Eine Rezension von Björn Berg

 

Geschichte einer Gefangenschaft

Edgar Kupfer-Koberwitz: Dachauer Tagebücher
Die Aufzeichnungen des Häftlings 24814.

Kindler Verlag, München 1997, 560 S.

 

Ohne Scham talkten Daniel Goldhagens willfährige Diskutanten durch die Medien. Mit brausendem Beifall wurden die ausgebuddelten Tagebücher von Victor Klemperer bedacht. Aufmerksamkeit, die den Tag überdauert, verdienen die Aufzeichnungen des Häftlings 24814. Als Dachauer Tagebücher nicht gänzlich unbekannt, blieben sie bisher unpubliziert. Edgar Kupfer-Koberwitz, Autor der Aufzeichnungen, ist nicht irgend jemand, der sein Wissen archivierte oder mit Archivwissen hausieren geht. 1940 in Dachau interniert, hat Kupfer (1906-1991) das Konzentrationslager als Hölle auf Erden erlebt, in der sich Menschen Momente eines himmlischen Friedens ermöglichten. Wo der Tod herrschte, hatte auch der Tanz einen Platz. Was Goldhagen und seine eifrigen, eifernden, ignoranten Interpreten niemals für sich in Anspruch nehmen können, war Kupfers Situation: „Jede Zeile, die ich schrieb, war mit Gefahr geschrieben.“

Die nun erstmals vollständig veröffentlichten Dachauer Tagebücher beginnen mit der Eintragung vom 20. November 1942 und enden mit dem 2. Mai 1945. Sachlich betrachtet ist das Tagebuch nicht das Buch über das KZ Dachau, wie Apitz' Nackt unter Wölfen nicht das Buchenwald-Buch ist. Kupfers Aufzeichnungen sind Dachau. Sind die Konzentrationslager des Dritten Reiches. Sind das Naziregime. Sind das faschistische Deutschland. Sind der interne, extreme, grauenvolle Alltag, während Klemperers Tagebücher die äußere Alltäglichkeit des Faschismus sind. Kupfer, der sich vorgenommen hat, „im Grausen dieses Grausen zu erzählen“, erschüttert. Wieder und wieder berichtet er von den Erschütterungen derjenigen, die nichts mehr hätte erschüttern dürfen. Berichtet von den wenigen Hoffnung stiftenden, den vielen schrecklichen Erschütterungen, wo das Überleben des Überlebens das Wichtigste war. Die Geschichten der Dachauer und Dachaus, die Kupfer aufschrieb, sind Teil der Geschichte des stabil wirkenden, unsicher werdenden, sich auflösenden faschistischen deutschen Staates. Eine Geschichte der Gefangenschaft, in der die Solidarität der Gefangenen nicht selbstverständlich war und Solidarität mit den Gefangenen geübt wurde. Tatsachen, die den Tagebuchschreiber veranlassen, festzustellen, daß nicht „das ganze deutsche Volk Schuld an dem trägt, was kam und ist“. Kupfer, jahrelang im Epizentrum der Gefahr, wußte, was er äußerte und warum er sich „eine Revolution - aber der Herzen, nicht der Fäuste“ - wünschte. Garantiert hätte Häftling 24814 den Mangel an Herzensbildung in den Debatten mit Goldhagen beklagt. Herzensbildung ist nur, wo vom Menschen und nicht über den Menschen gesprochen wird. Womit erklärt wäre, weshalb nicht die Dachauer Tagebücher in aller Munde sind? Edgar Kupfer-Koberwitz berührt das Herz!


© Edition Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de

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