79   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Nächste Seite
Dietrich Nummert
Böttgers Jahre in Berlin

1696 kam, vierzehnjährig, Johann Friedrich Böttger aus Magdeburg nach Berlin, um die Apothekenkunst zu erlernen. Seine Ausbildungsstätte befand sich am Molkenmark 4.1) Ein Schild am Hauseingang nannte den Besitzer und dessen Beruf: Friedrich Zorn, Pharmacopoeus.
     Friedrich Zorn, in Berlin am 26. Mai 1643 geboren, galt als gelehrter Mann. Er hatte in Hamburg, Frankfurt am Main, Straßburg und Nürnberg zuerst Apotheker gelernt und als Geselle Erfahrungen gesammelt, schließlich mit seinem Bruder Bartholomäus, dem Arzt, in Italien Medizin gehört und auf dem Rückweg in Padua, Venedig, Tirol und Augsburg weitere Kenntnisse in der Arzneimittelkunde erworben. Seit 1667 betrieb er selbständig die Apotheke. Und der gutaussehende, vornehme »Kauff- und Handelsherr wie auch Apotheker«, der in zweiter Ehe die dreißig Jahre jüngere Ursula Maria Bernhard geheiratet hatte, nebenher ein Privileg für Tabakspinnerei und für den Tabakhandel in der Mark Brandenburg und in Hinterpommern besaß, tat das erfolgreich, er wurde reich.2)

Bei diesem Zorn also lernte Böttger von 1696 bis 1701.
     Die fünf Jahre brachten viele graue Stunden. Obwohl äußerst wißbegierig und von raschem Verstand, konnte der Discipulus (Schüler) der Monotonie, den sich hundertfach wiederholenden Prozeduren, kaum Freude abringen. Vom frühen Morgen bis zum sehr späten Abend mußte er täglich mit Öfen, Kolben, Retorten, Töpfen, Krügen und Tiegeln umgehen. Er mußte tingieren, destillieren, extrahieren, legieren lernen. Immer wieder waren die Bestandteile einfacher Arzneien zu zerkleinern, im Mörser zu zerstoßen, sogenannte Simplicia zu mischen. Später kamen Composita hinzu. Sie herzustellen brachte etwas mehr Farbe in den Alltag. Er büffelte Rezepte, die Namen Hunderter Kräuter, Wurzeln, Pfanzen, Öle, Salben, Puder, Gifte sowie all die delikaten Beimengungen mancher Arzneien – Hundefett und Schlangenhaut, Würmer, Fliegen, Kröten, Frösche, Schnecken, getrocknet oder eingelegt, die Augen verschiedenster Tiere, ihre Knochen, Hörner, Borsten, auch Steine und Edelsteine.
     Das stupide Tun brachte ihm handwerkliches Können, das er durchaus zu schätzen wußte. Die Arbeit selbst jedoch entsprach keineswegs seinem Charakter und seinem Anspruch. In der Literatur über ihn begegnen wir Schilderungen, die Böttger als leichtsinnigen Burschen darstellen, dem nur der Zufall die spätere Erfindung bescherte.
SeitenanfangNächste Seite


   80   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteNächste Seite

So soll Böttger, hier sogar zum Baron gekürt, ausgesehen haben
 

Sie basieren auf Urteilen, Meinungen von Menschen seiner näheren oder weiteren Umgebung. Das waren brave, gottesfürchtige, dem Landesherren bedingungslos untertane Leutchen. Sie mißbilligten, daß er, des Paukens überdrüssig, Anfang Mai 1698 die Beine in die Hand nahm, seinen Lehrherren und Berlin ohne Abschied verließ – wer tut denn so etwas!
     Böttger tat es. Irgendwo vor Breslau brach er den Ausflug ab. Schlug ihm das Gewissen?

Friedrich Zorn nahm ihn wieder auf, nahm ihm zugleich das Versprechen ab, künftig jegliche alchemistischen Spielereien zu unterlassen.3) Das bedeutet: Böttger hat sich bereits vor seinem »Ausflug« mit Alchemie befaßt! Wir können nun rätseln, wer oder was ihn auf diese Spur gebracht hatte. Der Möglichkeiten gab es mehrere. Einmal träumten seinerzeit viele Menschen davon, aus wertlosen Metallen Gold zu machen. Der dafür unerläßliche »Zauberstab« hieß Stein der Weisen.
     »Alle Welt, vom Kaiser herab bis zum letzten Vasallen ..., vom reichen Dompropst bis zum armen Bettelmönch, ist mit gleichem Eifer bemüht, das köstliche Kleinod zu erwerben.«4) Wer ihn besitze, versprach der verbreitete Glaube, habe »alle Reichtümer der Welt zur Verfügung; ein minimales Fragment des Steins vermag ihm endlose Mengen unedlen Metalles in Gold und Silber zu verwandeln«.5) Und dieses Vermögen sei nur ein Teil seiner Wunderkraft. Der Stein der Weisen könne jegliche Krankheit heilen, und er verfüge ferner über verjüngende, lebensverlängernde Eigenschaften. Ist es da ein Wunder, wenn wir neben Scharlatanen immer auch Gebildete finden, die diesem Glauben anhingen, ernsthaft experimentierten, um den Wunderstein zu finden oder zu erfinden?
     Auch Bücher können Böttger die Alchemie schmackhaft gemacht haben. Im Zornschen
SeitenanfangNächste Seite


   81   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteNächste Seite
Ausschnitt eines Plans von J. B. Schultz 1688

Die Ziffern bedeuten:
22 Nikolaikirche
24 Klosterkirche
35 Molkenmarkt
37 Magazinhaus

Adresse der (rot-markierten) Apotheke von Friedrich Zorn: Molkenmarkt 4, (Ecke Stralauer Straße)

SeitenanfangNächste Seite


   82   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteNächste Seite

Apotheker Friedrich Zorn

Haus gab es interessante Lektüre. Gedruckt wie handgeschrieben, kursierten zahlreiche Werke und Traktate über Medizin, Chemie und die Rätsel der Welt. Die »Ars vitraria« des Chemikers Johann Kunckel, einem befähigten Wissenschaftler; von einem geheimnisumwitterten Basilius Valentinus gab es »Chymische Schriften«. Sie enthielten eine Schritt- für-Schritt- Anleitung, wie aus beliebigen Metallen Gold gefertigt werde. Den allerletzten Schritt allerdings ließ der schlaue Autor offen, er meinte, wer bis zum vorletzten gekommen sei, werde den letzten Schritt nun doch wohl selbst finden.
     Auch könnte es persönliche Bekanntschaften mit Alchemisten oder mit Leuten gegeben haben, die Schwarzkünstler kannten und von deren Wundertaten erzählten. Unter anderem lesen wir von einem Gesellen in der Zornschen Apotheke. Öfter begegnen wir in Zeugnissen jener Tage dem griechischen Mönch Lascaris. Er soll Böttger in der Kunst des Goldmachens unterrichtet, ihm beim Abschied eine Probe des Steins der Weisen geschenkt und das Geheimnis verraten haben, wie der Wunderstein herzustellen sei.
     Es bleibt eine Tatsache, daß Böttger die Alchemie ernsthaft betrieben hat. Daß, obwohl er bemüht war, seine Versuche geheimzuhalten,
SeitenanfangNächste Seite


   83   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteNächste Seite
der Lehrherr natürlich trotzdem dahinterkam, Böttger rügte, ihm weitere Versprechen abnahm. Der aber vergaß bald seinen Schwur, unwiderstehlich zog es ihn zu neuen Experimenten. Bis er erneut ertappt wurde. Das Spiel wiederholte sich. Eines Sommertages im Jahre 1700 plagte Böttger der Verdruß darüber so sehr, daß er abermals die Stiefel schnürte und ohne Abschied verschwand. Er quartierte sich bei Christian Siebert ein, einem zwielichtigen Dilettanten. In dessen vor dem Leipziger Tor gelegenen Haus hoffte Böttger, endlich ans Ziel zu gelangen, denn er hatte aus der Zornschen Apotheke Chemikalien und Gerät mitgehen lassen. Zu dieser Episode finden wir einen Hinweis in der Anlage zu einem Brief vom 14. November 1701, in der es heißt, Böttger habe sich während der Lehre »gar übel aufgeführt, biß er vor 5/4 Jahren wegen seines übeln Verhaltens gar davongelauffen und über 15 Wochen bald hier bald dar bey liederlichem Gesindel sich aufgehalten ...«6) Dann aber kehrte er doch wieder zu Zorn zurück.
     Im September 1701 stellte er sich der Prüfung vor dem medizinischen Collegium und erhielt nach fünf Lehrjahren das Zeugnis als Domicellus, als Geselle in der Kunst und

Ursula Maria Zorn

SeitenanfangNächste Seite


   84   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteNächste Seite
Wissenschaft der Arzeneikunde. Wichtig für seinen späteren Weg aber waren andere Ereignisse.
     Wir erinnern uns des Geschenks des Bettelmönches Lascaris. Böttger, der inzwischen Beweisen mehr vertraute als den Worten des alten Alchemisten, entschloß sich zu Proben. Mit dem ein Jahr jüngeren Lehrling Johann Christoph Schrader, der wie er aus Magdeburg gekommen war und den er von der Schulzeit her kannte, machte er sich im Juli in der Hexenküche des bereits erwähnten Siebert ans Werk. Als Zeugen standen neben Siebert ein unbekannt gebliebener Advokat und der Gewürzkrämer Friedrich Röber, der das Experiment finanzierte. Erst als Böttger verstorben war, hatte Schrader das Schweigen über dieses Experiment gebrochen und bestätigt, was Böttger selbst geäußert hatte, daß nämlich »im Beyseyn einiger Leute etwas weniges von obgedachtem Pulver an 2 Loth vom Mercurio probiret und wider Verhoffen mit Erstaunen befunden, daß alsbald draus feines Gold worden ...«7) Andere Quelle bestätigten: Böttger habe »voller Freude die erste Frucht seiner Anstrengungen, ein Stück gediegenen Goldes ...« erhalten.8) »Es wird berichtet, daß er (Böttger) am 9. Juni 1701 in Gegenwart seines Lehrherren itzgedachten Zorns und einiger anderer ... die Möglichkeit, Gold zu machen, erwiesen hat.«9)
     Der Zauberer Böttger war verblüfft. Gold herzustellen war also möglich. Nun wollte er
es bestätigen! Mit Schrader bereitete er heimlich einen weiteren Versuch vor. Das im Dunkel der Nacht in Zorns Apotheke abgelaufene neue Experiment soll ebenfalls erfolgreich gewesen sein. Irgendwer muß den Mantel des Geheimnisses gelüftet haben, denn fortan flogen Gerüchte durch die Stadt. Friedrich Zorn, der dem Gerede mißtraute, der aber wußte, daß Kunckel und andere geachtete Wissenschaftler Böttgers Wissen und experimentelles Geschick lobten, wollte Klarheit. Er erlaubte eine Wiederholung des Versuches. Termin: 1. 10. 1701. Ort: Apotheke Zorn. Zeugen: Zorn, dessen Gattin, Schwiegersohn Porst, Diakon Winkler aus Mageburg.
     Böttger leitete das Spektakel, denn die Anwesenden wollten jeden Gegenstand, jedes Pülverchen selbst betrachten, in das Schmelzgefäß werfen, den Brand schüren und was an Arbeit sonst noch zu tun war. Nachdem das Feuer erloschen, der Qualm abgezogen, der Tiegel abgekühlt war, fand man ein Klümpchen – Gold. Das bezeugten alle Anwesenden. Zorn wird noch im gleichen Jahr seinem Kollegen Linck schriftlich von dem Ereignis berichten. Andere taten es mündlich, wodurch das Gerede neue Nahrung erhielt, auch den Hof erreichte. Was Wunder, daß man dort unverzüglich Maßnahmen ergriff.
     Böttger, aufgestört durch die Gerüchte und den Charakter des Monarchen richtig einschätzend, schnürte sein Bündel. Das war
SeitenanfangNächste Seite


   85   Geschichte und Geschichten Böttgers Jahre in Berlin  Vorige SeiteAnfang
am 26. Oktober 1701. Zunächst verbarg er sich in der Vorstadt bei dem Krämer Röber, von dort zog er nach Schöneberg weiter, und da auch hier keine Sicherheit war, setzte er die Reise fort. Bald erreichte er Wittenberg, die Stadt an der Elbe, die schon auf sächsischem Gebiet lag.
     Hier gedachte Böttger, an der berühmten Universität Medizin zu studieren. Daß daraus nichts wurde, lag an der Goldgier von Monarchen. Friedrich I. wollte, daß Böttger für ihn Gold produziere, aber August der Starke in Sachsen wollte das auch. Und da der Neunzehnjährige sich nun einmal auf sächsischem Territorium befand, gewann ihn der Sachse. Bei diesem machte Böttger dann, immer unter königlicher Aufsicht, zwar kein Gold, dafür aber reines Porzellan, bevor er – fünfunddreißigjährig – starb.
Quellen und Anmerkungen:
1     Der Ort befindet sich etwa dort, wo heute die Normaluhr auf dem Dreieck steht, das von der Stralauer Straße, dem Mühlendamm und der Spandauer Straße gebildet wird
2     Manfred Stürzbecher, Berlins alte Apotheken, Berlin 1965, S. 37
3     Klaus Hoffmann, Vom Alchemistengold zum weißen Porzellan, Berlin 1985, S. 51; vgl. auch Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1876, Bd. 3, S. 203
4     August Wilhelm Hofmann, Berliner Alchemisten und Chemiker, Wiesbaden 1882, S. 7
5     J. C. W. Moehsen, Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften der Mark Brandenburg, Berlin und Leipzig 1783
6     Zitiert nach Klaus Hoffmann, a. a. O., S. 53
7     Zitiert nach Klaus Hoffmann, a. a. O., S. 69
8     Allgemeine Deutsche Biographie, a. a. O.
9     Manfred Stürzbecher, a. a. O., S. 39

Bildquellen: Archiv Autor

SeitenanfangAnfang

© Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de