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Maria Curter
Immer Grenze:
Die Oberbaumbrücke

Nach jahrelanger Sanierung wurde die Oberbaumbrücke als Verbindung zwischen den Stadtbezirken Friedrichshain und Kreuzberg am 9. November 1994 wieder für den Verkehr freigegeben. Und seit Oktober 1995 fährt über sie auch die U-Bahn bis zum Bahnhof Warschauer Straße (früher Warschauer Brücke). Damit waren der sogenannte Innenstadtring Berlins für den Autoverkehr geschlossen, eine weitere Umsteigemöglichkeit zwischen U- und S-Bahn geschaffen und ein ehrgeiziges Projekt abgeschlossen.

Als der Oberbaum noch grüßte

Erstmals erwähnt wurde die Oberbaumbrücke im Jahre 1724. Zu jener Zeit befand sie sich noch etwa in Höhe des heutigen S-Bahnhofes Jannowitzbrücke. Mit der Errichtung der Akzisemauer (Zollgrenze) nach 1732 unter Friedrich Wilhelm I. (1688–1740; König ab 1713) entstand die Oberbaumbrücke zwischen Schlesischem und Stralauer Tor, dem heutigen Standort, als Grenze zwischen Berlin und Brandenburg. Einer Schilderung aus dem Jahre 1737 zufolge sahen die Schiffer »den Oberbaum vor sich, eine auf eng

gesetzten Pfählen ruhende hölzerne Brücke. Aber der Übergang war nicht für alle kostenlos. Für Wagen und Pferde mußte Brückenzoll entrichtet werden, und zwar für einen Frachtwagen einen Groschen (12 Pf.), für eine Kutsche 6 Pf., für einen leichten einspännigen Wagen 3 Pf. und für jedes Pferd noch 3 Pf. außerdem. In der Mitte der Brücke war zwischen den Pfählen ein breiter Zwischenraum zur Durchfahrt für die Schiffe«.1) Die darüberführende Klappbrücke wurde aufgezogen, wenn ein Kahn mit einer hohen Last durchfahren wollte. Damit niemand des nachts, heimlich und ohne Zoll zu bezahlen, seine Waren über die Spree nach Berlin brachte, wurde ein starker Holzstamm, der mit Nägeln gespickt war, quer vor die Durchfahrt geschoben und somit die Einfahrt am Oberlauf des Flusses geschlossen.
     Große Teile der heutigen Stadtbezirke Friedrichshain und Kreuzberg lagen bis 1866 innerhalb der Akzisemauer, die – entlang der heutigen Palisaden-, Frieden-, Marchlewski- und Warschauer Straße – nach Osten und Südosten große Flächen unbesiedelten Acker- und Gartenlandes umfaßte. Der von der Akzisemauer umschlossenen Bereich im heutigen Stadtbezirk Friedrichshain bildete seit dem frühen 18. Jahrhundert die Stralauer Vorstadt, die sich von der Spree bis nördlich der Großen Frankfurter Straße erstreckte. Nach dem Abriß der Akzisemauer 1866/67 setzte eine
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dichte Besiedlung ein, etwa gleichzeitig mit der Ansiedlung von verschiedenen Industrien besonders in Spreenähe und der Anlage der Bahnhöfe der Frankfurter Bahn und der Ostbahn, die auch außerhalb der ehemaligen Ummauerung gelegene Bereiche einbezog und Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts das Gelände der seit 1871 bestehenden Ringbahn erreichte.2)
     Die Bebauung folgte bis ins frühe 20. Jahrhundert weitgehend dem Berliner Bebauungsplan von James Hobrecht (1825–1902), der im Auftrage des Polizeipräsidenten entwickelt und durch Königliche Kabinettsorder 1862 genehmigt worden war.
     Die Oberbaumbrücke, mehrfach erneuert, blieb bis 1893 noch eine hölzerne Zugbrücke. Mit ihren 154 Metern Länge und bestehend aus 23 Jochen war sie die längste Brücke der Stadt.

Der Neubau

Wegen der Bedeutung für den Verkehr zwischen den benachbarten und aufblühenden, aber durch die Spree getrennten Stadtteilen, dem Stralauer Viertel und Kreuzberg, begann man 1879 mit ersten Planungen für eine neue, steinerne Brücke. Der Bau der elektrischen U-Bahn durch Siemens & Halske erforderte endgültig den Abriß der alten Brücke.
     Nach langwierigen Verhandlungen zwischen der Firma Siemens & Halske und der

Stadt Berlin wurde ein mehr als 20seitiger Vertrag geschlossen, der vorsah, die U-Bahn in die neu zu errichtende Brücke zu integrieren. Damit wurden sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der neue Spreeübergang sollte nicht nur für Fuhrwerke, Autos und Fußgänger möglich sein, sondern gleichzeitig den Viadukt der Bahn mit aufnehmen. Auf diese Weise sparte man den Bau einer besonderen Hochbahnbrücke über den Fluß.
     Nachdem eine Behelfsbrücke südöstlich der alten errichtet war, konnte 1894 mit dem Neubau begonnen werden. Die architektonische Gestaltung mit sieben aus Klinkern errichteten Gewölben bei einer Gesamtlänge von 160 Metern und mehr als 27 Meter Breite stammt von Regierungsbaumeister Otto Stahn (1859–1930). Die beiden 32 Meter hohen Türme mit auskragendem Wehrgang sind dem Mitteltorturm in Prenzlau nachgebildet. Für Brücke und Türme wurden besondere Ziegel im Format der im Mittelalter üblichen gebrannt. Der fünf Meter breite östliche Bürgersteig wird von der Hochbahn überdacht und hat die Gestalt eines Kreuzgewölbeganges.
     »Bei der Ausbildung der Architektur ist der Gedanke maßgebend gewesen, daß die Brücke sich an der Stelle des alten Wassertores der Stadt Berlin befindet und auch jetzt noch den Eingang zur inneren Stadt bildet für den, der zu Schiff von der Oberspree nach Berlin heimkehrt. Stadttorartig ist die
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Steinerne Oberbaumbrücke, Holzstich von 1895
Brücke dadurch ausgebildet, daß neben der Mittelöffnung je ein acht Meter starker Pfeiler angeordnet ist, auf dem sich Warttürme im Charakter altmärkischer Stadttürme in Ziegeln auf Granitunterbauten ergeben, wie denn überhaupt die ganze Architektur den märkischen Backsteinstil zeigt«, heißt es in »Berlin und seine Bauten« von 1896. Wie die »Deutsche Bauzeitung« berichtete, fand die Schlußsteinfeier am 24. August 1895 bei strömendem Regen statt. 400 Personen waren gekommen, und jeder erhielt ein gefülltes Zigarrenetui mit der Inschrift »Schlußsteinfeier der Oberbaum- Brücke am 24. August 1895«. Und die »Berliner Illustrirte Zeitung« bezeichnete das Bauwerk
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als »die Krone aller Neuschöpfungen auf dem Gebiete des reichshauptstädtischen Brückenbaus«.
     Der U-Bahn-Bau zog sich noch hin. Aber am 18. Februar 1902 war es soweit: Die erste U-Bahn Berlins fuhr vom Bahnhof Stralauer Thor bis Potsdamer Platz – acht Stationen mit 19 Fahrgästen. »Damen mit ungeschützter Hutnadel« waren laut Polizeiverordnung vorerst ausgeschlossen von diesem Vergnügen. Diese Strecke wurde zur Stammlinie des künftigen U-Bahn- Netzes – der U 1. Heute führt sie vom Bahnhof Warschauer Straße bis Krumme Lanke – quer durch die Stadt. Noch im Jahre 1902 wurde die Endhaltestelle Warschauer Brücke (heute Warschauer Straße) eingeweiht und die Linie bis zum Bahnhof Knie (heute Ernst-Reuter- Platz) verlängert.
     Im heutigen U-Bahn- Netz sucht man die Station Stralauer Thor (oder Tor) vergeblich. Es gibt sie nicht mehr. Aber wer aufmerksam die inzwischen restaurierte Oberbaumbrücke von Kreuzberg nach Friedrichshain in dem kreuzgewölbeähnlichen Gang überquert, der findet noch Spuren des Bahnhofes. Zwischen dem Ende der backsteinernen Brücke auf Friedrichshainer Seite und der Stralauer Allee sind vier Paare, mit Sandstein verkleidete Stützpfeiler vorhanden. Auf ihnen ruhte die zweigleisige Bahnsteighalle. Linker Hand, an der Ecke Am Oberbaum und Mühlenstraße, war der Zugangsturm. Über eine Fußgängerbrücke, die die
Oberbaumbrücke überspannte, gelangte man zur U-Bahn. Architektonisch war der Bahnhof eine Mischung aus den Bahnhöfen Prinzenstraße und Görlitzer Bahnhof (eröffnet als Bahnhof Oranienstraße). Die Errichtung des ersten Endhaltepunktes erfolgte nach Entwürfen des Siemens- Baubüros.
     Mit der Bildung der Großgemeinde Berlin im Jahre 1920 wurde die Oberbaumbrücke wieder Grenze – diesmal zwischen den neugebildeten Verwaltungsbezirken Kreuzberg und Friedrichshain.

Zwischen zwei Welten

Durch einen Luftangriff am 10. März 1945 wurde der Bahnhof Stralauer Tor, der ab 1924 Osthafen hieß, total zerstört und ist, im Gegensatz zu allen anderen beschädigten Bahnhöfen, als einziger nicht wieder aufgebaut worden. Vermutlich konnte man auf ihn verzichten, da die Entfernung zum Schlesischen Tor 470 Meter und die zur Warschauer Brücke etwa 320 Meter betrug.
     Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, am 23. April 1945, sprengte die Wehrmacht das Mittelstück der Brücke, um den nahenden Truppen der Roten Armee den Spreeübergang unmöglich zu machen. Mit der Teilung der Stadt in vier Sektoren wurde die behelfsmäßig wieder instand gesetzte Brücke Grenze zwischen dem amerikanischen und dem russischen Sektor. Bis Mitte der 50er Jahre fuhren neben der U-Bahn auch Autos und

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Straßenbahnen dar über. Danach wurde die Brücke für den Straßenverkehr gesperrt, sie gehörte nun den Fußgängern und der U-Bahn.
     Nach dem 13.August 1961war sie nicht mehr passierbar – hier verlief jetzt die befestigte Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Die U-Bahn endete

Modell für die 1992–1995 rekonstruierte Brücke
am Schlesischen Tor, und die Brücke, auf der sie dieStralauer Allee überquerte, wurde auf östlicher Seite 1968 abgetragen. Der stillgelegte Bahnhof Warschauer Brücke diente viele Jahre dem Ostberliner Taxi-Betrieb als Mietwagenzentrale und dem Glühlampenhersteller NARVA als Lagerraum.
     Ende 1963, als das erste Passierscheinabkommen zwischen der DDR und dem Senat geschlossen wurde, durften West- und Ostberliner mit besonderem Visum als Fußgänger die Brücke überqueren. Ansonsten war sie über 28 Jahre lang Niemandsland – bis sie 1989 wieder zu einer Verbindung der ehemals geteilten Stadt wurde. Und wenn zu Beginn des Jahres 2001 die Stadtbezirke Kreuzberg und Friedrichshain, wie
vorgesehen, zu einem Stadtbezirk vereinigt werden, wird sie nicht mehr Grenze zwischen ihnen sein, sondern ihre einzige direkte Verbindung.

Quellen:
1     W. Gensch, Dr. H. Liesigk, H. Michaelis, Der Berliner Osten, Berlin 1930, S. 228/229
2     Die Bau- und Kunstdenkmale in der DDR, Hauptstadt Berlin I, hrsg. vom Institut für Denkmalpflege, Henschelverlag, Berlin 1984, S. 431/432

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