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Horst Wagner
Der letzte Weg der Rosa Luxemburg

»Genau dem angegebenen Programm entsprechend, fand heute mittag unter großer Beteiligung der Berliner Arbeiterschaft die Beisetzung Rosa Luxemburgs statt.« So die »Vossische Zeitung« in ihrer Abendausgabe vom Freitag, dem 13. Juni 1919, an der Spitze eines längeren Berichtes. Der zu gleicher Zeit erscheinende »Berliner Lokal-Anzeiger« fand bemerkenswert: »Sechs Kranzspenden waren bereits heute morgen am Sarge niedergelegt worden, darunter ein großes Blumengebinde mit roten Schleifen der Petersburger Sowjetregierung und der russischen Akademiker.«
     Beiden Blättern konnte man übereinstimmend entnehmen, daß der Sarg mit der Leiche Rosa Luxemburgs, die bekanntlich fünf Monate im Landwehrkanal gelegen hatte, gegen 10 Uhr vom Berliner Leichenschauhaus zur »Spielwiese« im Friedrichshain gebracht wurde, wo um 11 Uhr eine große Trauerfeier stattfand, an der über 20 000 Personen teilnahmen. »Mitglieder der KPD und der USPD«, so der »Lokal-Anzeiger«, »hatten sich in den einzelnen Stadtteilen versammelt und zogen in geschlossenen Zügen in den Friedrichshain.« Bilder Rosa

Luxemburgs und ihres Kampfgefährten Karl Liebknecht seien ebenso mitgeführt worden wie Tafeln, welche die Betriebe kennzeichneten, aus denen die Demonstranten kamen. Drei- bis vierhundert Kränze seien niedergelegt worden, darunter vom Berliner Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte, von den sozialdemokratischen Stadtverordneten Groß-Berlins, von verschiedenen USPD- und KPD-Organisationen sowie ein Kranz, »den 20 im Zuchthaus Werle sitzende Mitglieder der Kommunisten gestiftet hatten«.
     Von sechs inmitten des Rondells stehenden Wagen wurden Ansprachen gehalten, u. a. vom KPD-Mitbegründer Hugo Eberlein (1887–1940), der später stalinistischem Terror zum Opfer fiel. »Nach Beendigung der Ansprachen«, so die »Vossische Zeitung«, »setzte sich der gewaltige Trauerzug in Bewegung.« Bei drückender Hitze zogen »etwa 25 000 Personen durch die Langenbeckstraße, Landsberger Allee, Petersburger Straße, Frankfurter Allee zum Friedhof Friedrichsfelde«. Die Straßenzüge waren »dicht umsäumt von Menschen«.
     Von der gegen drei Uhr nachmittags beginnenden Beisetzungsfeier auf dem Friedhof Friedrichsfelde berichteten die Reporter der »Vossischen« und des »Lokal-Anzeigers« nicht, da »nur die Kranzdelegationen und einige hundert mit besonderen Eintrittskarten versehene Personen Zutritt hatten«. Dafür kann man dem »Lokal-Anzeiger« entnehmen, daß »aus Anlaß der Beisetzung
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von Frau Luxemburg« die Arbeit »in einer größeren Anzahl von Werken ganz oder teilweise ruhte«. So u. a. bei Knorr-Bremse, Schwartzkopff, AEG, Borsig sowie bei Daimler in Marienfelde.
     Am Grab von Rosa Luxemburg in Friedrichsfelde sprachen ihre Freundin Clara Zetkin (1857–1933) und der Rechtsanwalt der Ermordeten, Paul Levi (1883–1930), der zu dieser Zeit KPD-Vorsitzender war. Eine Jung-Genossin flocht in ihre Rede die Hymne Heinrich Heines ein: »Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme, ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit ...«1)
     Fast ein Jahr vor dieser bewegenden Trauerfeier, im August/September 1918, hatte Rosa Luxemburg, damals 47 Jahre alt, wegen Antikriegs-Propaganda im Gefängnis zu Breslau einsitzend, ihre Arbeit »Zur russischen Revolution« geschrieben, in der auch – als Randbemerkung zum handschriftlichen Manuskript – ihr meistzitierter Satz »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden« enthalten ist.2) Sie hat in dieser Schrift die Oktoberrevolution als »gewaltigstes Faktum des Weltkrieges« begrüßt, dabei aber zugleich – sich mit den Praktiken Lenins auseinandersetzend – in genialer Weise vorweggenommen, woran der sich auf Lenin berufende »reale Sozialismus« einmal zugrunde gehen würde: »Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf, erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institu-
tion ... Einige Dutzend Parteiführer von unerschütterlicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren ... und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen.«3)
     Aus dem Gefängnis entlassen, hatte sich Rosa Luxemburg ins Getümmel der deutschen Novemberrevolution gestürzt, zum Jahreswechsel 1918/19 auf dem Gründungsparteitag der KPD das Referat zum Parteiprogramm mit ihrem ebenfalls berühmt gewordenen Satz »Wir sind wieder bei Marx« gehalten und in ihrem letzten Brief an Clara Zetkin am 11. Januar 1919 geschrieben: »Es ist nicht zu beschreiben, welche Lebensweise ich – wir alle – seit Wochen führen, der Trubel, der ständige Wohnungswechsel, die unaufhörlichen Alarmnachrichten, dazwischen angestrengte Arbeit, Konferenzen, etc. etc. Meine Wohnung sehe ich nur noch ab und zu für ein paar Nachtstunden.«4)
     In der Wohnung der Familie Marcusson, Mannheimer Straße 43 in Berlin-Wilmersdorf, war Rosa Luxemburg zusammen mit Karl Liebknecht (1871–1919) am 15. Januar 1919 gegen neun Uhr abends von der »Bürgerwehr« verhaftet und ins Eden-Hotel, Stabsquartier der Gardekavallerie- Schützendivision, gebracht worden. Deren Befehlshaber, Hauptmann Pabst, hatte sich telefonisch mit dem späteren sozialdemokratischen
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Reichswehrminister Gustav Noske (1868–1946) in Verbindung gesetzt und sich dessen Zustimmung für das weitere Vorgehen geholt. Unter dem Vorwand, sie ins Moabiter Gefängnis zu überführen, war Rosa Luxemburg aus dem Hotel geschleift, mißhandelt, vom Jäger Runge mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen, in ein Auto gestoßen, später vom Leutnant zur See Hermann W. Souchon erschossen und in den Landwehrkanal geworfen worden.5) Die Leiche war dort in der Nacht zum 1. Juni 1919 an der Freiarchenbrücke angetrieben und später von Rosa Luxemburgs langjähriger Sekretärin Mathilde Jacob (1873–1942?) identifiziert worden.
     Fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der Beisetzung Rosa Luxemburgs auf dem Friedhof Friedrichsfelde, wo auch schon am 25. Januar 1919 Karl Liebknecht beerdigt worden war, legte hier am Sonntag, dem 15. Juli 1924, Wilhelm Pieck (1876–1960), damals KPD-Abgeordneter im Preußischen Landtag, den Grundstein für ein Ehrenmal. Es wurde vom weltbekannten Architekten Mies van der Rohe (1886–1969) entworfen, aus Spenden sowie aus Zuwendungen von Künstlern, darunter auch von Käthe Kollwitz, finanziert, von der »Bauhütte«, einer Genossenschaft organisierter Bauarbeiter, errichtet und 1926 eingeweiht: ein zwölf Meter langes, etwa sechs Meter hohes Monument aus dunklen Hartbrandklinkern. Links die Inschrift »Ich war – ich bin – ich werde sein«.
Rechts ein großer fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel. 1935 haben es die Nazis in einer Nacht- und Nebel-Aktion zerstört. 1951 wurde die Gedenkstätte in ihrer heutigen Form neu gestaltet.
     Bei der Grundsteinlegung 1924 war es übrigens – im Unterschied zur Beisetzung im Juli 1919 – zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Der als Sonderausgabe des »Lokal-Anzeigers« erscheinende »Montag« berichtete, daß ein Zug von 300 Personen in der Siegfriedstraße »von der Schupo aufgelöst« wurde. In der Frankfurter Allee sei ein anderer Demonstrationszug von 150 Mann »mit Gummiknüppeln auseinandergetrieben worden«.

Quellen:
1     Siehe Annelies Laschitza, Im Lebensrausch, Trotz alledem. Rosa Luxemburg, Berlin 1996, S. 622
2     Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 4, Berlin 1983, S. 359
3     Ebenda, S. 362
4     Rosa Luxemburg, Gesammelte Briefe, Band 5, Berlin 1984, S. 426
5     Ausführlich ist dieses Geschehen nachzulesen bei Elzbieta Ettinger: Rosa Luxemburg. Ein Leben, Bonn 1990, S. 295–305

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Berlinische Monatsschrift Heft 6/99
© Edition Luisenstadt, 1999
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