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stand aufgeheitert war, seine Freunde
den zärtlichsten Freund und ich einen
Gefährten auf dem Wege zur Wahrheit, der
mich vor Fehltritten warnete.« Mendelssohns Nekrolog betrifft einen jung verstorbenen Philosophen, dessen geistiger Mittelpunkt die Freundschaft zu dem jüdischen Philosophen und dem Berliner
Verleger Friedrich Nicolai (17331811) sowie die Zuneigung zur Hauptstadt Preußens war.
Thomas Abbt wurde am 25. November 1738, zwei Jahre vor der Thronbesteigung Friedrichs II., in Ulm, dem wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt Ostschwabens, geboren. Er starb am 3. November 1766 infolge eines Hämorrhidalleidens, das ihm sein kurzes Leben bitter vergällte, als Hof- und Regierungsrat der Grafen von Schaumburg- Lippe in Bückeburg. Diese Zeit war geprägt von den Spannungen und Kriegshandlungen des Siebenjährigen Krieges, die im Deutschen Reich den Blick auf die Eroberungsfeldzüge Friedrichs II. lenkten. Abbt studierte seit 1756 in Halle Theologie, Philosophie und Mathematik. Nach der Ablegung des Magister- Examens war er für kurze Zeit Privatdozent, bevor er 1760 außerordentlicher Professor der Philosophie zu Frankfurt an der Oder wurde; seit 1761 lehrte er als Professor der Mathematik an der Universität der Weserstadt Rinteln und wurde schließlich, nach einer längeren Reise, die ihn durch Oberdeutsch- | ||||||
Michael Zaremba
Philosoph und Freund Berlins Thomas Abbt Der Berliner Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn (17281786; BM 1/95) hat die Schrift »Phädon oder über die
Unsterblichkeit der Seele« seinem Freunde
Thomas Abbt gewidmet. Mendelssohn notiert in der Vorrede bedauernd: »Allein es hat der Vorsehung gefallen, dieses aufblühende Genie vor der Zeit der Erde zu entziehen. Kurz und rühmlich war die Laufbahn, die er hienieden vollendet hat. Sein Werk vom Verdienst wird den Deutschen ein unvergeßliches Denkmal seiner eigenen Verdienste bleiben: mit seinen Jahren verglichen, verdienet dieses Werk die Bewunderung der Nachkommenschaft. Was für Früchte konnte man von einem
Baume hoffen, dessen Blüte so vortrefflich war.
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land und die Schweiz führte,
»Patronus Scholarum« in Bückeburg. Aber die
glücklichste Zeit, die ein beständiger
Bezugspunkt seines Lebens blieb, waren die Monate
von Mai bis Oktober 1761, als Abbt bei Nicolai und Mendelssohn in Berlin weilte.
Im literarischen Deutschland ist Thomas Abbt durch seine Schrift »Vom Tode fürs Vaterland« bekannt geworden, die er 1760, ein Jahr nach der Niederlage Friedrichs II. bei Kunersdorf, verfaßt hat und die im Verlag Nicolais veröffentlicht wurde. Seit seiner Bestallung in Frankfurt an der Oder preußischer Bürger, sollte der patriotische Text die Berufung nach Berlin begünstigen. Die Schrift ist jedoch kein Soldaten- Brevier, zumal dem körperlich schwächlichen Philosophen nichts ferner lag als das Leben eines Kriegers. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von Bürger und Staat in der aufgeklärten Monarchie, das von politischer Tugend geprägt ist. Tugend sollte in einem gefühlsmäßigen und geistigen Bekenntnis zu einer vernünftigen Staatsform bestehen: »Die Stimme des Vaterlands kann nicht mehr erschallen, wenn einmal die Luft der Freiheit entzogen ist. Aber, wo man diese Luft noch athmet, ob sie gleich nicht heftig, niemals mit Ungestüm daher rauscht, da muß der Fehler am Gehör liegen, wenn des Vaterlands Stimme nicht gehört wird.« Vor der politischen Tugend tritt die ständestaatliche Ordnung in den Hintergrund: »Alles vereinigt sich, und stellt sich unter | dem vormals so herrlichen Namen
eines Bürgers dar.«
Die Ideenwelt Abbts ist einerseits von dem Schweizer Arzt und Popularphilosophen Johann Georg Zimmermann (17281795) geprägt, dessen Schrift »Von dem Nationalstolze« (1758) eine vergleichbare Position vertrat. Andererseits ist der Einfluß von Christian Freiherr von Wolffs Staatsphilosophie nicht zu übersehen, die Thomas Abbt in Halle kennengelernt hatte. Die patriotische Schrift sollte allerdings nicht frei von Kritik bleiben. Nicolai wies im Roman »Sebaldus Nothanker« (17731776) auf die Möglichkeit hin, daß aufgrund eines regional begrenzten Vaterlandsstolzes Deutsche gegen Deutsche kämpfen könnten. Der Wunsch nach einer Berufung durch Friedrich II. sollte niemals in Erfüllung gehen. In Rinteln hatte er wegen seiner Einsamkeit und Krankheit »Aufhängegedanken«. Er schrieb nach Berlin: »Bitten Sie unseren gemeinschaftlichen Herrn, unter welchem Namen er auch am liebsten will gebeten seyn, daß er mich von Rinteln und von den Universitäten erlösen und zu ihnen nach Berlin, mit einem mäßigen Auskommen, bringen möge.« Die Sehnsucht nach seinen Berliner Freunden sollte wenigstens ein halbes Jahr lang gestillt werden. Vom Frühjahr bis zum Herbst 1761 besuchte Abbt die preußische Hauptstadt. Dort lernte er außer Nicolai | ||||
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und Mendelssohn den Lyriker und
Übersetzer Karl Wilhelm Ramler (17251798; BM 4/98) und den Anakreontiker Ludwig Gleim (17191803) sowie viele andere
Kulturträger kennen. Lessing (17291781), Thomas
Abbts schriftstellerisches Vorbild, war
während dieser Zeit Sekretär des Grafen
Tauentzien in Breslau, was eine persönliche
Begegnung unmöglich machte. Nicolai führte den jungen Autor in den 1749 gegründeten »Montagsclub« ein, dessen
Mitgliederzahl auf 24 beschränkt war und in dem sich die »Standes- und Geistesaristokratie«
Berlins traf. Friedrich Nicolais Haus in der Spandauer Straße 68 stand dem Besucher offen, denn der Verleger hatte ein besonderes Interesse: Abbt sollte Rezensent
der »Briefe, die Neueste Litteratur
betreffend« werden. Die Literaturbriefe erschienen bogenweise alle Donnerstage von Januar 1759 bis Juli 1765 und waren das
wichtigste literaturkritische Organ Deutschlands.
Lessing trug einen wesentlichen Anteil an den Briefen, daneben schrieben unter anderen Nicolai und Mendelssohn. Thomas Abbt trat schließlich als Nachfolger Lessings der Zeitschrift als Rezensent bei. Die Briefe, die der junge Professor von Rinteln aus an die Berliner Freunde schrieb, zeugen von Isolation und Vereinsamung. Sein Verlangen galt trotz der »grossen Theuerung« in Berlin einer Berufung durch den preußischen König und der Nähe von Mendelssohn und Nicolai: »Berlin ist noch | der einzige Ort in Deutschland, wohin
ich mich wünsche, aus Ursachen, die Sie
leicht errathen werden.« Selbst von Bückeburg aus sehnt sich Abbt zurück: »Ich
zweifele also nicht, daß der gütige Himmel
einmal Gelegenheit schicken werde, Berlin zu sehen.« Sein Herzenswunsch sollte nicht mehr in Erfüllung gehen. Nicolai gelang es, Abbt als Rezensenten für die
»Allgemeine Deutsche Bibliothek« zu gewinnen. Die
Zeitschrift erschien vierteljährlich von 1765
bis 1792. Sie war der Versuch, »eine
allgemeine Nachricht von der ganzen deutschen Litteratur vom Jahre 1764 an« zu
bringen, schreibt Nicolai im Vorbericht. Abbt
brachte es innerhalb der wenigen Jahre, die ihm vergönnt waren, auf 37 Aufsätze.
Thomas Abbts Hauptwerk »Vom Verdienste« erschien 1765 im Verlag von Nicolai. Der Veröffentlichung geht ein umfangreicher Briefwechsel voraus, in dem sich der Verleger und Mendelssohn bemühen, Abbts Sprachstil, den sie als »seltsam und sonderbar« bezeichnen, zu verbessern. Die Schrift erschien zu einer Zeit, die ein Nachdenken über anerkennungswerte Leistungen von Bürgern nahelegte. Friedrich II. hatte im Jahre 1740 den Orden »Pour le mérite« gestiftet, der für Kriegs- oder Friedensverdienste verliehen wurde. Der Grundgedanke, das Verdienst aller Bürger für das Staatswesen zu ehren, entsprach dem rationalen Zeitgeschmack, der die Vernunft zum Prinzip der Staatsräson erhob. Abbt | |||||
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untersuchte anhand historischer
Beispiele die »Größe des Geistes«, die »Stärke der Seele«, die »Güte des Herzens« und
das »Wohlwollen«. Dabei werden Eroberer, Soldaten und Heilige ebenso betrachtet wie Schriftsteller, Künstler, Prediger und Privatleute, da das Verdienst für Staat
und Gemeinschaft unabhängig von Standesunterschieden ist. Abbts Schrift, welche die Tugendwelt des modernen patriotischen Bürgers beschrieb, wurde zu einem vielbeachteten Buch, das ihn überregional bekannt machte.
Der deutsche evangelische Theologe Johann Joachim Spalding (17141804), ab 1764 Oberkonsistorialrat in Berlin, hatte ein Buch mit dem Titel »Über die Bestimmung des Menschen« verfaßt, wozu Mendelssohn eine grundlegende Stellungnahme schrieb. Der jüdische Philosoph und der protestantische Professor der Philosophie, Abbt, pflegten zu diesem Thema einen ausgedehnten Briefwechsel, der geistesgeschichtlich von Interesse ist. Abbts Rezension, für die Literaturbriefe verfaßt, ist eine der schönsten Textpassagen in seinem Werk. Die philosophische Diskussion zwischen den Freunden regte Mendelssohn zur platonischen Schrift »Phädon« (1767) an. Abbt widmete sein Schaffen unterschiedlichen Themen, unter anderem schrieb er »Ueber die Freundschaften der Frauenzimmer«, »Von der Furcht bei Sonnen- und Mondfinsternissen« und eine Lebensbeschreibung | des Philosophen Alexander
Baumgarten (17141762).
Sein Nachfolger in Bückeburg, Johann Gottfried Herder (17441803; BM 8/94), war einer der prominentesten Förderer von Abbts Schriften, ohne ihm jemals persönlich begegnet zu sein. Außer Mendelssohns Gedenkschrift erschienen als Nachruf Nicolais »Ehrengedächtnis« und eine Ode von Christian Schubart (17391791). Das wichtigste literarische Denkmal setzte Herder, der in dem Text von 1768 »Über Thomas Abbts Schriften. Der Torso von einem Denkmal, an seinem Grabe errichtet« grundlegende Erkenntnisse über das Verfassen biographischer Werke vermittelte. Herder wurde insbesondere von dem geschichtlichen Sinn, dem »pragmatischen Gebrauch der Historie« Abbts beeinflußt. Tatsächlich ist Herders historisch- individualisierende Geschichtsphilosophie ohne die Vorarbeit des Verstorbenen kaum vorstellbar. Die zahlreichen Würdigungen können indes nicht von dem traurigen Schicksal des Philosophen ablenken: Die schlimme Krankheitsgeschichte des jungen Weltweisen, seine tiefe Sehnsucht nach Freunden, die sich im Briefwechsel kundtut, sowie seine Unzufriedenheit mit den beruflichen Lebensumständen, die ein Wirken in Berlin ausschlossen, sind tragische Aspekte eines unglücklichen Lebens. Herder schreibt: »Ich sahe seinen Schatten vor mir, | ||||
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der mich an sein frühes Grab winkte:
ich folgte ihm, überdachte, was Deutschland
an ihm verloren, und kam so wie Hamlet von seiner Erscheinung, mit einem
Denkwort zurück, seine Asche zu ehren.«
Denkanstöße In dem vollkommen seyn, worein man gesetzt ist, verschaffet wahren Werth und
auch wahre Glückseligkeit.
Die unentbehrlichste Wissenschaft für
jeden ist, zeitig genug zu erfahren, nicht nur, wozu er tauglich sey; sondern auch, wozu er tauglich zu seyn, Erlaubnis und Beruf habe.
Allein, wenn ein allgemeines Bestes statt finden (soll; d. Verf.), (und dieses findet sich bey allen Gesellschaften,) so muß es auch nur eine einzige politische Tugend geben. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, verschwindet der Unterschied
zwischen Bauer, Bürger, Soldat und Edelmann.
Alles vereinigt sich, und stellt sich unter dem vormals so herrlichen Namen eines Bürgers dar.
Lasset uns diese zerstreueten Stralen des | Verdienstes sammeln, und in ein
deutliches Bild ordnen: Handlungen, oder
überhaupt Thätigkeit, die andern zum Nutzen,
aus freyer Entschließung und reinen
Absichten, oder, welches einerley ist, aus Wohlwollen zu einem erheblichen Zwecke durch
Seelenkräfte, ausgeübt worden, diese können wir Verdienst nennen. Jedem Menschen kömmt daher einiges Verdienst zu.
Denn wer ist wohl so gänzlich kraftlos, daß
er durch seine Entschließung und durch seine Einsicht keinem andern Gutes thun könnte? Aus: Vom Verdienste Quelle: Thomas Abbts vermischte Werke. Nicolai: Berlin und Stettin 1768/81 | |||||
© Edition Luisenstadt, 1998
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