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Ulrich Bornitz
3. November 1869:
Der HEROLD wird gegründet

Vor 130 Jahren erfolgte in Berlin die Gründung eines Vereins, dem das sicher seltene Glück beschieden ist, über einen solch langen Zeitraum nicht nur Existenz und Lebenskraft, sondern auch Zweck und Inhalt bewahren zu können.
     Wenn man dem Bericht des damaligen Vorsitzenden Heinz Hugo anläßlich des 100jährigen Bestehens des Vereins Glauben schenkt, war es ein unfreundlicher Nachmittag, an dem sich fünf Männer in einem Café an der Potsdamer Brücke zusammenfanden, um Pläne zur Gründung eines Vereins zur Pflege der Wappen- und Siegelkunde zu beraten. Es waren der Beamte Friedrich Warnecke, der Beamte Maximilian Gritzner, Hugo Freiherr von Linstow, der einzige Privatmann, der Ministerialbeamte Carl Brecht und Carl Vogt, als Graveur Vertreter des Kunsthandwerks. Keiner von ihnen war älter als 50 Jahre.
     Aus diesem Kreis wurde kein lokaler Stammtisch zur Freizeitbeschäftigung, sondern eine rasch wachsende Gesellschaft mit ernsthaftem und kritischem Streben, das sich in monatlich stattfindenden Sitzungen

und einer bald erscheinenden Zeitschrift niederschlug. Ihr Inhalt bestand neben Vereinsmitteilungen, den Sitzungsberichten und Berichten über Nobilitierungen und Standeserhöhungen aus Beiträgen über Probleme der Heraldik, der Genealogie, Siegelkunde und anderen heute den historischen Hilfswissenschaften zugeordneten Gebieten. Wobei dem Adel als dem damals führenden Stand besondere Bedeutung zuteil wurde.
     Viele Paragraphen der ersten Satzung waren schon so weitsichtig formuliert, daß sie inhaltlich auch heute noch Bestandteil der Vereinssatzung sind. Von Anfang an war in Aussicht genommen worden, auch durch Aufnahme auswärtiger Mitglieder den Verein nicht nur auf Berlin zu beschränken und eine Verbindung aller Heraldiker und Sphragistiker in Deutschland anzustreben. So sah die damalige Vereinssatzung neben »wirklichen«, d. h. in Berlin ansässigen Mitgliedern, auch korrespondierende, außerhalb von Berlin wohnende Mitglieder vor, wobei aber sämtliche Mitglieder die gleichen Rechte hatten. Die Ehrenmitgliedschaft konnte für solche Männer vorgeschlagen werden, deren Verdienste um eine der genannten Wissenschaften »rühmlichst bekannt« waren.
     Wie auch heute war ein Vorstand zu wählen, der aus einem Vorsitzenden, dem Freiherrn von Linstow, einem Schriftführer – Carl Brecht – und einem Schatzmeister –
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Friedrich Warnecke – bestand. Zur wissenschaftlichen Behandlung der auftretenden Fragen gab es noch – anders als heute – drei Sektionen: für Sphragistik (Siegelkunde), Heraldik und Genealogie, für die je ein »Chef« ernannt wurde. Zur Deckung der Ausgaben war von den Mitgliedern je ein Taler im Jahr zu entrichten.
     Die Anzahl der Mitglieder wuchs schnell an – 1882 wurden die 500, 1907 die 1 000 überschritten. Am 14. August 1882 erhielt der Verein durch Allerhöchste Kabinettsorder den Status einer juristischen Person. Auch als sich nach der Jahrhundertwende weitere regionale Vereine mit gleichem Arbeitsinhalt in Deutschland bildeten, bedeutete das für den HEROLD keine Beeinträchtigung als überregionaler führender Verein. Er hat auch langjährige bedeutende Vorsitzende gehabt, wie Carl von Bardeleben von 1898 bis 1923, nach dem die 1909 gestiftete höchste und nur selten vergebene Auszeichnung des Vereins benannt ist, oder den berühmten Genealogen Stephan Kekulé von Stradonitz von 1923 bis 1933.
     Seit 1925 ist der HEROLD von der Arbeitsgemeinschaft der deutschen familien- und wappenkundlichen Vereine mit dem Führen der Deutschen Wappenrolle betraut, einem Registerwerk der deutschen Familienheraldik. Zum Ruf des Vereins trug besonders die exakte und wissenschaftlich begründete Führung dieser zentralen deutschen Wappenmatrikel bei.
Nach schwierigen Jahren konnte der Verein 1949 unter veränderten Bedingungen seine Arbeit fortsetzen. Er ist heute für die von ihm betreuten Forschungsgebiete die älteste Fachgesellschaft in Europa. Er ist weiterhin im Sinne der Gründer aktiv. In seinen Themen ist er überregional ausgerichtet. Er widmet sich den historischen Hilfswissenschaften, insbesondere der Heraldik (Wappenkunde), der Genealogie (Familiengeschichts- Forschung) und verwandten Wissenschaften wie der Sphragistik (Siegelkunde), der Phaleristik (Ordenskunde) und Numismatik (Münz- und Medaillenkunde) oder der Paläographie (Schriftkunde), aber auch der mit diesen Wissenschaften in Verbindung stehenden Landes- und Ortsgeschichte.
     Auch in seinen Mitgliedern ist er, im Gegensatz zu den vielen regionalen genealogischen Vereinen, überregional ausgerichtet. Es wird aber nicht mehr, wie in der Gründungszeit, von »wirklichen Mitgliedern« verlangt, daß sie in Berlin ansässig sind. Zur Zeit zählt er rund 950 persönliche Mitglieder, davon etwa 100 im europäischen und auch außereuropäischen Ausland. Nur etwa 180 Mitglieder sind in Berlin ansässig. Dazu kommen etwa 80 nichtpersönliche Mitglieder (Familienverbände, Archive, Bibliotheken), davon 13 im Ausland, sowie fast hundert Tauschpartner für die Publikationen, auch davon 24 im Ausland.
     Der bedeutendste Schatz des HEROLD ist sicher seine seit 1869 systematisch aufgebaute
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und in Europa einzigartige heraldische und genealogische Fachbibliothek. Sie umfaßt mehr als 30 000 Bände zur Heraldik, Genealogie und zur Geschichte, darunter einen wertvollen Altbestand, sogar Bücher, die sonst im deutschen Raum kaum noch vorhanden sind, und einen großen Bestand an Zeitschriften. Seit der Gründung des Vereins steht die Bibliothek den Mitgliedern und auch der Öffentlichkeit zur Verfügung; ihre Bestände können im Forschungssaal des Geheimen Staatsarchivs (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) unentgeltlich benutzt werden, ebenso die Handbibliothek in der Geschäftsstelle des Vereins.
     Auch das Archiv des Vereins verfügt – neben eigenen Akten und zahlreichen biographischen Unterlagen der Matrikel – über wertvolle Sammlungen und genealogische Nachlässe. Für die Heraldik ist die 1882 begonnene Wappenbilderkartei zu nennen, die mit 150 000 Nachweisen bedeutendste nach Wappenbildern geordnete Sammlung. Hinzu kommen Siegelsammlungen, die ordenskundliche Sammlung von Kurt Klietmann
und das Korbsche Bildarchiv mit etwa 24 000 Negativen von Porträts namhafter Persönlichkeiten des 16. bis 18. Jahrhunderts.
     In der vom HEROLD geführten Deutschen Wappenrolle werden auf Antrag in heraldischer, genealogischer und juristischer Hinsicht deutsche bürgerliche und adlige Wappen, altüberlieferte und neugestiftete, registriert und in der Buchreihe »Deutsche Wappenrolle« veröffentlicht. Über die Eintragung wird dem Antragsteller eine Urkunde mit Abbildung und Beschreibung des Wappens ausgestellt.
     Die Zeit geht technisch auch nicht an diesen alten und ehrwürdigen Fachgebieten vorbei. So widmet sich der Verein heute auch der Anwendung der modernen Informationsverarbeitung in den HEROLD- Wissenschaften, ganz besonders der Erfassung und Darstellung von Familiendaten für genealogische Zwecke mit Hilfe von Computern. Daß sich der Verein immer wieder den Anforderungen der Zeit stellt, begründet stets aufs neue seine Lebenskraft.
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