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Harry Nehls
Der große und der kleine Brugsch

»Emil Brugsch«, so der Sohn des genialen Berliner Ägyptologen Heinrich Brugsch-Pascha, der Arzt Theodor Brugsch (1878–1963), über seinen Onkel, »ist kein Gelehrter der Ägyptologie gewesen: in Ägypten nannte man ihn den >kleinen Brugsch< im Gegensatz zu meinem Vater, dem >großen Brugsch<. Hatte er als Brugsch-Bey, der später ebenfalls zum Pascha ernannt wurde, gewissermaßen das Löwenfell meines Vaters angezogen, ohne Heinrich Brugsch (1827–1894, d.V.) zu sein, so schließt das seine großen Verdienste um das Ägyptische Museum in Kairo und dessen Organisation nicht aus. Wohl kaum ein anderer hat dem Museum mit großer Kennerschaft so viele Objekte zugeführt und Fälschungen ausgesondert. Hinzu kommt, daß er die Pharaonen entdeckt hat. Einen solchen Ruhm hätte sicherlich manch ein Ägyptologe vom Fach für sich gewünscht. Für Emil Brugsch (1842–1930, d.V.) war es das Ereignis seines Lebens – es war seine Sternenstunde. Als mein Vater gestorben war, schickte Emil Brugsch, damals noch Konservator am Ägyptischen Museum in Gizeh, eine Granitplatte, einen Sargdeckel von einem siebentausend Jahre

Heinrich Brugsch-Pascha,
genannt der »große Brugsch«.
Porträtmedaillon des Bildhauers Max Rabes
(1868–1944), 1895

alten Königsgrab aus Sakkara. Sie steht aufrecht hinter seinem Grabe, versehen mit seinem Namen, seinem Geburtstage und seinem Todestage. Das Grab befindet sich auf dem alten Luisenfriedhof am S-Bahnhof Westend.«1)
     Mit der Entdeckung der Pharaonen spielt Theodor Brugsch auf folgende Begebenheit an: 1871 hatten die drei Rassul-Brüder aus dem oberägyptischen Dorf Qurna in der Felswand über dem Hatschepsut-Tempel von Deir el-Bahri ein Versteck voller Mumien und Särge gefunden. Zehn Jahre später kam
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man den Grabräubern, die inzwischen fleißig wertvolle Grabbeigaben an reiche Touristen verkauft hatten, auf die Spur.2) Am 5.Juli 1881 betrat Emil Brugsch das Mumienversteck und begriff sofort das Sensationelle des Fundes – es handelte sich um ein in antiker Zeit von Priestern der 21. Dynastie angelegtes Depot mit den Särgen und Mumien der bedeutendsten Pharaonen der 18. bis 20. Dynastie. Daher rührt auch die spätere Bezeichnung »cachette royale«, d. h. königliches Versteck. Der kleine Brugsch traf die einzig richtige Entscheidung: Binnen sechs Tagen ließ er das Depot komplett räumen und mittels dreihundert Arbeitern und einem Dampfschiff alles nach Kairo bzw. in das dortige Museum von Bulak abtransportieren. Darunter befand sich auch die Mumie Ramses II., die ein nicht minder berühmter Berliner, Friedrich Karl Prinz von Preußen (1828–1885), zwei Jahre später im Beisein des großen und des kleinen Brugsch besichtigen sollte.
     Es ist sicherlich kein Zufall, daß Emil Brugsch, wenn auch auf andere Art, bei der Entdeckung eines zweiten Mumienverstecks in Deir el-Bahri im Jahre 1891 wieder mit von der Partie war.
     In seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« hat Theodor Fontane dem 1954 unnötigerweise »entsorgten« Jagdschloß Dreilinden im heutigen Bezirk Zehlendorf, dem einstigen Walddomizil des Prinzen Friedrich Karl, das er 1881 kennen-
gelernt hatte, ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt. Im selben Jahr fand auch Heinrich Brugsch-Pascha Zugang zur prinzlichen Tafelrunde: »In die erste Zeit meiner Ruhe fällt der Anfang jener frohen Tage, an

welchen es mir vergönnt war, durch die volle Freundschaft des Prinzen Friedrich Karl von Preußen geehrt und als sein häufiger Gast in Dreilinden . . . empfangen zu werden. Mein erster Einzug in seine Waldklause von Dreilinden . . . fand im Jahre 1881 auf eine vorangehende Einladung des Prinzen statt. Die übrigen anwesenden Gäste gehörten der Mehrzahl nach dem Soldatenstande an . . . Zu den Gästen, die der Kriegerkaste ferner standen, gehörten Gelehrte, Schulmänner, Künstler, Schriftsteller und Dichter, die von Zeit zu Zeit eine Einladung erhielten und durch ihre lehrreichen Mitteilungen den Reiz der Abwechslung in die Gespräche hineintrugen. Wer zum erstenmale das Jagdschloß von Dreilinden betrat, um an der Tafel seinen Platz einzunehmen, der mußte seinen Namen in ein aufliegendes Gedenkbuch einschreiben und der alten Sitte gerecht werden, seinen ersten Champagner aus dem dazu auserlesenen Hirschgeweih zu trinken. . . Ich setzte an und trank nach meiner Meinung etwa eine halbe Flasche Champagner, während sich thatsächlich nur ein volles Glas in dem Hirschhorn befand. Mit diesem Willkomm war ich als ebenbürtiger Gast der Tafelrunde in Dreilinden beigesellt, um mich der Gegenwart des prinz-

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Menükarte vom 27. Oktober 1891.
     Ehemals im Besitz von Heinrich Brugsch

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Prinz Friedrich Karl bei der Besichtigung der Mumie Ramses II. im Bulak-Museum am 7. Januar 1883
lichen Helden und seiner Paladine durch eine Reihe von Jahren zu erfreuen.«3)
     Ein beliebtes Gästesouvenir waren die Dreilinden-Menükarten.4) Ein Jahr nach dem Tode des Prinzen traten die Mitglieder seiner jeweils zwölf Personen zählenden Tafelrunde zu der »Vereinigung Prinz Friedrich Karl« zusammen, die sich von da an alljährlich am Tage der Übergabe von Metz (27. Oktober 1870) zu einem Gedächtnismahl für
den Verstorbenen in Berlin zusammenfanden. Aus dieser Zeit ist eine Menükarte aus dem Nachlaß des großen Brugsch überliefert, die heute im Archiv des Zehlendorfer Heimatvereins aufbewahrt wird.
     Im oberen Teil der Menükarte erscheint das mit einer Krone und Lorbeerzweigen geschmückte Porträtmedaillon des Prinzen, im unteren dessen Jagdschloß mit den eponymen drei Linden und dem im Vorder-
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grund des Rondells stehenden wikingerzeitlichen Runenstein mit der Hairulfr-Inschrift.5)
     1882 entschloß sich Friedrich Karl zu einer Reise ins »Morgenland«, wohin es im 19.Jahrhundert viele Ägyptenbegeisterte zog. Er versicherte sich der Begleitung des sachkundigen Brugsch-Pascha: »Ich (Heinrich Brugsch, d. V.) ging freudig auf den Antrag ein, und bereits gegen den Schluß des Jahres (vom 27. Dezember an) befand sich der Prinz neben seinen Mitreisenden – dem Obersten von Natzmer, dem Major von Garnier, dem Rittmeister von Kalckstein und meiner eigenen Wenigkeit – auf dem Wege nach der Hafenstadt Triest.«6) In Triest begab sich die fünfköpfige Reisegesellschaft an Bord des österreichischen Lloyddampfers »Ettore« und fuhr über Korfu nach Alexandria und von dort per Eisenbahn nach Kairo. Hier, genauer im Ägyptischen Museum von Bulak, wo der fünfzehn Jahre jüngere Bruder des großen Brugsch von 1871 bis 1914 als Konservator und brillanter Fotograf tätig war, besichtigte der Prinz die aus dem oben erwähnten Deirel-Bahri-Depot stammende Mumie Ramses II. Der Reiseteilnehmer Franz Xaver von Garnier (1842–1916), ein überaus begabter Zeichenkünstler, hat diesen Moment im Bild festgehalten. Nach einer dreiwöchigen Nilexpedition (Theben, Luxor, Karnak, Assuan und Philae) kehrte die Reisegesellschaft nach Kairo zurück, wo der kleine Brugsch den Prinzen und seine

Emil Brugsch-Bey, genannt der »kleine Brugsch«.
Fotografie, um 1880

Begleiter zu den Pyramiden von Sakkara führte. – Zu den bedeutendsten antiken Mitbringseln des Prinzen von seiner Orientreise gehörte ein palmyrenisches Jünglingsköpfchen, das noch heute – eingemauert in die südliche Innenhofwand des Schlosses Glienicke – zu besichtigen ist, und die in einer reich dekorierten Kartonagehülle liegende Mumie der Dame Neschonsupachrod, die laut Heinrich Brugsch »von irgendeinem
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   50   Probleme/Projekte/Prozesse Der große und der kleine Brugsch  Vorige SeiteNächste Seite
fellachischen Schatzgräber in der Nähe der Memnonien« (Nekropole von Theben) illegal ausgegraben worden war. Von diesem Schatzgräber erstand sie der in Luxor amtierende preußische Konsularagent Theodoros Boulos (um 1820–1898), der sie schließlich in der Nacht des 20. Januar 1883 heimlich an Bord des vor Luxor ankernden prinzlichen Nilschiffes geschmuggelt hatte.7) Mitte April 1883, unmittelbar nach Beendigung der abenteuerlichen Orientreise, »fand in Dreilinden eine antiquarische Feierlichkeit statt, zu der ausser den Theilnehmern der Reise eine auserlesene Schaar von Gästen durch eine prinzliche Einladung beehrt war. Nach dem Diner lud der Prinz seine Gäste ein, sich in den neuangebauten geschmackvollen Billardsaal des hübschen Jagdhauses zu begeben. Ein reich bemaltes altägyptisches Todtenbild lag auf dem grünen Tuche. Es enthielt die Mumie . . . Die bunte Cartonhülle wurde geöffnet, die Mumienbinden gelöst und der braune wohlerhaltene Körper einer Jungfrau, die in der Blüthe ihres Daseins das Zeitliche verlassen hatte, enthüllte sich vor den Blicken der Anwesenden. Kein Amulet, kein Schmuckgegenstand, keine Papyrusrolle fand sich . . . vor. Die Enttäuschung war eine allgemeine. Die Jungfrau hatte schließlich die weite Reise nach Dreilinden zurückgelegt, um nach dem Befehle des Prinzen ihre letzte Ruhestätte in der ägyptischen Abtheilung der Königlichen Museen in Berlin zu finden. Wer sie dort sehen will, frage nach No. 8284.«8) Was Heinrich Brugsch in seinem Reisebericht merkwürdigerweise nicht erwähnt, ist, daß die Mumie von keinem geringeren als dem Arzt Dr. Carl Friedel (1834–1885), dem Bruder des bekannten märkischen Geschichtsforschers und erstem Direktor des 1874 in Berlin gegründeten Märkischen Provinzialmuseums Ernst Friedel (1837–1918), ausgewickelt wurde. Die vor zehn Jahren restaurierte Mumienkartonage sollte 1989 abermals auf Reisen gehen; diesmal nach Oberösterreich, wo sie für ein halbes Jahr als Exponat der Ägypten-Ausstellung im Linzer Schloßmuseum fungierte.9) 1997 und 1998 gastierte sie für jeweils drei Monate im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe bzw. in den Hallen am Berliner Kulturforum in der Ausstellung »Das Geheimnis der Mumien – Ewiges Leben am Nil«.
     Im Zusammenhang mit der zuletzt genannten Ausstellung sei die Aufmerksamkeit noch kurz auf eine dort präsentierte Farbkopie eines großformatigen Ölgemäldes gelenkt, die unmittelbar zwischen den beiden Glasvitrinen mit der besagten thebanischen Mumienkartonage der Neschonsupachrod und den drei Ansichten von Dreilinden auf einer senkrecht herabfallenden Stoffbahn montiert war. Das bislang unpublizierte Bild10) stammt von dem nicht näher bekannten Maler Paul Dominique Philippoteaux, einem Sohn des Historienmalers Felix Emmanuel Henri Philippoteaux (1815–1884). Es
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zeigt die am 31. März 1891 von dem Mediziner Daniel Marie Fouquet (1850–1914) im Ägyptischen Museum zu Gizeh vorgenommene Auswicklung einer auf einem Tisch liegenden mumifizierten Amonspriesterin der 21. Dynastie. Die Frauenmumie stammt aus einem Mumien- und Sargdepot von Amunspriestern, das nur kurze Zeit zuvor, am 4. Februar 1891, von dem damaligen Generaldirektor des ägyptischen Antikendienstes Eugène Grébaut (1846–1915) – wiederum in Deir el-Bahri – entdeckt worden war. Neben Fouquet und Grébaut wohnen folgende Personen der Auswicklungsprozedur bei: der Diplomat Jacques-Marie- Ferdinand-Frédéric Marquis de Reverseaux (1845–1916), der Hilfskonservator des Museums Georges Emile Jules Daressy (1864–1938), der Museumssekretär Henri Bazil, der Generalsekretär des Staatlichen Verkehrsministeriums Jean Barois, der Direktor der Französischen Archäologischen Mission in Kairo, Urbain Bouriant (1849–1903), und – last but not least – unser kleiner Brugsch. Der Erwerb des Originalgemäldes, dessen derzeitiger Aufbewahrungsort wohl nur Eingeweihten bekannt ist, wäre für Berlin ein kulturgeschichtlich wertvoller Gewinn.

Quellen und Anmerkungen:
1      Theodor Brugsch, Arzt seit fünf Jahrzehnten, Berlin 1957, S. 30 f.
2      Darunter auch den Totenpapyrus des Pharaos Pinodjem II. (um 1000–970 v. Chr.) aus der 21.Dynastie, den Sir Archibald Campbell (1835–1908) 1875 für 400 £ erwarb. Er befindet sich seit 1960 im Britischen Museum in London (Inv. Nr. EA 10793).
3      Heinrich Brugsch, Mein Leben und mein Wandern, Berlin 1894, S. 362 f.
4      Vgl. Schloß Glienicke. Ausstellungskatalog Berlin 1987, S. 398 Nr. 249
5      Dazu ausführlich: H. Nehls, Das »trojanische Pferd« des Prinzen Friedrich Carl. Zur Geschichte des Runensteins vom Jagdschloß Dreilinden, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 42, 1991, S. 111 ff.
6      Heinrich Brugsch, a. a. O., S. 367
7      Dazu ausführlich: H. Nehls, Die Mumie der Amonssängerin aus Theben. Eine Schenkung des Prinzen Friedrich Karl v. Preußen, in: Museums-Journal 4, 1990, S. 24 f.
8      Heinrich Brugsch, Prinz Friedrich Karl im Morgenlande, Frankfurt/Oder 1885, S. 239 f.
9      Vgl. Wilfried Seipel, Ägypten. Götter, Gräber und die Kunst – 4000 Jahre Jenseitsglaube. Ausstellungskatalog Linz 1989, S. 306 Nr. 475
10      Ohne nähere Erläuterung erstmals abgebildet in: Andreas Conrad, Die Mumie des roten Prinzen, in: Der Tagesspiegel Nr. 16264 vom 28. 2. 1998, S.12

Bildquellen:
Foto Willi Wohlberedt (um 1936), Zeichnung Franz Xaver v. Garnier, Archiv des Heimatvereins Berlin-Zehlendorf, Archiv des Verfassers

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