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Maria Curter
Ein Genie der
Freundschaft

Ehrenbürger Shepard Stone (1908–1990)

»Shep«, wie ihn seine Freunde nannten, der Historiker und Journalist, hatte eine bemerkenswerte Eigenschaft: Er konnte zuhören, obwohl er durchaus selbst gern redete.
     Stone erlebte Deutschland zu verschiedenen Zeiten: das erste Mal »als Student mit dem ungetrübten Frohsinn eines Zwanzigjährigen, der aus der amerikanischen Provinz kam«, schrieb Marion Gräfin Dönhoff anläßlich seines 80. Geburtstages vor zehn Jahren.
     Geboren als Sohn jüdisch-litauischer Einwanderer am 31. März 1908 in Nashua im Staat New Hampshire, im äußersten Nordosten der USA gelegen, studierte er zunächst am Dartmouth College in New Hampshire und danach an den Universitäten Heidelberg (1930) und Berlin Staatswissenschaften und Geschichte. Als Student der Friedrich-Wilhelms-Universität gehörte er zu den fünf Ehrenmitgliedern eines Klubs ausländischer Studenten, der seine erste und einzige Jahrestagung in einer Kneipe in der Fasanenstraße abhielt und zu der auch Albert

Shepard Stone
Einstein eingeladen war. An der Berliner Hochschule für Politik hörte er u. a. Vorlesungen bei Theodor Heuss. Ende 1932 promovierte er mit einer Arbeit über deutsch-polnische Beziehungen bei Hermann Oncken zum Dr. phil.
     Am 15. August 1933 heiratete er Charlotte Hasenclever, die er in Berlin kennengelernt hatte. Noch im gleichen Jahr kehrte Stone, angewidert vom Nationalsozialismus in
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Deutschland, in seine Heimat zurück. Dort war er von 1933 bis 1942 als politischer Publizist, von 1934 bis 1935 außerdem als Reporter der »New York Times« und von 1935 bis 1942 als stellvertretender Chefredakteur der Sonntagsausgabe dieser großen Zeitung tätig. Seine Berichte über Deutschland waren von einer objektiven Geschichtsanalyse geprägt. Davon zeugen solche Arbeiten wie »Schatten über Europa« und »Wir sahen es kommen« aus dem Jahr 1938.
     Das zweite Mal kam Shepard Stone als Soldat nach Deutschland. Er gehörte als Freiwilliger dem ersten amerikanischen Vorkommando an, das am 6. Juni 1944 in der Normandie landete. Mit der amerikanischen Armee gelangte Stone bis nach Torgau, wo Amerikaner und Russen aufeinandertrafen. Er war dabei, als das Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde.
     Gerade 37 Jahre alt, beriet er bis 1946 die amerikanischen Besatzungsbehörden bei einer besonders komplizierten Aufgabe, dem Wiederaufbau des Zeitungswesens in ihrer Besatzungszone. Als Oberstleutnant aus der Armee entlassen, nahm er 1946 seine frühere Tätigkeit als zweiter Chefredakteur der Sonntagsausgabe der »New York Times« wieder auf.
     Anfang November 1949 zum Stellvertreter des Sonderberaters für Informationswesen beim US-Hochkommissariat in Deutschland ernannt, kam er das dritte Mal. Im August 1950 verließ der Sonderberater Ralph Ni-
cholson Deutschland, und Stone übernahm als sein Nachfolger die Leitung des Amtes für öffentliche Angelegenheiten und Informationswesen beim amerikanischen Hochkommissar in Deutschland, John McCloy. Stone war einer der wichtigsten Mitarbeiter, zuständig für die Medien, aber auch für die Bereiche Kultur und Wissenschaft.
     »Die Zeit, in der wir ihn kennenlernten, war voller prickelnder Zukunftsluft und frischem Wind von Freiheit, wie wir sie zwölf Jahre lang nicht geatmet hatten«, erinnert sich die Schriftstellerin Inge Aicher-Scholl, Schwester von Hans und Sophie Scholl. Carl Zuckmayer hatte sie mit Shepard Stone bekannt gemacht.
     Im Rahmen seines Amtes, das er von September 1950 bis Ende Juli 1952 innehatte, bemühte sich Shepard Stone nachhaltig um den Aufbau einer demokratischen Presse im Nachkriegsdeutschland, unterstützte Verleger und Journalisten auch beim Erschließen von Geldquellen und förderte verschiedene Austauschprogramme.
     Nach Ablauf seiner Amtszeit kehrte er gemeinsam mit dem zurückgetretenen Hochkommissar McCloy in die Vereinigten Staaten zurück, wo er 1953 in den Stab der Ford Foundation aufgenommen wurde und in den Jahren von 1954 bis 1968 Direktor der dortigen Abteilung für internationale Angelegenheiten war. In dieser Funktion trat er besonders als Förderer West-Berlins
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hervor. Er vermittelte Millionenspenden für den Ausbau der Freien Universität Berlin (Osteuropa-Institut), für verschiedene wissenschaftliche Institute und die Deutsche Oper.
     Im Oktober 1974 kam Stone zum vierten Mal nach Deutschland und blieb diesmal für 14 Jahre: Er wurde Direktor des neugegründeten Berliner Aspen-Instituts auf der Insel Schwanenwerder. Es war die einzige europäische Filiale des weltberühmten Aspen-Instituts für humanistische Beziehungen in Aspen, Colorado (USA), dessen Kuratorium er auch angehörte.
     Shepard Stone hatte sich zur Lebensaufgabe gemacht, Wissenschaftlern aus aller Welt internationalen Austausch und Forschungsprojekte zu ermöglichen. Die über 270 internationalen Tagungen und Seminare, die das Institut unter seiner Leitung durchführte, haben wesentlich dazu beigetragen, West-Berlin vor Isolierung und Provinzialität zu bewahren. Mit unbezwingbarem Charme holte er kluge Köpfe aus aller Welt nach Berlin, beförderte Dialoge zwischen Europäern, zwischen Ost und West, zwischen jung und alt. Im Januar 1980 übergab Stone dem Senator für Wissenschaft und Forschung Vorschläge für das Wissenschaftskolleg Berlin, auch unter dem Begriff »Institute for Advanced Study Berlin« bekannt, das im Herbst des gleichen Jahres seine Arbeit begann und die erste Gruppe von Wissenschaftlern aufnahm. 1986 rief
das Aspen-Institut eine Studiengruppe über Deutschland ins Leben, die aus amerikanischen Mitgliedern bestand. Deutsche forschten über die USA.
     Rechtzeitig hatte sich Stone, »ein Genie der Freundschaft, des Dialogs und der Beziehungen«, u. a. eng befreundet mit Ernst Reuter, nach einem geeigneten Nachfolger umgesehen und David Anderson im März 1988 die Geschäfte übergeben. Eine im März 1988 gegründete und mit zweieinhalb Millionen Mark dotierte »Shepard Stone Stiftung« sicherte den Bestand des Instituts, dessen Kuratorium Stone weiterhin als Ehrenmitglied angehörte. Die Freie Universität Berlin hat zudem eine Shepard-Stone-Gastprofessur eingerichtet, auf die Persönlichkeiten berufen werden sollen, die sich um die Entwicklung der Universität und den Ausbau ihrer internationalen Beziehungen bemüht haben.
     Am 5. Mai 1990 erlitt Stone am Steuer seines Wagens auf dem Weg zu einer Konferenz am Dartmouth College einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er starb.

Bildquelle: Aspen-Institute Berlin

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