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fragte Zeitzeugen zu stützen, hat leider auch zu
einer merklichen Lücke im Text geführt. Wird
uns in den ersten Kapiteln die Geschichte des
Standortes Pariser Platz und die Familiengeschichte der
Adlons geschildert, lesen wir dabei z. B., daß Lorenz
Adlon schon um 1880 ein exklusives
Feinschmeckerlokal Unter den Linden einrichtete, und werden wir
dank ausführlich zitierter »Vossischer Zeitung« Zeuge
der von kaiserlicher Anwesenheit geweihten Adlon- Eröffnungsfeier vom 26. Oktober 1907, so
müssen wir gleich danach glücklicherweise nur im Text
einen Zeitsprung von über einem Dutzend
Jahren hinnehmen. Die glanzvollen Vorkriegsjahre wie
die etwas glanzloseren des Ersten Weltkrieges
bleiben, was die Hotelgeschichte betrifft, so gut wie ausgespart. Sicher gibt es dafür keine lebenden
Zeitzeugen mehr. Aber hätten es nicht auch
Archivunterlagen oder zumindestens Presseberichte getan?
So wird das alte Adlon textlich leider erst ab den 20er Jahren lebendig. Wobei Louis Adlon, der nach dem Tode seines Vaters Lorenz im April 1921 das Hotel übernommen hatte und wie dieser kaiserlich-konservativ war, die neue Republik offenbar nicht so recht liebte. Schon gar nicht ihre auf die Revolution von 1848 zurückgehende Fahne schwarzrotgold. Jedenfalls ließ er, wie im Buch geschildert wird, bei entsprechenden Anlässen lieber die schwarzweißrote Fahne des Kaiserreiches hissen (die diente der Republik allerdings noch als »Handelsflagge«), weshalb es beim Besuch des New Yorker Oberbürgermeisters in Berlin, der natürlich im Adlon abgestiegen war, zu einem handfesten Skandal kam. Als offenbar ältester heute noch lebender Zeitzeuge kommt übrigens Alfred Bischof zu Wort, der 1926 als 15jähriger Page im Adlon wurde und dort Josephine Baker, Hans Albers und Edgar Wallace begegnete. Paul Hetzer, ebenfalls zuerst Page, dann Kellner, erinnert sich an zehnstündige Festsoupés mit 74 Gängen sowie an den Besuch des Maharadscha von Patalia mit seinen zahlreichen Lieblingsfrauen. Zu Wort kommt auch Sybille von | |||||||
Laurenz Demps/ Carl-Ludwig Paeschke
Das Hotel Adlon Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1997 Nach dem Mitte der 50er Jahre erschienenen
Geschichten- und Erinnerungsbuch von Hedda
Adlon, der Witwe des letzten Hausherren, und
dem danach von Artur Brauner gedrehten Spielfilm, nach den kürzlich erschienenen beiden
Adlon-Romanen und den ungezählten Zeitungsartikeln
zum Thema nun also, anläßlich der feierlichen
Wiedereröffnung am 23. August 1997, der
repräsentative Bild-Text-Band über die unbestritten erste
Hoteladresse Deutschlands. Man kann ihn durchaus
in der Tradition jenes 1909 (also zwei Jahre nach
der Ersteröffnung) im Adlon-Selbstverlag
erschienenen, ebenfalls reich bebilderten Prachtbandes
verstehen, der vor allem Werbezwecken und als Geschenk
für prominente Gäste diente. Dafür ist der neue
natürlich auch hervorragend geeignet. Gleichzeitig
kann man in ihm ein solides Stück Berlin-Geschichte
sehen. Dafür spricht nicht zuletzt der Name des
bekannten Berlin-Historikers Laurenz Demps, der zusammen mit dem Fernsehjournalisten
Carl-Ludwig Paeschke den Text verfaßt hat.
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Pohdewill, die 1935/36 während eines Gewerbelehrer-Studiums als Praktikantin in der Küche
des Adlon arbeitete und die von deren moderner Einrichtung, aber auch von diversen Mutproben
berichtet, denen sie sich unterziehen mußte, um
als adliges Fräulein von ihren
Mit-Küchenmädchen und -jungen anerkannt zu werden.
Neben solchen eher heiteren Episoden kommen natürlich auch ernstere Zeitereignisse vor: wie auch das Haus Adlon in Abhängigkeit von den Nazis geriet; wie die Kellner schon am ersten Kriegstag kleine Scheren zum Abtrennen der Lebensmittelmarken erhielten; wie der deutsche Diplomat von Schulenburg, damals Botschafter in Moskau, sich mit Vertrauten im Adlon traf, um eine Denkschrift zu verfassen, mit der er leider vergeblich versuchte, Hitler vom Überfall auf die Sowjetunion abzuhalten. Ausführlich werden die letzten Monate und Tage des Krieges geschildert, in denen das Adlon mit einer Schutzmauer umgeben war und über einen Bunker verfügte, der dem der Reichskanzlei offenbar kaum nachstand. Schließlich jener 3. Mai 1945, an dem der größte Teil des Hotels Opfer eines Brandes wurde, von dem vermutet wird (aber nicht erwiesen ist), daß ihn Sowjetsoldaten verursachten, die in den überaus reichen Weinkeller des Hotels eindrangen und während des Zechgelages durch eine weggeworfene Zigarette Holzwolle entzündeten. Interessant auch das Kapitel über das (auf einen erhalten gebliebenen Seitenflügel reduzierte) Adlon nach 1945. Enthält es doch manches fast in Vergessenheit Geratene: Wie sich hier im November 1945 deutsche Filmkünstler und Schriftsteller mit sowjetischen Kulturoffizieren trafen, um die Gründung der DEFA vorzubereiten. Oder daß schon 1950/51 unter Federführung des Architekten Kurt Liebknecht ein Plan für den Wiederaufbau des Pariser Platzes erarbeitet wurde, der für die Hausnummern 2, 5 und 6 Botschaften, für die Nummer 4 das Hotel Adlon und, gleich daneben, für Unter den Linden | Nr. 1 das ZK der SED vorsah. Nachdem der
heutige Mitherausgeber des »Tagesspiegel«, Hellmuth
Karasek, zu Wort gekommen ist, der, damals Redakteur der »Stuttgarter Zeitung«, 1961 als Gast der
Ostberliner Zeitschrift »Theater der Zeit« im
Adlon wohnte, erfahren wir noch, daß das Hotel oder
was von ihm übrig war, 1964 renoviert und schließlich
in den 70er Jahren Wohnheim für
Kellnerlehrlinge wurde.
Nicht das Niveau der vorangegangenen vermag m. E. das abschließende, dem Neuaufbau des Hotels gewidmete Kapitel zu halten. Daß detailreich beschrieben wird, auf welche alten Verträge sich der heutige Betreiber, die Kempinski AG, berufen konnte, wie sie Pächter und die Fundus-Gruppe dank 3 500 Kapitalanlegern Investor werden konnte (und was das Ganze so etwa gekostet hat), mag ja noch zeitgeschichtlich interessant sein. Daß dann aber seitenlang ein maßgeblicher Herr der Kempinski AG und mehrere des federführenden Architekturbüros Patzschke, Klotz & Partner sowie Pressestimmen zitiert werden, erinnert doch mehr an eine Werbebroschüre und läßt sich höchstens mit dem Zeitdruck erklären, in den die Textautoren vor der Eröffnung geraten sein dürften. Da ist es dann schon eher verständlich, daß die Fotos aus dem neuen Haus zwar farbig und detailreich, aber natürlich längst nicht so lebendig sind wie der umfangreiche historische Bildteil. Dieser ist einfach eine Freude. Da finden sich die ersten Anzeigen des Hotels und Weinkarten von 1911 (die Flasche Champagner immerhin schon zwischen elf und 19 Mark). Da sehen wir den Gründersohn Louis Adlon in seinem Arbeitszimmer und verstehen die dazugestellten Erinnerungen seines Hotelgastes (der späteren Ehefrau) Hedda an den Silvesterabend 1921: »Ein unwahrscheinlich vornehm aussehender schlanker Herr mit grauen Schläfen und einem prächtigen, edlen Kopf ... Obwohl wir nicht viel Worte wechselten, wurde an diesem Abend unser Schicksal besiegelt.« Ein paar | ||||||
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Seiten weiter der 12jährige Yehudi Menuhin mit
seiner ersten Stradivari, der im April 1929,
während eines Konzertes in Berlin, das Adlon
kennenlernte, und Thomas Mann, dem ein Adlon-Page
eines der berühmten Silbertabletts hinhält.
Schließlich der uniformstrotzende, feiste Hermann
Göring auf einem Empfang 1934 und die ausgebrannte
Ruine des Adlon 1946 ... Der Bildteil vermag auf
seine Art auch ein wenig die Zeittafel zu ersetzen, die
ich leider ebenso vermißt habe wie ein
Personenregister.
Nach der Durchsicht und der Lektüre der 142 prächtig gedruckten Seiten ist man gern geneigt, dem ausführlich zitierten Hotelfachmann Karl Walterspiel zuzustimmen: »Sie können zu jeder großen Stadt dieser Welt eine Hoteladresse nennen, die nur dorthin gehört, und so gehört das Adlon nach Berlin und wird von seinem Standort und von der dort erbrachten Leistung her wieder die führende Adresse der dann neuen Bundeshauptstadt sein.« Daß es allerdings, wie an gleicher Stelle behauptet, ein »Hotel für alle« wird, darf getrost bezweifelt werden und liegt wohl weder in der Absicht der Betreiber noch in der Tradition des Hauses. Horst Wagner | »Von der Frankfurter zur Stalinallee Geschichte einer Straße«
Ausstellung im Heimatmuseum Friedrichshain vom 23. März bis 18. Dezember 1997 Beinahe jeder, der die B1 vom Alexanderplatz in Richtung Osten benutzt, weiß, daß er sich auf
der einstigen Prachtstraße Ostberlins, der
»Stalinallee«, befindet. Nur wenigen jedoch wird ihre
Bedeutung als mittelalterlicher Handelsweg bekannt sein,
der am Beginn des 13. Jahrhunderts zu den
»Geburtshelfern« der Doppelstadt Berlin/Cölln gehörte.
Kaum, aber einer derer, die den heutigen
Strausberger Platz überqueren, dürfte ahnen, daß noch
Anfang des 18. Jahrhunderts den Berlinern beim
Passieren dieses Ortes ein Schauer über den
Rücken lief. Damals lag diese weitgehend unbebaute Gegend fern vor den Toren der Stadt. Erst
im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts verschob sich die
Stadtgrenze weiter nach Osten. Bis 1867 versperrte das Frankfurter Tor dem Reisenden die
ungehinderte Passage.
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Friedrich II. machte aus dem Handelsweg
eine Heerstraße, über die man später Napoleons
Armee nach Rußland ziehen und geschlagen
zurückkehren sah. Im April 1945 rückten die Soldaten der
Roten Armee hier entlang in Richtung Zentrum vor. Durch die Luftangriffe der Alliierten Anfang
des Jahres 1945 bereits stark zerstört, wurde die
Straße in den erbitterten Häuserkämpfen endgültig
verwüstet. Unter anderem deshalb stand dieses Gebiet
schon 1946 im Zentrum der Wiederaufbaupläne
für Berlin, womit sich der Name des Architekten
Hans Scharoun verband. Übrig von den Planungen
blieben nur die beiden Laubenganghäuser, die
Ludmilla Herzenstein entwarf. Die Ideen Scharouns, der
sich am Bauhausstil orientierte, stießen auf
Ablehnung und gelangten nicht zur Ausführung.
Am 21. Dezember 1949 erhielt der Teil der Straße vom Alexanderplatz bis zum S-Bahnhof Lichtenberg den Namen »Stalinallee«, der bis zum 13. November 1961 galt. In den 50er Jahren wurde die Allee zum Schwerpunkt des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin« und sollte als erste »sozialistische Straße Deutschlands« vom Aufbauwillen der neuen Gesellschaft zeugen. Anfang August 1951 öffnete nach nur 119 Tagen Bauzeit die »Deutsche Sporthalle« als einer der Bauten für die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin ihre Pforten. Nur 20 Jahre später wurde sie wegen bautechnischer Mängel gesprengt. Das ihr gegenüber stehende Stalindenkmal verschwand bereits im November 1961 in einer Nacht- und Nebelaktion, als auch die Straße umbenannt wurde. Ein Symbol des Aufbaus war das von Hermann Henselmann entworfene Hochhaus an der Weberwiese. Es markierte den Übergang zu dem von der SED geforderten neuen Baustil: »dem Inhalt nach sozialistisch, der Form nach national«. Am 1. Mai 1952 übergab Berlins Oberbürgermeister Friedrich Ebert die ersten Wohnungen an die | Mieter. Das waren zwei Näherinnen, 16 Arbeiter,
sieben Brigadiere, zwei Meister, ein Lehrer, zwei
Architekten, ein Arzt und ein Volkspolizist, wie
das »Neue Deutschland« vermeldete.
Bis zum 1. Mai 1953 wurden in der Stalinallee mehr als 2 100 Wohnungen bezugsfertig und bis Ende des Jahres ca. 90 Läden fertiggestellt. Die Wohnungsmiete betrug 0,90 DM pro Quadratmeter zuzüglich 0,05 DM für Fernheizung und Warmwasser. Zur Ausstattung gehörten Bäder, Elektroherde, Aufzüge und Müllschlucker, sehr komfortabel für die damaligen Verhältnisse. Nicht allein die eigenartige Architektur in der Mischung von sowjetischem Zuckerbäckerstil und preußischem Klassizismus sowie die breiten, auf der Nordseite begrünten Gehwege prägten das Bild der Allee. Zahlreiche Einrichtungen, wie das »Haus des Kindes« und das »Haus Berlin« mit seinen Gaststätten, das Restaurant »Budapest« mit dem beliebten Weinkeller, das »Cafe Warschau«, die Eisbar »Sybille«, die Karl-Marx-Buchhandlung« und die interessanten Läden entwickelten sich zu einem Anziehungspunkt der Berliner und der Besucher der Stadt. Im Frühsommer des Jahres 1953 geriet die Stalinallee in die Schlagzeilen als Ausgangspunkt und Symbol der Ereignisse des 17. Juni als »die Plebejer den Aufstand probten« (Grass). In den späten 50er Jahren bemängelte die DDR-Führung den hohen ökonomischen Aufwand, der beim Bau der Allee betrieben wurde. 1990 wurde die einstige Stalinallee unter Denkmalschutz gestellt und zum europäischen Baudenkmal erklärt. Im Dezember 1993 verkaufte die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain die Häuser an die Wiesbadener DePfa-Immobilienmanagement AG. Die Ausstellung will diesen großen historischen Bogen nachzeichnen, wobei die Zeit der Stalinallee den Schwerpunkt bildet. Achim Hilzheimer
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© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de