstadt, 1997
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