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Cellolehrers Jean Pierre Duport (1741–1818) gegen den Wiener? Oder versprach er sich davon ein bißchen fürstliche Unterhaltung?
     Die Spannung zwischen Betreutem und Betreuer geriet rasch zur Krise, obwohl Mozart zunächst diplomatisch den Palmenzweig schwenkte. Er komponierte hübsche Variationen auf ein Menuett von Duport.
     Es nützte nichts. Beim Antrittsbesuch soll Duport, »ebenso stolz und hochfahrend wie intriguant«,2) verlangt haben, Mozart möge gefälligst französisch sprechen. Der dachte nicht daran. Später sagte er: »So ein welscher Fratz, der jahrelang in deutschen Landen deutsches Brod fräße, müßte auch deutsch reden oder radebrechen ...«3)
     Das klingt nach Mozart, es reizt auch zum Kommentar; uns ist jetzt aber die Vorgeschichte der Fahrt wichtiger. Mozart, zeitlebens von Geldsorgen geplagt, waren längst die Geschichten von des neuen Königs Spendierhosen zu Ohren gekommen. Auch, daß der Preuße oft seine Kompositionen gelobt und geäußert habe, er würde den Wiener gern in Berlin sehen. Und als Fürst Karl Lichnowsky (1756–1814), Schüler und Freund Mozarts, nach Berlin mußte und anbot, sie könnten gemeinsam fahren, stand der Reise in den Norden nichts mehr im Wege.
     Am 8. April in der Frühe fuhren beide von Wien ab, erreichten zwei Tage später Prag, verweilten hier nur kurz, bestiegen
Dietrich Nummert
Mozarts Reise in den Norden

Mozarts Berliner Zwischenspiel begann 1789 im April. Hier zögern wir bereits; denn der Dreiunddreißigjährige traf zwar am 25. April in Berlin ein, aber ... Da der Preußenkönig, von dem der Erfolg der Reise abhing, in Potsdam weilte, fuhr Mozart unverzüglich weiter.
     König Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) erhielt anderntags Meldung: »Der Nahmens Morzart alhier (hat sich beym Einpaßieren für einen Capell-Meister aus Wien angegeben) meldet, daß ihn der Fürst Lichnowsky zur Gesellschaft mit sich genommen, daß er wünschte seine Talente zu Ew. Königlichen Majestät Füßen zu legen und daß er Befehl erwarte, ob er hoffen dürffe, daß Ew. Königliche Majestät ihn vorkommen lassen werden.«1) Der Monarch, dessen musische Neigungen viel beredet wurden, von dessen Großzügigkeit Geschichten umgingen, der den Wiener, wie es hieß, sehnsüchtig erwartete, notierte: »Directeur du Port«. Alles Mozart Betreffende sollte also der Sur-Intendant de la musique du Roi, der Musikdirektor des Königs, erledigen. Welch Pech für Mozart! Wußte der König nicht von der Aversion seines

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abends erneut die Kutsche und fuhren über Stock und Stein nach Dresden. Von der Elbe schrieb Mozart zwei Briefe an seine Frau, aus denen wollen wir zitieren, um ihm persönlich etwas näherzukommen.
     13. April: »wenn ich dir alles erzehlen wollte, was ich mit deinem lieben Porträt anfange, würdest du wohl oft lachen. – zum beySpiell; wenn ich es aus seinem Arrest herausnehme, so sage ich; grüss dich gott Stanzerl! – grüss dich gott; – Spizbub; – knallerballer; – Spizignas – bagetellerl – schluck und druck! ... Nun glaube ich so ziemlich was dummes | für die Welt wenigstens | hingeschrieben zu haben – für uns aber, die wir uns so innig lieben, ist es gewis nicht dumm ... ich küsse dich Millionenmahl auf das zärtlichste und bin Ewg dein dich zärtlich liebender gatte W: A: Mozart«4)
     Am 16. : »... spielte ich bei Hofe das Neue Concert in D; folgenden Tags ... erhielt ich eine recht scheene Dose; – wir speisten beim Russischen Gesandten ... – Nach tisch wurde ausgemacht auf eine Orgel zu gehen ... Nun mußt du wissen daß hier ein gewisser Häßler – ist ... er ist ein schüller von einem schüller von Bach. – seine force ist die Orgel ... Nun glauben die Leute hier, ... daß ich diesen Geschmack und diese Art zu spielen gar nicht kenne. Ich setzte mich also zur Orgel und spielte. – der fürst Lichnowsky |: weil er Häßler gut kennt : | beredet ihn mit vieler Mühe auch zu spielen; ... übrigens hat er nur Harmonie und Modulationen
vom alten Sebastian Bach auswendig gelernt, und ist nicht im Stande eine fuge ordentlich auszuführen ... Nach diesem wurde (ein weiteres Spiel) beschlossen ...   damit mich Häßler auf dem forte piano hört; – Häßler spielte auch. – ... du kannst dir nun vorstellen daß seine schaale ziemlich sank. – Nach diesem gingen wir in die Oper, welche wahrhaft Elend ist ...«5)
     Nebenbei bemerkt, ein echt mozartsches Stückchen ist seine Bemerkung über die »scheene Dose«, kein Wort davon, daß sie 100 Dukaten enthielt.
     Nach einer Woche ging es am 18. April weiter nach Leipzig und am 23. April traten Mozart und Lichnowsky die nächste Etappe an, fuhren aber, wie wir wissen, von Berlin gleich weiter nach Potsdam.
     Dort, berichten Chronisten, sei Mozart dem König vorgestellt worden, und er habe dem Herrscher wiederholt vorgespielt. Zeugnisse allerdings gibt es dafür nicht.
     Sicherer sind die Nachrichten über Mozarts Logis. Er wohnte bei einem Bekannten aus Pariser Tagen, dem Waldhornisten Karl Türrschmidt (1753–1797) im Holländischen Viertel am Bassinplatz und verkehrte als gerngesehener Gast in den Häusern namhafter Künstler: Bei dem Architekten Sartory, dem Kammermusiker Semler, dessen Schwester, der Sängerin Sophie Niclas.
     Überall war er »durch sein Spiel wie durch seine gute Laune der Mittelpunkt dieser heiteren Gesellschaften«.5)
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Mozart aber trieb es umher. Nach erneutem Aufenthalt in Leipzig, begann sein eigentliches Berliner Intermezzo. Am 19. Mai schrieb er seiner Frau: »Ich kann Dir dies mal nicht viel schreiben, weil ich visiten machen muß.«6) Wen er besuchte, wissen wir nicht; wohl aber, wie der erste Abend verlief. Davon berichtet eine hübsche Anekdote, die mal so, mal so erzählt wird. Eine Variante ist in Heft 4/1994 dieser Zeitschrift nachzulesen.
     Am Gendarmenmarkt stand das Nationaltheater. Johann Boumann d. Ä. hatte es als französisches Komödienhaus erbaut. Unter Friedrich II. war es schließlich geschlossen und zu einer Pfropfenfabrik umfunktioniert worden. Friedrich Wilhelm II. hatte das Gebäude, wieder zum Musentempel erhoben. An Mozarts Ankunftstag wurde hier »Die Entführung aus dem Serail« gegeben. Mozart war dabei, inkognito.
     Die Rolle des Blondchen sang Rahel Henriette Baranius (1768–1853), gleichermaßen

talentiert als Sängerin wie als Schauspielerin, dazu hübsch von Angesicht und Figur. Und da bekannt war, daß Mozart sich schon immer zu den Sängerinnen seiner Partien hingezogen fühlte, die junge Baranius überdies in der Nähe, »am Gens d'Armes-Markt im Platzschen Hause«7) wohnte, waren die Umstände eine weitere Quelle für Gerede. Henriette, wir ergänzen ein bißchen, wird 1799 den »Geheim=Cämmerer« Rietz ehelichen, der zur Zeit des Mozart-Besuchs Gatte von Wilhelmine Encke (1753–1820) war. Diese wiederum war des Königs Geliebte, die ihm unter dem Namen Gräfin von Lichtenau mehrere Kinder gebar. Im Theater weilte an jenem Dienstag auch Johann Ludwig Tieck (1773–1853), der ebenfalls Mozart begegnete: Als er »... lange vor dem Anfange der Vorstellung die halbdunklen, noch leeren Räume des Theaters

W. A. Mozart
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betrat, erblickte er im Orchester einen ihm unbekannten Mann. Er war klein, rasch, beweglich und blöden Auges, eine unansehnliche Figur im grauen Überrock.«8) – Mozart! Ja, damit müssen wir leben, der Göttliche war kein Apoll.
     Mozarts Freunde und Anhänger schätzten ohnehin anderes an ihm. Stabstrompeter Möser etwa, bei dem Mozart Quartier genommen hatte. Das war bequem, die Wohnung befand sich gleich hinter dem Theater in jenem Eckhaus, in dessen Erdgeschoß später das Café Stehely zu Berühmtheit kommen wird. Oder Mösers Sohn Karl (1774–1851), der mit Mozart und anderen bei Hauskonzerten musizierte. Oder Sänger des Nationaltheaters wie Czechitzky und Lippert, der eine sang die Partie des Bassa Selim, der andere die des Belmonte in der »Entführung«. Oder der Direktor des Theaters Carl Döbbelin (1727–1793). Karl Möser übrigens lieferte später ebenfalls Stoff für Tratsch. ImPrivatquartett des Königs spielend, unterhielt er Beziehungen zu der Gräfin von der Mark, einer lieblichen, leiblichen Tochter des Königs (und von der Lichtenau). Der Herr war verschnupft und – Karl Möser mußte außer Landes.
     Mozart indessen begab sich weiter auf »visiten«, wartete auf die Möglichkeit, ein Konzert am Hofe zu geben, lukrative Aufträge für Kompositionen zu erhalten. Ob er mit dem Gedanken gespielt hat, er könne den Kapellmeister seiner Majestät, Johann
Friedrich Reichardt (1752–1814), ablösen, wissen wir nicht. Der vielseitig gebildete Journalist und Musiker, Kritiker und Komponist war dem König wohl unbequem geworden. Manche Zeitgenossen lasteten ihm Ehrgeiz und Eitelkeit an, den Hof wird vor allem Reichardts freiheitliche Gesinnung, seine in gedruckten »Briefen bezeugte Revolutionssympathie«9) gestört haben und der Grund gewesen sein, ihn 1791 aus seinem Amt zu entlassen.
     Im Mai weilte auch Mozart-Schüler Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) in Berlin. Die »Berlinische Zeitung von Staats= und gelehrten Sachen« kündigte für den 23. an, daß »... sich in einem wohlbesetzten Koncerte im Corsikaschen Koncertsaale ein zehnjähriger Virtuose, Mons. Hummel aus Wien, auf dem Vortepiano hören lassen (wird). Er ist ein Schüler des berühmten Herrn Mozart und übertrifft an Fertigkeit, Sicherheit und Delikatesse alle Erwartung.«10) Biographen folgern, Mozart sei nicht nur Gast des Konzertes gewesen, er habe seinen Schüler auch instrumental begleitet. Wie dem auch sei, seltsam ist, daß keine Berliner Zeitung, kein Theaterzettel, kein seinerzeit Berühmter Nachricht, geschweige denn ausführlichere Schilderung gibt von Mozarts Tun in Berlin.
     Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum, sagt Christian Morgenstern. Das galt für Mozart absolut. Die musikalischen Musen diktierten sein Tun und sein Lassen. Viel-
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leicht deshalb erfahren wir aus seinen Briefen nichts über Berlins Bauten, seine Menschen. In dem Brief vom 23. finden wir das Stichwort »Thiergarten«. Aber es enthält eben nur den Namen, keine Ortsbeschreibung, dafür Deftiges über seine Sehnsucht nach Stanzerl. »Liebstes, bestes, theuerstes Weibchen«, beginnt er, gibt seiner Freude über ihre Post Ausdruck und zählt auf, wann er an sie (11 Briefe) schrieb, wann er ihre (6) erhielt. Überliefert sind von ihm sechs Korrespondenzen, von ihr keine einzige, sie sind verschollen. Da können wir nun rätseln: Wo gingen sie verloren? Oder hat der Legationssekretär der Dänischen Gesandtschaft in Wien, Georg Nikolaus Nissen (gest. 1826), der 1809 Konstanze geheiratet, den Nachlaß Mozarts geordnet und die Herausgabe seiner Werke betreut hatte, hier seine Hand im Spiel? Denn Nissen sagt: »Man ... darf seinen Helden nicht öffentlich ganz so zeigen, wie er sich selbst etwa in Abenden der Vertraulichkeit geschildert hat. Durch alle Wahrheit kann man seinem Ruhm, seiner Achtung und dem Eindrucke seiner Werke schaden.« Das ist Nissens Maxime, wie er sie in der Einleitung zu seinem Buche wörtlich ausspricht.11)
     Inzwischen jedoch konnten fast alle von Nissen gestrichenen Worte und Passagen wieder sichtbar gemacht werden. Weshalb wir heute seinen Brief vom 23. Mai ungekürzt lesen können. An diesem Tage war
Mozart vor die Stadt spaziert, wo er »in einem garten hause mit schöner aussicht ganz alleine Speisste«. Das ist alles, was wir über Berlin erfahren. Obwohl ihm doch unterwegs Interessantes genug zu Gesicht kam: die 33 schönen neuen Immediatshäuser und die Oper Unter den Linden; die Türme von Gontard (1731–1791) an der Deutschen und an der Französischen Kirche, die seit 1785 den Gendarmenmarkt flankieren. Daß er, von Wien einiges gewöhnt, die seinerzeit in Berlin existierenden 36 Hotels, die Speisehäuser, Cafés und Biergärten ebensowenig erwähnt wie die zahlreichen behördlich konzessionierten Dirnen, die Bordelle der 1. und der 2. Klasse, wundert nicht. Mozart hatte anderes im Kopf, und er sehnte sich nach Hause. »hier ist 1:t mit einer academie nicht viel zu machen, und 2:tens – sieht es der könig nicht gerne ... donnerstag den 28:ten gehe ich nach dresden ab ...« Und wo wird er am 4. Juni schlafen? »– bey meinem liebsten weiberl; – richte dein liebes schönstes nest recht sauber her, denn mein bübderl verdient es ... stelle dir den Spitzbuben vor, dieweil ich so schreibe schleicht er sich auf den Tisch ... läßt sich fast nicht bändigen ... Nun adieu – ich küsse dich Millionenmal ...«12)
     Bevor er abreiste, stand noch ein Konzert auf dem Programm. »die königin will mich dienstag hören«,13) schrieb er. Dienstag, das war der 26. Mai 1789. – Schön wäre es zu
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wissen, wer bei dem Konzert Zuhörer war. Natürlich Elisabeth (1746 – 1840), die Königin. Daß ihr Gatte dabei war, ist anzunehmen. Prinzessin Friederikes (1769–1820) Anwesenheit vermuten wir, weil Mozart beauftragt war, für sie sechs leichtere Klaviersonaten zu komponieren. Und sonst – war Duport im Saal? Der Geheime Staats- und Justizminister Wöllner (1732–1800)? Oder von Bischoffswerder (1741–1803), des Königs einflußreicher Vertrauter und sein Bruder im Rosenkreuzerorden? Vielleicht die Gräfin Lichtenau? Oder eine andere, dem König zur linken Hand Angetraute wie die Gräfin von Dönhoff (1767–1834)? –Welch ein Tummelplatz für Spekulationen!
     Am 28. trat Mozart dann die Heimreise an, enttäuscht, da seine finanziellen Hoffnungen unerfüllt blieben. Ruhm brachte kein Geld ins Haus, ein krummer Buckel schon eher.
     Wenige Wochen nach Mozart besuchte ein anderer Musiker Berlin. Und auf diesen Gast regneten goldene Ehrungen und Friedrichdors. Ob Mozart gehört hat von den Erfolgen seines Kollegen Carl Ditters von Dittersdorf (1739–1799)? Er selbst hatte nur noch zwei Jahre, bevor er, wie wir gern glauben möchten, diese letzten Worte sagte:
»Ich fühle etwas, das nicht von dieser Welt ist.«

Quellen:
1 Ernst Friedlaender: Mozarts Beziehungen zu Berlin, In: Mitteilungen für die Mozartgemeinde in Berlin, Heft 4 1897, S. 118
2 Otto Jahn: Wolfgang Amadeus Mozart, Teil IV, Hildesheim, New York 1976, S. 475
3 Otto Jahn: a. a. O., S. 477
4 Wolfgang Amadeus Mozart: Briefe und Aufzeichnungen, Gesamtausgabe, Band IV: 1787–1857, Kassel, Basel, Paris, London 1963, S. 81
5 Otto Jahn: a. a. O., S. 477
6 Wolfgang Amadeus Mozart: a. a. O., S. 86
7 Wolfgang Amadeus Mozart: a. a. O., S. 88
8 Adreßkalender Berlin und Potsdam, 1789 und 1790
9 Rudolf Köpke: Ludwig Tieck, Erinnerungen aus dem Leben des Dichters, Leipzig 1855, S. 86
10 Altpreußische Biografie, Marburg/Lahn, Lieferungen seit 1974, S. 544
11 Ernst Friedlaender, a. a. O., S. 116
12 Bernhard Paumgartner: Mozart. Leben und Werk, München, Mainz 1991, S. 17
13 Wolfgang Amadeus Mozart: a. a. O., S. 90
14 Wolfgang Amadeus Mozart: a. a. O., S. 89

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