51   Porträt Christian Gottfried Ehrenberg  Nächste Seite
Stoffen bilden sich neue Lebewesen – generatio aequivoca) oder aus Moder entstünde. Rational unerklärbare Naturerscheinungen wie das Meeresleuchten wurden mystifiziert.
     Als Sohn des Stadtrichters Johann Ehrenberg am 19. April 1795 in Delitzsch (Sachsen) geboren, verbrachte Christian Ehrenberg seine Schulzeit im Thüringischen. 1815 begann der 20jährige auf Wunsch des Vaters ein Theologiestudium in Leipzig. Doch er fühlte sich – auch durch die Schulzeit auf dem Lande angeregt – mehr zur Erforschung der Natur hingezogen. Mit Erlaubnis des Vaters wechselte er in das Fachgebiet Medizin. Und ab 1817 setzte er sein Studium in Berlin fort. Hier fand Ehrenberg in jeder Hinsicht fruchtbaren Boden. In der damals noch wald- und sumpfreichen Umgebung Berlins war ihm kein Weg zu weit, um die Vegetation zu erkunden. Zu seinem ersten Forschungsgegenstand wählte er eine Klasse von Lebewesen – die noch in mystisches Dunkel gehüllten Pilze. Ein Jahr später promovierte er mit der Dissertation »Sylvae mycologicae Berolinenses«. Darin beschrieb er 248 für Berlin neue Pilzarten, wovon 62 eine botanische Novität bedeuteten, sowie die geschlechtliche Fortpflanzung der Pilze an einem von ihm entdeckten Schimmelpilz (Syzygites Ehrbg.).2) Diese Arbeit erweckte die Aufmerksamkeit so berühmter Gelehrter wie Adelbert von Chamisso und Alexander von Humboldt. Der Präsident der
Maria Curter
In Berlin fand er fruchtbaren Boden

Der Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg
(1795–1876)

Zwei Straßen in Berlin sind nach ihm benannt – eine in Friedrichshain (1900), die andere in Zehlendorf (1908). Während sein Name in keinem von Meyers Lexika verschiedenster Jahrgänge fehlt, ist der Begründer der Mikropaläontologie, der Entdecker einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten, der Teilung von Bakterien und der geschlechtlichen Fortpflanzung der Pilze ... in der 24bändigen »Brockhaus Enzyklopädie« von 1988 (F. A. Brockhaus Mannheim) nicht erwähnt.
     »Von Widerwillen gegen gewisse flache, die Wissenschaft verderbende Vorurtheile, gegen die noch herrschenden phantastisch philosophirenden Theorien und gegen allerlei sonstigen wissenschaftlichen Aberglauben erfüllt, drängte es ihn, die Anfänge der organischen Natur bis ins Feinste zu verfolgen«1), heißt es über Ehrenberg.
     Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts war die Auffassung vorherrschend, daß das Leben durch Urzeugung (aus anorganischen

SeitenanfangNächste Seite


   52   Porträt Christian Gottfried Ehrenberg  Vorige SeiteNächste Seite
»Leopoldina« (Akademie für Naturforscher), G. Nees von Esenbeck, nahm Ehrenberg noch 1818 als Mitglied auf.

Die Karawane glich einem Feldlazarett

Danach plante Christian Ehrenberg gemeinsam mit seinem Freund und Zoologen Wilhelm Hemprich (1796–1825) eine längere Reise durch verschiedene Gebiete der Erde, um vergleichende Untersuchungen vornehmen zu können. Der Zufall wollte es, daß sich beide, auf Empfehlung Alexander von Humboldts und unterstützt von der Akademie der Wissenschaften, einer Expedition von General von Minutoli (BM 7/95) anschließen konnten, der noch Naturforscher für die Erkundung der Nilländer suchte.
     Die an Abenteuern und Gefahren reiche Forschungsreise nach Ägypten, Libyen und Palästina, deren Karawane zeitweise mehr einem Feldlazarett als einer Forschungsgesellschaft glich3), dauerte fünf Jahre (1820–1825). Zerwürfnisse mit beduinischen Begleitern und diplomatische Verwicklungen standen der systematischen Erforschung Libyens entgegen. Bei der weiteren Reise kamen politische Unruhen, Wassermangel, Krankheiten wie Typhus, Sumpffieber und finanzielle Schwierigkeiten hinzu. Letztere hatte ein Beamter im diplomatischen Dienst verursacht, der die aus Berlin gesendeten Gelder veruntreute. Die Halbinsel Sinai wurde naturhistorisch und

geographisch untersucht. Am Roten Meer erfolgten intensive Beobachtungen über den Bau und die Lebensweise der Korallen. Vieles wurde notiert, und mehr als tausend Zeichnungen entstanden. Nach mehrmonatiger Krankheit und Quarantäne kehrte Ehrenberg Anfang 1826 mit reichlichem Gepäck – 114 Kisten mit bis zu »30 Kubicfuss Inhalt« –, aber allein nach Berlin zurück. Hemprich war ein Jahr zuvor dem Sumpffieber erlegen.
     Die Ausbeute der Expedition bestand aus etwa 3 000 Pflanzenarten in mehr als 46 000 Exemplaren und über 4 000 Tierarten in 34 000 einzelnen Individuen. Sie sollte gesichtet, verglichen, bestimmt und für Sammlungen als Schauobjekte hergerichtet werden. Die wissenschaftliche Auswertung die schon während der Reise zum Teil vorgenommen und nach Berlin geschickt wurde, brachte Ehrenberg 1827 eine außerordentliche Professur an der Berliner Universität sowie die Mitgliedschaft der Preußischen Akademie der Wissenschaften ein. Die »Naturgeschichtlichen Reisen durch Nordafrika und Westasien in den Jahren 1820–1826, von W. H. Hemprich und Chr. Gottfr. E.« erschienen 1828 in Berlin. Diesem Abriß folgten akademische Abhandlungen über Insekten sowie »Die Korallenthiere des Rothen Meeres, physiologisch untersucht und systematisch verzeichnet« (1834), »Ueber die Natur und Bildung der Koralleninseln und Korallenbänke im Rothen Meer«
SeitenanfangNächste Seite


   53   Porträt Christian Gottfried Ehrenberg  Vorige SeiteNächste Seite
(1834).4) Zur Fülle der neuen Erkenntnisse Ehrenbergs gehörten auch die Ursachen der Färbung des Roten Meeres und des sogenannten Blutregens (Passatstaub). Doch bevor diese Schriften erschienen, hatte Christian Ehrenberg 1829 gemeinsam mit dem Mineralogen Gustav Rose Gelegenheit, Alexander von Humboldt auf seiner neunmonatigen Reise quer durch Rußland zum Ural über Sibirien bis hin zum Altai zu begleiten. Zwar fand er dabei allerdings kaum Zeit, solche Formenvielfalt zu sammeln wie während seiner ersten großen Exkursion, aber das freundschaftliche Verhältnis zu Alexander von Humboldt, das bis ans Lebensende währen sollte, wurde begründet.
     Obwohl materiell, finanziell und personell großzügig durch den preußischen Staat ausgestattet, zog sich Ehrenberg enttäuscht

und erbost von der weiteren wissenschaftlichen Aufarbeitung der zoologischen wie botanischen Exemplare der ersten Expedition zurück. Den Ruhm ernteten später andere Wissenschaftler. Zum einen hatte der kalte Winter 1825/26 die Pflanzensammlung zu großen Teilen vernichtet. Zum anderen wurde mit zoologischen Dubletten ein schwunghafter unbefugter Tauschhandel geführt, durch den wichtige Objekte für die systematische Darstellung fehlten. Die mühsam zusammengetragenen Reihen waren zerrissen. Der an Gründlichkeit und Systematik gewöhnte Empiriker Ehrenberg wollte nicht einzelne Spezies, sondern die Natur als Ganzes erkunden. Theoretisieren lag ihm nicht, und die Beweise, die er vorlegen wollte, fehlten nun zum Teil. Deshalb entstand auch kein zusammenfassendes

Christian Gottfried Ehrenberg

SeitenanfangNächste Seite


   54   Porträt Christian Gottfried Ehrenberg  Vorige SeiteNächste Seite
Werk, sondern es erschienen nur einzelne Publikationen.

Der Welten Kleines ist wunderbar

Etwa um 1830 wandte sich der Naturforscher verstärkt den sogenannten Infusorien zu, Lebewesen, die anderthalb Jahrhunderte zuvor von Antony van Leeuwenhoek (1632–1723) erstmals beschrieben worden waren. Er untersuchte den Bau, die Verbreitung und Fortpflanzung der mikroskopisch kleinen Organismen, die nach damaliger Auffassung aus dem Heuaufguß als Schleimkugeln entstanden. Aus Tümpeln und Seen des Berliner Umlandes, aus Regenrinnen und Pfützen entnahm er Wasser, das er mikroskopisch untersuchte und dessen Inhalt er verglich. Allein 723 tierischer Kleinstlebewesen entdeckte, beobachtete und zeichnete er unter dem Mikroskop. 1835 gelang ihm auch der aufsehenerregende Beweis, daß Hostien»blut« und Meeresleuchten durch Mikroorganismen entstehen. Mit dem Werk »Die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen, ein Blick in das tiefere Leben der organischen Natur« (Leipzig 1838)5) begründete er die Mikrobiologie, schuf eine Systematik der pflanzlichen und tierischen Kleinstlebewesen. Ohne Kenntnis der zur gleichen Zeit aufgekommenen Zellenlehre beschrieb er die Organisation der Einzeller, ihre Verdauung sowie Fortbewegung und setzte sie den höheren Tierformen gleich.

Letzteres stellte sich zwar später als Irrtum heraus, was aber seinen wissenschaftlichen Ruhm nicht schmälerte. 1839 wurde er zum ordentlichen Professor der Medizin (mit Lehrauftrag Geschichte der Medizin) ernannt, 1842 ständiger Sekretär der physikalisch- mathematischen Klasse der Preußischen Akademie der Wissenschaften und 1855 für ein Jahr Rektor der Berliner Universität.
     Mit 36 Jahren (1831) gründete er eine Familie und heiratete die Kaufmannstochter Julie Rose (1804–1848) aus Wismar, eine Schwägerin des Chemikers Heinrich Rose. Aus dieser Ehe gingen ein Sohn und vier Töchter hervor. Vier Jahre nach dem Tode der ersten Frau, 1852, heiratete Ehrenberg Friederike Karol (1812–1895), eine entfernte Verwandte des Chemikers Eilhard Mitscherlich. Von beiden Frauen ist überliefert, daß sie nicht nur Lebens-, sondern auch Arbeitsgefährtinnen waren.
     Die Zusendung und mikroskopische Untersuchung eines Kieselgurstückes lenkte Ehrenbergs Aufmerksamkeit auf die Erforschung der fossilen Mikroorganismen. Die vergleichenden Untersuchungen von Fundstücken aus aller Welt zeigten, daß diese aus Panzern von Kleinstlebewesen bestanden. Auch für Kreide und Schiefer entdeckte er den organischen Ursprung, der um so lebendiger ist, je näher er sich an der Erdoberfläche befindet.
     Über diese Entdeckungen berichtete er erstmals in »Die Bildung der europäischen,
SeitenanfangNächste Seite


   55   Porträt Christian Gottfried Ehrenberg  Vorige SeiteAnfang
libyschen und uralischen Kreidefelsen und des Kreidemergels aus mikroskopischen Organismen« (Berlin und Leipzig, 1839)6). Mit der zusammenfassenden Darstellung dieser Erkenntnisse in »Mikrogeologie. Das Erden und Felsen schaffende Wirken des unsichtbar kleinen selbständigen Lebens auf der Erde« (1854–1856)7) begründete er die Mikropaläontologie.
     Der »Mikroskopiker des Jahrhunderts«, wie er vielfach zur damaligen Zeit von der Presse betitelt wurde, war inzwischen nicht nur unter den Gelehrten seiner Zeit anerkannt, sondern erfreute sich auch bei den Berlinern großer Popularität, nicht zuletzt auch wegen seiner Exkursionen, die er sowohl mit Studenten als auch mit Interessierten aller gesellschaftlichen Kreise ins Berliner Umland unternahm. Selbst bei Hofe mußte er seine Wahrnehmungen vorführen.
     Bei der Untersuchung großer Gebiete des Berliner Baugrundes fand er heraus, daß dieser »aus Anhäufungen solcher organischer Geschöpfe und ihrer Reste bestand«, Ursache für den schwammigen Boden, der nicht gefahrlos bebaut werden konnte. Und als dann einige Häuser große Risse bekamen und sich zu neigen begannen, frozzelten die Berliner in der ihnen eigenen Art, daß die leichtfertigen kleinen Geschöpfe nicht nur allein durch ihre Bewegungen die Häuser gänzlich zu Fall bringen, sondern wohl auch eines Tages »mit einer ganzen auf ihrem treulosen Rücken erbauten Straße der königl.
Residenz auf und davon kriechen können«.
     Vorlesungen hat er zwar kaum gehalten, das Mikroskop war ihm aber seit seiner ersten Expedition immer unentbehrlich. In seinen letzten Lebensjahren gelang es ihm, obwohl durch einen Schenkelhalsbruch unbeweglicher geworden und halb erblindet, mit Hilfe einer Tochter alle seine Forschungsobjekte zu beschreiben, zu zeichnen und einzuordnen. Christian Ehrenberg, der in der Französischen Straße 29 wohnte, starb 81jährig am 27. Juni 1876 in Berlin.
     Beerdigt wurde er auf dem Kirchhof der St.-Nicolai und St.-Marien-Gemeinde in der Prenzlauer Allee 1. Der Spruch, den er seiner Doktorarbeit vorangestellt hatte:
     »Der Welten Kleines auch ist wunderbar und groß, Und aus dem Kleinen bauen sich die Welten«,
     war sein Lebensmotto und zierte seinen Grabstein.

Quellen:
1     Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1877, 5. Bd., S. 701
2     Neue deutsche Biographie, Berlin 1971, Bd. 4, S. 349
3     Beilage zur Allgemeinen Deutschen Zeitung, München, 8. April 1895, S. 1
4     Meyer's Konversationslexikon, Leipzig 1875, Bd. 5, S. 856/857
5     Ebenda
6     Ebenda
7     Berliner Biographisches Lexikon, Berlin 1993, S. 106

Bildquelle: Archiv Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1997
www.luise-berlin.de