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schine, sondern die durch dünne Drähte über viele Kilometer jede Fabrik, jede Werkstätte, jedes Haus erreichte. Ein Innovationsschub von bisher ungekanntem Ausmaß setzte ein, nachdem Werner Siemens mit der Entdeckung des elektrodynamischen Prinzips (1867) und dessen praktischer Umsetzung in die Dynamomaschine den Weg gefunden hatte, »elektrische Ströme von unbegrenzter Stärke auf billige und bequeme Weise zu erzeugen«. – Bogenlampen erleuchteten Straßen, Plätze und öffentliche Gebäude. Elektromotoren trieben Pumpen, Maschinen, Aufzüge und Straßenbahnen an. – Die Elektrotechnik entwickelte sich zu einem eigenständigen Gebiet wissenschaftlicher und industrieller Tätigkeit.
     »Neben der Telegraphie, die schon in etwas ruhigere Fortschrittsbahnen eingelenkt ist und das aristokratisch-conservative Element der Elektrotechnik repräsentiert, sehen wir überall ein wildes Rennen auf diesem Gebiet, ein rastloses Streben, der Electrizität einen wichtigen Platz in den alten Industriezweigen zu erobern und neue auf sie zu begründen. Allen diesen Bestrebungen fehlt bisher ein ordnender, berichtigender Mittelpunkt«, schrieb Werner Siemens (1816–1892) in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an Generalpostdirektor Heinrich Stephan, nachdem sich die Starkstromtechnik zu etablieren begann. Gegen Ende des Jahres 1879 gründeten Siemens und Stephan dann in Berlin den ersten Elektro-
Maria Curter
22. Januar 1893:
Der VDE wird gegründet

Am Morgen des 21. Januar trafen sich 37 Teilnehmer zur Gründungskonferenz des Verbandes der Elektrotechniker (VDE) im Gelben Saal des Hotels »Kaiserhof« in Berlin. Von zehn Uhr vormittags bis vier Uhr nachmittags dauerten die Verhandlungen. Dann waren alle Fragen zur Organisation geklärt. Wenn es überhaupt noch Vorbehalte gegen einen zentralen Verband gab, so wurden sie bei einem Abendessen ausgeräumt, zu dem der Generaldirektor der AEG, Emil Rathenau, alle Konferenzteilnehmer in sein Haus eingeladen hatte. Und am nächsten Vormittag – am 22. Januar 1893 – konnte die Gründung vollzogen werden. In den vorläufigen Vorstand wurden Professor Dr. Adolf Slaby und Wilhelm von Siemens, der Sohn von Werner von Siemens, gewählt.
     Die Nutzung der Elektrizität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffnete für Wirtschaft und Technik eine völlig neue Dimension. Nun stand eine Energieform zur Verfügung, die nicht nur einige Meter über Transmissionsriemen weitergeleitet werden konnte wie mittels der Dampfma-

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technischen Verein in Deutschland, dessen erste ordentliche Sitzung am 27. Januar 1880 stattfand. Als Vorsitzender wurde Werner Siemens, als Ehrenvorsitzender Heinrich Stephan gewählt. Im selben Jahr erschien auch ein Fachblatt – die »Elektrotechnische Zeitschrift«.
     Später erfolgten solche Gründungen auch in anderen Städten mit dem Ziel, als »Sammelpunkt« zu fungieren, »für alle, die sich technisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich oder privat an den ständig ausweitenden Problemen der Elektrotechnik betätigen oder sich über diese zumindest unterrichten wollen«. Mit der Funktion des »ordnenden, berichtigenden Mittelpunktes« waren diese regionalen Vereine allerdings überfordert. Die fortschreitende Elektrifizierung brachte mittlerweile solche Probleme wie die Sicherheit von elektrotechnischen Anlagen, die Konkurrenz zwischen Gleich- und Wechselstrom oder den Konflikt zwischen Betreibern von Schwachstrom- und Starkstromanlagen mit sich. Diese

Faksimile der Gründungsurkunde

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konnten nur auf nationaler Ebene gelöst werden. Während der 80er Jahre gab es immer wieder Bestrebungen, einen zentralen Verband zu gründen.
     Im Oktober 1892 wandte sich Adolf Slaby (1849–1913), Professor für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Charlottenburg, im Auftrag eines Komitees mit einem Rundschreiben an die in den Elektrotechnischen Vereinen organisierten Fachkreise, in dem es u. a. hieß: »Entsprechend der wachsenden Bedeutung der Elektrotechnik und ihrer Ausbreitung auf fast alle Gebiete der staatlichen, kommunalen und privaten Industrie besitzt Deutschland, vielleicht mehr als irgendein anderes Land, eine stattliche Zahl wissenschaftlich gebildeter Elektrotechniker. Nur in der zielbewußten Vereinigung unserer geistigen Mittel können wir hoffen, nachhaltig für die Förderung unserer Wissenschaft, eindrucksvoll für die erfolgreiche Vertretung unserer Interessen zu wirken. Sollten Sie dieser Anschauung zustimmen, so laden wir Sie hierdurch freundlichst ein, an einer im Monat November oder Dezember d. J. in Berlin stattfindenden Besprechung teilzunehmen ...« Nach der Zustimmung aller elektrotechnischen Vereine wurde für Dezember 1892 nach Berlin eingeladen. Wegen des Todes Werner von Siemens (6. Dezember) mußte die Konferenz aber auf das folgende Jahr verlegt werden.
     Die erste Jahresversammlung des VDE
fand Ende September 1893 in Köln statt.
     Hier wurde auch die erste technische Kommission gebildet, die Vorschriften über elektrische Anlagen erarbeiten sollte. Mitte 1894 richtete der VDE seine Geschäftsstelle in Berlin, am Monbijouplatz 3, ein. 1920 hatte der Verband seinen Sitz in der Potsdamer Straße, wo eine zentrale Prüfstelle eingerichtet wurde mit dem Ziel, elektrotechnische Produkte auf ihre Übereinstimmung mit den VDE-Richtlinien zu prüfen. 1931 zog der Verband in das neuerbaute VDE-Haus nach Charlottenburg, Bismarckstraße 33, wo auch der neugegründete Verlag untergebracht wurde.
     Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sich der Verband im März 1950 in Frankfurt am Main neu.
     Heute sind im VDE 33 Bezirksvereine mit mehr als 36 000 Ingenieuren, Technikern und Naturwissenschaftlern sowie etwa 1 000 Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden vereinigt.

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