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Uwe Michas
Ausgrabungen in Rosenthal

Vom 14. April bis zum 28. August 1998 fanden in Berlin-Pankow, Ortsteil Rosenthal, im Vorfeld von Baumaßnahmen der Gemeinnützigen Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin (GEWOBAG), die hier einen Wohnpark plant, archäologische Ausgrabungen auf dem ehemaligen Gutshof statt.
     Rosenthal gehört zu den Dörfern, die im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts im Zuge der deutschen Besiedlung des Barnim angelegt wurden, wobei es mit einer Ausstattung von 72 Hufen nach Friedrichsfelde (104 Hufen) das größte Dorf im Berliner Raum war. Der ehemalige Gutshof liegt direkt am Anger in der Dorfmitte, östlich der Kirche. Im Jahre 1356 wurde dieser Ort als Rosendalle erstmals erwähnt, und im Landbuch Kaiser Karls IV. (1316–1378, Kaiser ab 1347) von 1375 werden die genauen Besitzverhältnisse aufgeführt. Die wichtigsten Rechte besaß die Familie von Krummensee, so einen Teil der Pacht, die Bede, den Wagendienst sowie die hohe Gerichtsbarkeit. Diese Rechte wurden der Familie im Jahre 1416 und im Landschoßregister von 1451 noch einmal bestätigt. Die Krummensees gehörten zu den angesehensten und reichsten Adligen auf dem

Barnim, insbesondere um die Stadt Altlandsberg, die sie 1409 kauften.
     Im Jahre 1547 verkauften die Krummensees Rosenthal an Michael Happe, der durch Auskauf die Grundlagen für ein Rittergut schuf. Die folgenden Besitzer erweiterten den Hof auf zwölf Hufen. 1567 erwarb Kurfürst Joachim II. (1505–1571, Kurfürst ab 1535) Dorf und Rittergut und überließ es seiner Geliebten Anna von Sydow. Zwischen 1574 und 1694 gab es erneut verschiedene Besitzer. 1694 war Rosenthal wieder im Besitz der Hohenzollern. Friedrich III./I.
     (1657–1713, König ab 1701) ließ hier, auf dem heutigen Gutsgelände, ein kleines Lustschloß und einen Park anlegen. Von dieser Anlage gibt es einen Grundriß auf der Karte von 1707 sowie eine Zeichnung von Broebes, die 1737 veröffentlicht wurde. Beide Darstellungen weichen stark voneinander ab, und es stellte sich die Frage nach der tatsächlichen Lage und Größe. Nachweislich war das Schloß mehrmals Ziel eines Ausflugs der königlichen Familie, doch hatte der Nachfolger des ersten preußischen Monarchen, Friedrich Wilhelm I. (1688–1740, König ab 1713), der Soldatenkönig, kein Interesse für solch kostspielige Bauten außerhalb der Residenz. Rosenthal gehörte ab 1726 zum Domänenamt Niederschönhausen und wurde verpachtet. Zwar gab es noch 1754 eine Beschreibung des Schlosses, doch soll es schon völlig zerfallen gewesen sein. Auf der Karte von 1780 sind Schloß und Garten verschwunden.
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Das Gelände wurde seither als Gutshof genutzt, mit wechselnder Bebauung. Nach 1990 wurde bis auf die drei denkmalgeschützten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert alles abgerissen. Lage und Bebauung des Gutes ließen die Archäologen hoffen, nicht nur auf die Reste des Schlosses zu stoßen, sondern auch mittelalterliche Funde zu machen, die Hinweise auf die Zeit vor der Ersterwähnung 1356 geben könnten. Von dem 20 000 Quadratmeter großen Gelände waren zwei Drittel archäologisch nicht relevant, denn bis zur Anlage des Nordgrabens war dieses Gebiet eine feuchte Niederung, die als nicht bebaubar galt. Die Ausgrabung beschränkte sich auf den unmittelbaren Hofbereich vor der ehemaligen Landarbeiterkaserne sowie auf den Bereich vom Gutshaus bis zur Nordgrenze des Grundstücks.
 

Rosenthal Ende des 13. Jahrhunderts, Rekonstruktionsversuch

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Schon die ersten Arbeiten im Bereich vor der Landarbeiterkaserne ergaben mehrere Pflasterschichten aus verschiedenen Jahrhunderten. Unmittelbar unter der heutigen Oberfläche fand sich ein Feldsteinpflaster, das in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts datiert werden konnte. Etwa 30 Zentimeter unter diesem Befund wurde ein weiteres großflächiges Pflaster dokumentiert, welches einen kleinen künstlichen Teich umschloß. Dieser Teich hatte wohl nur dekorative Aufgaben und wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts angelegt, aber sehr schnell wieder zugeschüttet.
     Ebenfalls im Hofbereich, in 24 Meter Entfernung parallel zum Landarbeiterhaus, wurden auf einer Länge von 25 Metern
gedeckt worden sein. Zur Gartenseite war eine massive Galerie erbaut worden, deren Reste südlich vom Gutshaus entdeckt wurden. Zum Schloß kann vorläufig gesagt werden, daß die freigelegten Fundamentreste einen Teil der bildlichen und schriftlichen Überlieferungen bestätigen. Die Streifenfundamente weisen auf einen Bau im Fachwerkstil hin und stimmen mit der Zeichnung von Broebes aus dem Jahre 1737 überein. Der Grundriß der Anlage auf der Karte aus dem Jahre 1707 fand durch die Ausgrabung keine Bestätigung und muß wohl als eine Art Konzeption für den Bau des Schlosses angesehen werden.
     Neben diesen Befunden, die erhebliche Lücken in der neuzeitlichen Baugeschichte
Reste von Streifenfundamenten freigelegt. Jeder dieser Streifen war zwischen 50 Zentimetern und einem Meter breit und aus Ziegeln, Feldsteinen und Rüdersdorfer Kalksteinen sowie Mörtel gemauert. Bei diesem Befund handelt es sich um die Reste des östlichen Schloßflügels, die die Beschreibung aus dem Jahre 1754 bestätigen. Hier wird von zwei im Dreieck gebauten Flügeln mit zwei Stockwerken gesprochen. Es soll in Holz ausgeführt, gemeint ist Fachwerk, einen Stein hoch verblendet und mit Ziegeln

Reste des Wohnturms nach Beendigung der Grabung
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Lageplan für die Grabung Rosenthal
schließen konnten, wurden im nördlichen Teil der Grabungsfläche Reste der mittelalterlichen Bebauung ausgegraben. Als erstes wurde ein etwa drei mal drei Meter großer Holzkeller freigelegt. Der Keller, eine Balkenkonstruktion, war mit Spaltbohlen verschalt. Der Kellerboden bestand aus Stampflehm und war teilweise mit Holzdielen ausgelegt. Der gute Erhaltungszustand ist auf eine Brandkatastrophe zurückzuführen, die das Holz verkohlen ließ und es so vor dem Verfall im Boden schützte. Aus dem Keller wurden unter anderem mehrere vollständige Gefäße geborgen, was eine erste Datierung der Anlage in die Mitte des 13. Jahrhunderts ermöglichte. Der gute Erhaltungszustand des Holzes ließ eine dendrochronologische Datierung zu. Es konnte festgestellt werden, daß der zur Probe geborgene Balken aus Fichte besteht. Der Baum wurde 1230 gefällt und verarbeitet. Damit liegt für den Stadtbezirk Pankow zum erstenmal ein archäologischer Befund aus der deutschen Einwanderungszeit, dem
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ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, vor. Er bestätigt die bisherige Vermutung, daß die Dörfer auf dem Territorium des heute nördlich der Spree gelegenen Teils von Berlin zwischen 1220 und 1230 gegründet wurden.
     Im Gelände an der nördlichen Grenze des Grundstücks wurden neben einigen mittelalterlichen und neuzeitlichen Abfallgruben die Fundamentreste eines Bauwerkes entdeckt. Im Planum zeigte sich der Befund zunächst als ein weiteres Feldsteinpflaster. Nach Abtragen dieses Pflasters kamen ein fünf mal fünf Meter großes Kellerfundament sowie die Reste eines dazugehörigen Anbaus zutage. Der südliche Teil des Fundaments war durch einen im Zweiten Weltkrieg angelegten Splittergraben zerstört worden. Die Fundamentstärke liegt zwischen 80 und 100 Zentimetern. Als Material waren bis zu 70 Zentimeter große Feldsteine verwendet worden, die für die Innenseite des Kellers behauen und geglättet wurden. Als Bindemittel hatte man ausnahmslos Lehm verwendet. Im Bereich des Anbaus führte ein rampenartiger Eingang in den Keller.
     Im Keller fand sich eine große Anzahl von Feldsteinen, die ursprünglich zum Fundament gehörten und zum Teil ebenfalls geglättet waren. Auch wurden zahlreiche Keramikreste, Eisenteile, Knochen und Kachelreste geborgen. Dieser Befund gehört zu einem Wohnturm, der einem Adligen als Wohnsitz diente. Nur der untere Teil des Gebäudes war aus Feldstein gemauert worden,
der Rest, wahrscheinlich zwei Stockwerke, wurde in Fachwerkbauweise errichtet. Der Anbau war ein direkt an den Turm angebautes Treppenhaus, von dem aus man die oberen Stockwerke und den Keller erreichen konnte. Reste einer Befestigung wurden nur andeutungsweise gefunden, so Fragmente eines Flechtwerkzauns. Die ständigen Umbauten und Überformungen des Geländes, vor allem in den letzten dreihundert Jahren, haben hier zahlreiche Spuren verwischt.
     Die aus den untersten Schichten geborgene Keramik datiert den Turm in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts. Mit einiger Sicherheit kann auch das Ende des Turmes festgelegt werden. Die in den obersten Schichten gefundene Keramik stammt aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert. So werden der Abbruch des Gebäudes und die Überpflasterung der noch sichtbaren Reste im Zusammenhang mit dem Bau des Schlosses um 1690 stehen. Ob der Turm in seiner fast vierhundertjährigen Existenz ausschließlich als Wohnturm genutzt wurde, ließ sich nicht feststellen. Er wurde auf jeden Fall mehrmals umgebaut oder repariert. So wurde zum Beispiel der Kellereingang wahrscheinlich im 14. oder 15. Jahrhundert zugemauert, und es fand sich Keramik aus dem 16. Jahrhundert im Mauerwerk, die man hier bei Reparaturen mit verwendet hatte.
     Unstrittig ist, daß dieser Wohnturm zum hiesigen Adelssitz derer von Krummensee
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gehörte. Auch die Errichtung des Turmes in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kann mit den Krummensees in Verbindung gebracht werden. Laut Landbuch von 1375 besaßen sie zwar »erblich von Alters her« in Rosenthal wichtige Rechte, jedoch kein Land. Dies ist ein Indiz dafür, daß die Krummensees nicht die Gründer (Lokatoren) des Dorfes waren, denn die adligen Lokatoren erhielten vom Markgrafen meist sechs abgabefreie Hufen. So ist es wahrscheinlich, daß sie in Rosenthal die Rechte sowie gleichzeitig das Grundstück an der Kirche für den Bau des Turmes erwarben. Es gibt allerdings noch einen weiteren Umstand, der die Krummensees so relativ spät hier auftreten ließ. Sie gehörten nicht zum Gefolge der Brandenburger Markgrafen, sondern waren wahrscheinlich mit den Meißner Markgrafen in den Barnim gekommen. Ihr Hauptsitz, das Dorf Krummensee nahe Altlandsberg, liegt im östlichen Teil des Barnims. Es wird angenommen, daß sie hier den Namen Krummensee aus dem im Teltow, südlich von Königs Wusterhausen, gelegenen Krummensee übertrugen. Beide Dörfer liegen in dem Gebiet, das der Markgraf von Meißen gegen Ende des 12. Jahrhunderts eroberte. Erst in den Jahren 1240 bis 1245 konnten die Brandenburger diese Landschaften mit dem Zentrum Köpenick erobern. Die Krummensees werden nicht die einzigen gewesen sein, die ihrem neuen Herren den Lehnseid leisteten und Rechte in anderen Dörfern erwarben. Mit der Entdeckung eines bis dato unbekannten Adelssitzes konnte der Erforschung der Lebensumstände dieses Standes in den mittelalterlichen Dörfern auf dem heutigen Berliner Gebiet ein weiterer Aspekt hinzugefügt werden. Daß der Rosenthaler Wohnturm kein Einzelfall ist, zeigen ähnliche Befunde in Tempelhof und Mariendorf, die in den sechziger und siebziger Jahren dokumentiert wurden. Die Rolle und Stellung dieser und ähnlicher niederadliger Befestigungen in den dörflichen Strukturen können nur durch weitere Ausgrabungen geklärt werden. Die anhaltende Bautätigkeit in der Hauptstadt läßt darauf hoffen, daß den Archäologen weiterhin die Möglichkeit gegeben wird, solche und andere Fragen der Berliner Geschichte zu klären.

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© Edition Luisenstadt, 1999
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